„Mut zur Aufarbeitung“
Bischof Ivo Muser sagt auf der Tagung zu Machtmissbrauch und Gewalt in der Kirche: „Wir werden uns erst heute bewusst, welch unheilvolles Ausmaß der Missbrauch genommen hat.“
Bei der Tagung „Mut zur Aufarbeitung“ haben am Donnerstag im Bozner Pastoralzentrum Betroffene, Fachleute und Verantwortliche ihre Erwartungen und Erfahrungen in puncto Aufarbeitung von Machtmissbrauch und Gewalt in der Kirche eingebracht.
Gottfried Ugolini, Leiter des diözesanen Dienstes für den Schutz von Minderjährigen und schutzbedürftigen Personen, sagte, dass zu Prävention auch die Aufarbeitung gehöre: „Keine Prävention ohne Aufarbeitung ist das aktuelle Leitwort, mit dem sich die Kirche insgesamt auseinanderzusetzen hat. Erforderlich dazu sind Mut und eine klare Entscheidung, auf welche Seite sich die Kirche stellen will.“
Die Tagung „Mut zur Aufarbeitung – Chancen und Herausforderungen der Aufarbeitung von Machtmissbrauch und Gewalt“ folgte dem Leitgedanken, dass eine Aufarbeitung der Missbrauchsfälle in der Kirche Südtirols zur Übernahme von Verantwortung und zur Gerechtigkeit gegenüber Betroffenen und Beteiligten beiträgt.
Nach der Eröffnung der Tagung unter anderem durch Bischof Ivo Muser und durch den Diözesanbeauftragten Gottfried Ugolini kamen Betroffene und Experten zu Wort. Ugolini stellte anstelle der krankheitsbedingt verhinderten Ulrike Loch, Soziologin an der Freien Universität Bozen, das Projekt für eine Studie zu Gewalt im Kontext von Machtmissbrauch in der Kirche vor, das im Auftrag des Bischofs von einer Arbeitsgruppe ausgearbeitet wurde.
Durch Interviews mit Betroffenen, Zeitzeugen und Verantwortlichen sollen Zusammenhänge hergestellt werden, die Übergriffe und Missbrauch ermöglicht oder verhindert haben. Durch Fragebögen in Pfarrgemeinden und Einrichtungen soll das Wissen um Missbrauch und den Umgang damit erhoben werden. Die Forschung ist partizipativ und prozesshaft angelegt, damit gleichzeitig durch Bewusstseinsbildung Veränderungsprozesse in Gang gesetzt werden, die z.B. in der Entwicklung und Einführung von Kinderschutzkonzepten führen.
Bischof Ivo Muser sagte in seinen einleitenden Worten, dass er überzeugt davon sei, dass der sexuelle Missbrauch zu den schlimmsten Verbrechen überhaupt gehöre. Er zerstöre die Seele eines Menschen. „Wir werden uns erst heute bewusst, welch unheilvolles Ausmaß der Missbrauch genommen hat und vor allem wie verheerend er sich auf das Leben der Betroffenen auswirkt. Arbeiten wir alle zusammen, damit sexueller Missbrauch und alle anderen Formen von Gewalt, die immer und überall geschehen können, weniger geschehen – auch durch uns und unseren konkreten Beitrag. Verstärken wir in allen Bereichen des kirchlichen, familiären und gesellschaftlichen Lebens unseren Einsatz für die Prävention“, sagte der Bischof.
In seiner inhaltlichen Einführung wies Gottfried Ugolini auf das Anliegen der Tagung hin: „Die heutige Veranstaltung will Erwartungen, Erfahrungen und Anregungen in Bezug auf das Anliegen der Aufarbeitung aufzeigen, bevor das Konzept zu einer Studie zur Aufarbeitung vorgestellt wird. Gleichzeitig will die Tagung ein klares Signal der Ermutigung an alle sein, die im Bereich des Schutzes von Minderjährigen und schutzbedürftiger Personen tätig sind oder tätig werden. Eine wirksame Präventionsarbeit setzt bei er Erkundung der Rahmenbedingungen an, die zu Machtmissbrauch und sexualisierter Gewalt geführt oder diese verhindert haben.“
Astrid Liebhauer, Kinder- und Jugendanwältin des Bundeslandes Kärnten, berichtete via Zoom über die Einrichtung eine weisungsfreie Opferschutzstelle und eine unabhängige Opferschutzkommission in Kärnten im Jahr 2013 und welche Arbeit diese Stelle bisher geleistet hat. Ihr Erfahrung: „Angesichts so vieler und erschütternder Fallgeschichten habe ich es als meine Pflicht und Verantwortung gesehen, eine objektive und wissenschaftlich fundierte Aufarbeitung anzuregen und habe dann bei den politischen Entscheidungsträgern offene Türen gefunden. Das war auch nicht sofort der Fall, unzählige Gespräche waren notwendig, um hier Bereitschaft und letztlich die notwendigen finanziellen Mittel aufzutreiben.“ In Kärnten sei viel in Bewegung gekommen und insgesamt seien 450 Anträge auf Entschädigung eingegangen. Bisher seien 2,8 Millionen Euro an Entschädigungsleistungen aufgebracht worden.
In einer Videoschalte betonte der Erzbischof von Ravenna, Lorenzo Ghizzoni, der auch Präsident des Nationalen Dienstes für den Schutz von Minderjährigen der italienischen Bischofskonferenz CEI ist, die Notwendigkeit, die Vergangenheit aufzuarbeiten: „Aus der Erinnerung an die zugefügten Wunden können neue Haltungen für den Schutz von Minderjährigen und schwachen Personen geboren werden. Wir müssen ein neues Umfeld schaffen, das in der Lage ist, anzuprangern.“ Bischof Ghizzoni sprach dann über den Wert von Achtung und Respekt in der Gesellschaft: „Wir müssen eine Kultur der umfassenden Achtung der Person, der Rechte, der Würde und der Persönlichkeit fördern. Diese Achtung muss Teil des kirchlichen Umfelds sein. Wir hoffen, dass die Ortskirchen dieses Thema immer ernster nehmen, damit diese Kultur wachsen kann“.
Ebenfalls per Video eingespielt wurde bei der Tagung ein Interview mit einer Betroffenen. „Die Kirche muss sich einer Aufarbeitung stellen. Worte allein genügen nicht! Es braucht Prozesse der Veränderung und der Umkehr!“ Die Frau erinnerte daran, dass keine Geschichte, kein Mensch ignoriert werden dürfe, denn: „Wunden verjähren nie!“
Über ein konkretes Aufarbeitungsprojekt hat die über Zoom zugeschaltete Kristin Vavtar von den Sozialen Dienste der Kapuziner in Innsbruck berichtet. In den Jahren 2010-1014 haben sich über 80 ehemalige Kinder der Jugendwohlfahrtseinrichtung Bubenburg gemeldet, um von ihren Erfahrungen in der Zeit zwischen 1950 und 1980 zu erzählen. Sie berichteten in der überwältigenden Mehrheit von gravierenden gewaltsamen Übergriffen, zum Teil auch von sexualisierter Gewalt und sexuellem Missbrauch durch weltliche und geistliche Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Die Geschäftsführung und die Kapuzinerprovinziäle schlussfolgerten: „Wir waren nicht dabei. Wir wissen nicht, wie es war. Aber wir hören zu. Und jetzt ist es Zeit, auch denen zuzuhören, die sehr lange nicht gehört worden sind. Sie werden unseren Blick auf unsere Organisation verändern. Wir werden die hellen und die dunklen Kapitel unserer Vergangenheit lesen lernen müssen. Wir werden transparent und uneingeschränkt mit der Staatsanwaltschaft kooperieren – sie wird jeweils entscheiden, ob Vorwürfe (noch) strafrechtlich relevant sind oder nicht.“
Alle Beiträge der Tagung, auch die Kurzinterviews mit Mitgliedern des Fachbeirates zur Aufarbeitung der Missbrauchsfälle innerhalb der Kirche, sind in Kürze auf der Webseite der Tagung www.bz-bx.net/de/tagungmissbrauch2021 abrufbar.
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Kommentare (2)
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pingoballino1955
Bischof Muser,ihr wusstet das schon seit Jahrzehnten und habt bis jetzt alles scheinheilig versucht zu vertuschten.Nachdem sich zum Glück in letzter Zeit immer mehr „OPFER“ melden,könnt ihr euch nicht mehr tatenlos verstecken,das ist FAKT! Und um die Wiedergutmachung drückt ihr euch genauso,wie um eine öffentliche ENTSCHULDIGUNG und Geldentschädigung das ist auch FAKT. Wer zahlt eigentlich eure Staranwälte??? Der Klinglbeitl? Wundert euch nicht wenn die Kirchen immer leerer werden und die Kirchenaustritte exorbitant zunehmen-bestes Beispiel Deutschland! Heuchelei PUR!