Blues ist mehr als Musik
Seit dem Gewinn der IBC Challenge als bester italienischer Bluesmusiker im Jahr 2017 hat die Karriere des Brunecker Gitarristen und Komponisten Hubert Dorigatti Fahrt aufgenommen. Jetzt hat er eine neue CD im Kasten. Ein Gespräch mit einem, der sogar im Gadertal jede Menge Blues findet.
Tageszeitung: Herr Dorigatti, die ganze Welt wird von Pop, Rap, Hip Hop und Techno beherrscht. Kommen Sie als Blueser sich mitunter wie Troubadix vom gallischen Dorf vor?
Hubert Dorigatti: Leider bin ich kein Asterix Leser, deswegen kann ich mich mit Troubadix leider nicht identifizieren. Ich meine aber, dass genug Platz ist, für jegliche Art Musik. Mainstream Musik war und ist mir immer ein wenig zu glatt. Ich brauche Ecken und Kanten, nicht nur in der Musik, sondern in sämtlichen Lebenslagen.
Blueser sind zäh. Einmal Blues, immer Blues. Unterschreiben Sie das?
Ich unterschreibe das nur zum Teil, weil ich mich ab und zu auch in anderen Musikstilen versuche. Jazz zum Beispiel ist auch eine große Leidenschaft von mir. Es sollte aber schon immer ein bisschen „Swing“ mit dabei sein.
Johnny Winter sagte einmal „Der Blues wird niemals sterben.“ Was macht den 12-Takter unsterblich?
Johnny Winter ist eines meiner großen Idole. „The Blues will always be around, people need it.” Das sagte er und ich glaube mit „die Leute brauchen den Blues“ trifft er den Nagel auf den Kopf. Blues ist nicht nur Musik, sondern meiner Meinung nach auch eine Lebenseinstellung.
Beschreiben Sie uns die Lebenseinstellung des Blues. Sind Blueser immer Geschichtenerzähler?
Ja, das kann man sicher so sagen. Ich versuche in meinen Songs immer eine Geschichte zu erzählen. Manchmal über banale Thmen wie z.B. ein Waldspaziergang und was ich da so erlebe, manchmal auch über Liebe, Sorgen oder Themen die mich beschäftigen. Vielleicht kommt demnächst ja ein Pandemic-Blues.
Sie sind Lehrer. Was sagen Ihre Schüler über Ihre Musik? Ist Blues ein Sound aus grauer Vorzeit für sie?
Grundsätzlich bekomme ich von meinen Schülern ein sehr positives Feedback. Jeder Schüler sollte seinen Lehrer auch auf der Bühne sehen. Ich selber habe von meinen Lehrern mehr gelernt wenn ich ihnen beim Live-Gig zugesehen habe als im Unterrichtsraum. Jedenfalls ist der Blues ein coole Musik, groovy und mit viel Kraft, das kommt auch bei den jungen Leuten gut an.
Mit wem würden Sie am liebsten auf der Bühne stehen: Lighnin´ Hopkins, John Lee Hooker, B.B. King oder Johnny Winter?
Ich würde sagen, mit allen vieren zusammen. Das wäre der Jam der Superlative und ich wäre der Handtuch-Bringer.
Wer sind Ihre Blues-Heroes und was haben Sie sich von ihnen abgeschaut?
Ich hab mir vieles von den alten Meistern abgeschaut. Spezielle Techniken, z.B. das Fingerpicking im Stile des Mississippi John Hurt oder die an den Ragtime angelehnten Harmonien eines Blind Boy Fuller. Slide Gitarre von Johnny Winter und und und…..
Nach Ausflügen in die Volksmusik und einem Bob Dylan-Projekt sind Sie mit Ihrem neuen Album „Stop“ wieder back to the roots. Wird alles, was Sie anfassen, zu Blues?
Momentan schon. Zurzeit ist es einfach „meine Musik“. Das nächste Album hab ich auch schon fertigkomponiert…da geht’s dann fast noch mehr back to the roots.
Wo liegen die tiefsten Wurzeln des Blues für Sie?
Für mich sind die Wurzeln im Süden der USA. Da wo der acoustic Blues beheimatet ist. Von da aus ist alles gestartet.
Blues, damit verbindet man reflexhaft die Südstaaten, Sümpfe, das Mississippi-Delta, New Orleans, die Kultur der Schwarzen. Ist das mittlerweile nur mehr ein Klischee, weil Blues längst zur Weltmusik geworden ist?
Ja, ich sehe das absolut auch so. Blues wird mittlerweile rund um den Globus gespielt. Klischees haben wir zum Glück hinter uns gelassen … hoffe ich zumindest. Blues ist für mich gleich wie klassische Musik, Jazz …
Ihr Song „Bound to New Orleans“ erzählt sehr farbig von der musikalischsten Stadt der USA. Geht Ihre Sehnsucht dahin?
Ich war nur einmal in New Orleans, das war eine schöne Erfahrung, die in meinen Erinnerungen weiterlebt.Meine Sehnsucht zieht mich aber nicht dorthin. Ich bin glücklich da, wo ich bin, im Gadertal umgeben von Bergen. Da gibt’s jede Menge Blues. Wenn Corona es zulässt, werde ich aber demnächst wieder auf Reisen gehen. 2022 sind einige USA Gigs geplant.
Wo und mit wem werden Sie auftreten?
Zur Zeit präsentiere ich mein neues Album STOP. Ich spiele dabei mit Fabrzio Poggi (Harp), Giacomo da Ros (Bass und Background Stimme) und Laura Willeit ( Background Stimme).
Im Gadertal gibt’s jede Menge Blues, sagen Sie. Wo versteckt er sich?
In Enneberg, da gibt’s jede Menge davon. Nein, Scherz beiseite. Ich meinte damit mehr die Lebenseinstellung „blues“. Ich meine damit das einfache Leben, bescheiden, und dennoch zufrieden.
Weiße Bluesmusiker – allen voran Eric Clapton – müssen sich oft den Vorwurf anhören, sich an der afroamerikanischen Kultur zu bedienen und zu bereichern. Alles nur geklaut, heißt es. Können Sie die Vorwürfe verstehen?
Ist denn nicht alles irgendwo geklaut?
„Stop“ enthält 12 Songs, wobei der titelgebende Song ein Protestsong gegen die Untätigkeit der internationalen Klimapolitik ist. Blues, der den Namen verdient, muss etwas zu sagen, oder?
Ich finde, Musik bzw. Kunst sollte ab und zu das Zeitgeschehen auch kritisch betrachten und aktuelle Themen speziell und direkt ansprechen.
Ist der Klimawandel Ihre größte Sorge für die Zukunft? Auch, weil Sie Vater sind.
Sagen wir so, natürlich beschäftigt mich das Thema. Ich versuche auch in kleinen Schritten etwas beizutragen, dass der Planet uns noch lange erhalten bleibt. So wie er ist.
Schreiben Sie Ihre Songs selbst?
Ja, die Musik schreibe ich immer selber. Die Texte zu ca. 50 Prozent. Ich habe einen Freund aus Düsseldorf, der mir manchmal die Texte zu meinen Songs schreibt. Volker Kinast heißt der Mann.
Wie ist es mit politischen Texten? Wären Protestsongs wie sie Bob Dylan geschrieben hat, für Sie vorstellbar, denkbar, machbar?
Da muss ich leider passen. Dafür bin ich wahrscheinlich zu wenig intellektuell. Wenn man Protestsongs schreibt, sollten diese eine starke Aussage haben und in einer guten Sprachform dargeboten werden.
Ihre Stimme ist fast so tief wie die von Leonard Cohen. Haben Sie eine Gesangsausbildung?
Gesangsausbildung habe ich nie genossen. Das wird auch so bleiben. Manchmal bin ich vielleicht nicht ganz „in tune“, dafür stimmt aber der Spirit. Ist für mich wichtiger.
Welche Aromen gehören in einen Bluessong?
Blues ist „Bauchmusik“. Die Musik sollte grundsätzlich einfach gehalten werden, keine überflüssigen Schnörkel usw. enthalten, dennoch aber Platz lassen für virtuose Spots und leidenschaftlichen Gesang. Ein guter Groove ist das wichtigste.
Das Instrumentalstück „Passadena Shuffle“ ist das einzige, das auf Rekordjagd auf den Saiten geht. Haben Sie die Lust an virtuosen Soli verloren?
Als Jungspund war mein Grundsatz: Höher, schneller , weiter. Jetzt leg ich viel mehr Wert auf Komposition bzw., ich versuche das zu machen, was der Song benötigt. Ich feile jetzt länger am Arrangement.
Englisch scheint unverzichtbar für einen richtigen Blues-Song zu sein. Deutsch oder Italienisch geht gar nicht, oder?
Prinzipiell sage ich: Englisch ist die Sprache des Blues, jedenfalls für mich. Deutsch oder Italienisch lehne ich nicht ab. Jeder soll machen, wie er es fühlt. Es gibt beispielsweise den Ernst Molden aus Wien, der macht Blues im Wiener Dialekt. Das find ich sehr cool.
2017 haben Sie die IBC Challenge als bester italienischer Bluesmusiker gewonnen. Hat das Ihrer Karriere einen Schub gegeben?
Definitiv. Ich habe in Memphis einige Leute kennengelernt und konnte danach einige Male in die USA fahren, um Konzerte zu spielen.
Könnten Sie vom Musikmachen leben und ist das Ihr Ziel?
Leider noch nicht. Ich habe noch einen Job als Gitarrenlehrer. Aber das mach ich auch gerne. Hauptsache, es ist irgendwie Musik mit im Spiel, dann passt es schon.
Hatten Sie während des Lockdowns den Blues, wie man so sagt?
Nein, das kann ich nicht behaupten. Ich habe diese ZEIT intensiv für Songwriting genutzt. War eine sehr produktive Zeit. Den Blues habe ich eher jetzt, wenn ich sehe, dass alles wieder losgeht und wir uns auf einen weiteren Lockdown zubewegen. Aber die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.
Interview: Heinrich Schwazer
Zur Person
Hubert Dorigatti, 1975 in Bruneck geboren und aufgewachsen, absolvierte sein Gitarren- und Jazzstudium an den Konservatorien von Wien und Trient. Seit den 1990er-Jahren widmet er sich hauptsächlich dem Blues. Er tritt seither mit verschiedenen Bandformationen auf, u. a. Black Cat Blues Department, T.mo, Bayou Side und Hubert Dorigatti Trio. Sein Musikstil orientiert sich an den Gitarristen Big Bill Broonzy, Robert Johnson und Lightnin’ Hopkins. 2017 gewann Dorigatti die IBC Blues Challenge als bester italienischer Bluesmusiker.
Am Donnerstag 25. November, präsentiert er im Stadttheater Bruneck zusammen mit dem Grammy-nominierten Musiker Fabrizio Poggi seine neue CD „Stop“. Am 26. November ist er um 21.30 Uhr in der Laurin Bar zu erleben.
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