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„Wir müssen Geimpfte testen“

Gernot Walder

Der Osttiroler Infektiologe Gernot Walder erklärt, was eine 2G-Regelung nutzen würde und ob in Südtirol der Lockdown verhindert werden kann.

Tageszeitung: Herr Walder, in Italien wird immer wieder die 2G-Regelung gefordert. Was denken Sie darüber?

Gernot Walder: Manches ist widersprüchlich. 2G akzeptiert nur geimpft und genesen, gleichzeitig werden Antikörpertests einschließlich Neutralisationstests nicht anerkannt. So nimmt man den Menschen die Möglichkeit, eine bestehende Immunität nachzuweisen und auf die kommt es letztendlich bei dieser Regelung an.  2G impliziert auch, dass Geimpfte und Genesene das Virus nicht mehr weiterverbreiten können. Das stimmt für die derzeit vorherrschende Deltavariante (=indische Variante) aber nicht mehr.

Man müsste also weiterhin testen?

Das ist in der derzeitigen Situation sinnvoll. Will man ein realistisches Bild der Viruszirkulation erhalten und Seuchenketten unterbrechen kann auch die Testung von Geimpften und Genesenen sinnvoll sein.

Das Hauptziel ist es aber ja die Überlastung der Spitäler zu vermeiden. Ist das durch die Impfung nicht möglich?

Das ist tatsächlich das stärkste Argument für die Impfung, vor allem bei Betagten und Risikopersonen. Die Impfung reduziert das Risiko einer Aufnahme auf der Intensivstation um den Faktor 5 bis 30, das ist erheblich – wenngleich nicht so gut wie bei anderen Impfungen. Anders ausgedrückt: Wenn das Virus stark unter den Geimpften zirkuliert werden auch einige intensivpflichtig erkranken. Deutlich weniger effektiv ist die Impfung bei der Unterbrechung der Viruszirkulation. Geimpfte scheiden zwar etwas geringere Virusmengen aus, auch die Ausscheidungsdauer ist kürzer, andererseits sind sie meist wenig symptomatisch, benötigen keine Tests und fühlen sich sicher.  Impfungen sind ein wichtiges Werkzeug der Medizin. Den derzeitige Umgang mit dem Thema Impfen in der öffentlichen Diskussion halte ich allerdings für problematisch. Wenn Druck und Diskriminierung zu einer akzeptablen Maßnahme wird, um ein gewünschtes Verhalten zu erzeugen rütteln wir an den Grundfesten unserer Gesellschaftsordnung.

Wie soll man die Leute sonst zum Impfen bringen?

Da sollten wir ehrlich und klar sein: Wenn der Staat will, dass sich die Leute impfen, gibt es den Weg der Impfpflicht einführen, mit allen organisatorischen und rechtlichen, auch haftungsrechtlichen Konsequenzen. Wenn es freiwillig ist, muss man die Menschen überzeugen. Ungeimpften den Alltag möglichst schwerzumachen damit sie sich „freiwillig“ impfen lassen ist kein tauglicher Weg .

In Südtirol gibt es eine 3G-Regelung, trotzdem steigen die Zahlen. Wirkt also auch diese Maßnahme nicht?

In jeder Pandemie habe ich vier Möglichkeiten, das Geschehen zu beeinflussen: Therapie (die haben wir nicht), Testen, Immunität und Barrieremaßnahmen (die wir nicht wollen). 3G deckt alle Möglichkeiten ab, die wir haben. Wie gut wir unsere epidemiologischen Ziele erreichen, hängt von der Durchführung ab – vom niederschwelligen, unkomplizierten Zugang zu Impfungen und Tests ebenso wie von der Qualität und Auswertung der Ergebnisse sowie von der Motivation und der Compliance unserer Gesellschaft. Dass die Infektionszahlen nun steigen, ist logisch, denn wir befinden uns im Herbst. Wir sind zwar im zweiten Jahr der Pandemie, aber das Virus hat die Zeit genutzt, um sich immer besser an den Menschen anzupassen. Die derzeit vorherrschende Deltavariante unterscheidet sich deutlich vom ursprünglichen Coronavirus und unterläuft die von ihm induzierte Immunität. Insofern hat die derzeitige Lage auch Aspekte einer neuen Pandemie und nicht nur einer dritten, vierten oder fünften Welle mit dem gleichen Erreger. Wir beobachten das wissentlich zum ersten Mal. Bis jetzt waren wir immer mit Erreger konfrontiert, deren Adaptionsprozess an den Menschen bereits abgeschlossen war. Allerdings, und das stimmt optimistisch, scheint derzeit eine Verlangsamung dieser Dynamik einzutreten. Mir ist kein Gebiet auf der Welt bekannt, wo die indische Variante von anderen Varianten verdrängt worden ist. Möglicherweise ist diese Phase des Adaptionsprozess nun tatsächlich abgeschlossen. Es handelt sich um ein Virus, das in Bewegung ist.

Wäre 2,5G, sprich eine 2G-Regelung mit zusätzlichen Tests, die ideale Lösung?

Der Unterschied besteht darin, dass 2,5G nur PCR-Tests akzeptiert, 3G auch Antigentests. Das hat Vorteile: Wir haben mehr Testkapazität, die Antigentests liefern schneller Resultate und erlauben eine rasche Reaktion auf einen positiven Befund. Antigentests liefern zwar kein quantitatives Resultat und erlauben keine Identifizierung der variante, aber diesen Nachteil man kann man wettmachen, wenn positive Befunde einer Kontrolle mittels PCR unterzogen werden. Man muss natürlich sowohl bei der PCR- als auch bei den Antigentests auf die Qualität achten. Grundsätzlich gilt aber, je mehr Pfeile man im Köcher hat, desto flexibler kann man auf eine neue Situation reagieren.

Österreich ist bereits im Lockdown. Gibt es – unabhängig davon, welche Regelung nun gilt – eine Chance, dass dieser Lockdown in Südtirol verhindert wird?

Das ist aus jetziger Sicht schwer zu sagen. Das hängt ja nicht nur von medizinischen, sondern auch sehr stark von psychologischen und politischen Faktoren ab. Einen Winter wie 2018/2019 werden wir aber sicher nicht erleben.

Hat ein Lockdown für Geimpfte einen Sinn?

Das hängt davon ab, was man erreichen will: Will man die Intensivstationen entlasten, ist der Gradmesser wohl die Zahl der Geimpften auf den Intensivstationen. Will man die Viruszirkulation reduzieren ist der Gradmesser die Zahl der positiven Geimpften. Wenn es heuer eine „normale“ Grippesasison gibt – und der bisherige Verlauf des Herbstes spricht im Gegensatz zum letzten Jahr eher dafür – kann ein synergistisches Zusammenspiel beider Erreger auch eine komplett neue Situation schaffen. Generell wäre es wichtig und wünschenswert, wieder möglichst viel Normalität zuzulassen.

Interview: Markus Rufin

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