Der Schatten des Schattens des Schattens
Der römische Künstler Gianni Dessì zeigt in der Galerie Antonella Cattani contemporary art einen Zyklus von Werken mit Chinatinte.
Dass es mit China zu tun hat, versteht man gleich hinter der Eingangstür. Von einem Sockel aus blickt einem eine Büste aus Raku-Keramik von Konfuzius entgegen. Zwei gelbe Streifen ziehen sich über den Schädel des vor 2500 Jahren (551-479 v. Chr.) in China wirkenden Morallehrers, der von der kommunistischen Partei zum inoffiziellen Staatsphilosoph geadelt wurde. Kein Wunder: Steht bei ihm doch Ordnung an höchster Stelle und die Freiheit des Individuums kommt irgendwann später.
Mit Legitimationsstrategien der Kommunistischen Partei Chinas hat der Raku-Kopf in der Galerie Antonella Cattani contemporary art jedoch nichts zu tun. Er steht schlicht für eine China-Reise von Gianni Dessì, die den 1955 in Rom geborenen Künstler zu einer Serie von Bildern inspiriert hat. Zu sehen sind diese derzeit unter dem Titel „nel flusso del giallo del blu nero inchiostro di china“ in der Antonella Cattani contemporary art.
Schwarze Chinatinte ist ihrer hohen Pigmentdichte und ihres schimmernden Effekts wegen das Nonplusultra für Liebhaber von Tusche. Nicht zufällig wird sie bevorzugt für Kalligraphie verwendet.
Schwarz ist die bestimmende Farbe oder Nicht-Farbe (die Debatte ist offen) der Ausstellung. Dessì malt schwarz, aber was heißt schon schwarz. Es gibt, das hat bereits Wittgenstein formuliert, „nicht eine einzige Farbe Schwarz, sondern die Farben Schwarz.“ Schwarz spielt mit dem Nicht(s)-Sehen- Können, was den Blick nach innen richtet. Dass gilt für den Betrachter des Bildes, doch kann es auch für den Künstler gelten. Metaphorisch hängen daran Attribute wie Weltabgewandtheit, Einsamkeit, Isolation, Angst und Trauer, doch sollte man sich zunächst auf die kompositorischen Aspekte einlassen. Für Dessì scheint die Kraft der Farbe Schwarz wie für Matisse vor allem in der Vereinfachung der Konstruktion zu liegen, mithin ein Mittel zu sein, um die Grenzen zur Abstraktion anzustoßen, nicht anders als die Alchemisten Schwarz generell als Grenzüberschreitung gedeutet hatten: als Grenzüberschreitung vom Sichtbaren zum Unsichtbaren, vom Materiellen zum Spirituellen, vom Bewussten zum Unbewussten.
Dessìs Motive sind überschaubar. Die Serie beginnt mit einem Fensterbild, was man als ein deutliches selbstreflexives Signal verstehen darf. Seit der Renaissance haben wir uns angewöhnt Bilder als Fenster zu betrachten, weshalb das Fenstermotiv als Spiegelungsfigur, als Mise en abyme, gelesen werden kann. Die Betrachtungssituation ist dem Betrachten immer schon voraus, das eine spiegelt sich im anderen und mündet in einem Abgrund. Anschauen ist nicht so leicht, wie es ausschaut.
Wie ein Strom ziehen sich die Bilder über die Wände der Galerie, jedes Werk scheint aus einem anderen hervorgegangen zu sein – als Gegenposition, als Variation, als Zugabe. Das Prozesshafte, Offene, auch Fragmentarische ist seinem Oeuvre eingeschrieben.
Das Fließen von Schwarz setzt sich von Bild zu Bild fort. Auf den weiteren Bildern sieht man auf ihre Silhouetten reduzierte Körper, stehend, sitzend, liegend, einzeln oder in Gruppen. Die Farbe ist mit wässerigem Pinsel aufgetragen, sodass sie sich aquarellartig in das Chinapapier einsaugt und ausbreitet. Die Hintergründe sind weiß oder in einer informellen Gestik mit lasierendem Blau und Gelb gestaltet. Die Dynamik wird nicht ausschließlich vom Maler, sondern nicht minder vom Untergrund und der Wässrigkeit der Farbe bestimmt. Unübersehbar ist die enge Verwandtschaft der silhouettenartigen Figuren zum Schattenriss, die Flächigkeit der Figuren verbindet sie mit dem weißen Raum und spricht für eine prinzipielle Gleichwertigkeit aller Bildgegenstände. Das schönste Bild zeigt eine gesichtslose Dreiergruppe – es könnte ein inniges Familienbild sein. Die Differenzlosigkeit der Binnenfläche erzeugt nicht nur die Flächigkeit der Silhouette, sondern führt zu einer Egalisierung aller Dargestellten, sodass sie zu einem einzigen Ganzen verschmelzen und zugleich wie wechselseitige Schatten oder Doppelgänger wirken. Die Reduktion der formalen Bildmittel auf Umriss und Fläche, also auf das Wesentliche, provoziert einen Zuwachs an Interpretationsmöglichkeiten. Man muss nicht viel vom Menschen zeigen, es genügt der Umriss. Und der enthält eine ganze Menge: Wenn man will, auch die Psyche. Konfuzius würde zustimmen. (Heinrich Schwazer)
Termin: Bis 29. Jänner 2022 in der Galerie Antonella Cattani, Bozen.
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