Montecatini-Pflanzen
Die österreichische Künstlerin Katrin Hornek, jüngst mit dem renommierten Otto Mauer Preis ausgezeichnet, macht sich in der ehemaligen Montecatini Fabrik in Sinich auf die Suche nach dem Anthropozän. Zu sehen in der Galerie ar/ge Kunst in Bozen.
Tageszeitung: Gratulation zum Otto Mauer Preis.
Katrin Hornek: Danke, der Preis freut mich wahnsinnig.
Ortsbezogene Kunst, site-specific Art, ist Ihre Spezialität. Wie definieren Sie diese Kunstrichtung?
Als Kunst, die sich sehr stark an einem Ort oder an einem Material orientiert und weniger medienspezifisch ist. Das Medium kommt an zweiter Stelle, je nachdem, welches sich für ein Material oder einen Ort anbietet.
Warum interessiert Sie genau diese Kunst?
Ich gehe gerne von konkreten Dingen aus, ich brauche emotionale Anknüpfungspunkte an die Welt, um eine Arbeit zu beginnen. Das ist sehr wichtig für mich. Die Dinge müssen aus der Welt kommen, sonst habe ich das Gefühl, dass sie nicht in der Welt verankert sind.
Der „alte“ Künstlertyp, der alles aus sich heraus, quasi aus dem Nichts, erschafft, ist nicht Ihr Ding.
Gar nicht. Mich interessieren Beziehungen zwischen Materialien, Kontexten, Geschichten, Menschen …
… WissenschaftlerInnen.
Ja, ich war lange unentschlossen, ob ich Biologie oder Kunst studieren soll. Jetzt mache ich beides. Mich interessieren naturwissenschaftliche Konzepte, aber ich torpediere sie auch gerne.
Die ar/ge Kunst und BAU haben Sie eingeladen, eine ortsspezifische Arbeit in Südtirol zu machen und Sie haben sich Sinich ausgesucht. Warum?
Das hat damit zu tun, dass ich mich bereits vorher mit dem Stickstoffkreislauf auseinandergesetzt habe. Stickstoff ist ein sehr wichtiger Teil allen organischen Lebens, es ist eines der Hauptelemente unserer DNA, der Hormone und Proteine in unserem Körper. Laut einer Hochrechnung haben 50 Prozent des Stickstoffs in unserem Körper bereits einen technischen Prozess durchlaufen, das heißt, er wurde nach dem sogenannten Haber-Bosch-Verfahren hergestellt. Der aus Stickstoff gewonnene Kunstdünger war ja vielleicht der radikalste Eingriff in den Weltmetabolismus überhaupt. Ohne ihn hätte sich die Weltbevölkerung nie so exponentiell entwickeln können, aber es hat natürlich auch einen Ausbeutungsprozess – ausgelaugte Böden, überdüngte Meere und so fort – in Gang gesetzt, mit dessen Folgen wir heute leben. Mich hat interessiert, was es bedeutet, dass der etwa in meiner Hand verbaute Stickstoff zu 50 Prozent synthetisch in einem technischen Fixierungsprozess hergestellt wurde.
Eine verrückte Vorstellung.
Ja. Als ich dann im Zuge meiner Recherchen draufgekommen bin, dass in Sinich einst die zweitgrößte Fabrik nach der deutschen IG Farben für Ammoniak in Europa errichtet wurde …
Die von Mussolini angesiedelte Montecatini-Fabrik für Kunstdünger …
Ja. Mit der Solland Sillicon ist ja jetzt das xte Kind von Montecatini geschlossen worden. Ein Negativ-Monument des Anthropozäns gehört damit der Vergangenheit an. Das war mein Ausgangspunkt.
In der Montecatini bündeln sich eine Menschen- und Naturgeschichte gleichermaßen.
Und eine politische und geopolitische Geschichte. Ich konnte mein „Glück“ nicht fassen, als ich über diese Geschichte gestolpert bin.
Am Anfang stand Recherche.
Ich habe mich mit vielen Menschen getroffen, mit Arbeitern, deren Väter und Großväter die Sümpfe trockengelegt und die Fabrik aufgebaut haben und damit die Firmengeschichte verkörpern. Ich habe mit WissenschaftlerInnen und KulturhistorikerInnen gesprochen, ich habe viel Fotomaterial aus der damaligen Zeit gesichtet, also sehr breit recherchiert. Es gibt noch Spuren davon und an den Orten habe ich 3D-Scans mit meinem Handy gemacht, die dann für das Video zu 3D-Welten zusammengebaut wurden. Gemeinsam mit der Schriftstellerin Sabina Holzer haben wir dazu einen Text verfasst, in dem eine Figur versucht, dem künstlichen Stickstoff in ihrem Körper nachzugehen. Was bedeutet es, dass mein Körper zur Hälfte künstlich ist, ist es noch mein eigener Körper, geben mir meine Hormone externe Informationen?
Das Video überführt das Recherchematerial in eine 3D-Animation, durch die man wie mit einem Joystick durchgleitet.
Genau. Es sind reale Welten, die in animierten Welten collagiert sind.
In der Ausstellung sind aber auch sehr handfeste Materialien installiert.
Die Ausstellung besteht aus drei Teilen: Das Video ist das Zentrum, rundherum habe ich ein Umfeld installiert aus Kupfer- und Leitungsröhren, die aus der Fabrik stammen. Ich zitiere das Fabriksröhrensystem und schalte es mit natürlichen Systemen zusammen, indem ich Maiskolben – die sehr stickstoffdüngeintensiv sind – aus den Röhren wachsen lasse. Außerdem gibt es auch noch originale Bohrkerne und Bodenproben, mit denen die Kontamination gemessen wird.
Dem Zeitalter des Anthropozän gilt Ihr künstlerisches und wissenschaftliches Interesse.
Ja, und das schon sehr lange. Wie geologische und menschliche Maßstäbe ineineinder krachen, das bewegt mein Denken.
Die Bilder davon sind häufig angstbesetzt.
Angst zu schüren liegt mir fern, ich versuche die Bilder zu dekonstruieren. In Tirol habe ich ein Projekt, „Stones Like Us“, mit Körpersteinen gemacht, also die in Nieren, Gallen oder Blasen produzierten Körpersteine. Es hat mich fasziniert, dass unsere Körper auch geologisches Material produzieren. Wenn wir sterben, haben unser Körper kleine Planeten produziert. Die Steine habe ich in Vitrinen in einer Höhle ausgestellt. Ich wollte die Grenzen auflösen nach dem Motto: Der Stein bin ich oder der Stein ist ich.
Der politische Aspekt ist da, wenn auch nicht offensichtlich.
Ja. Es ist schwierig darüber zu sprechen, ich habe versucht, es über das Video zu vermitteln.
Warum nennen Sie die Ausstellung „Plant Plant“?
Das ist ein Wortspiel. Auf Englisch ist Plant eine Fabrik, gleichzeitig heißt es aber auch Pflanze. Man könnte sagen, Plant Plant sind die Montecatini-Pflanzen.
Interview: Heinrich Schwazer
Info
Die Ausstellung Plant Plant von Katrin Hornek in der Galerie Museum, ar/ge Kunst bleibt bis 12. Februar zugänglich. Im Februar findet in der Fabrik ein Factory Walk mit der Performerin Sabin Holzer statt.
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