Der Weberknecht
„Und nun komm, du alter Besen (…), bist schon lange Knecht gewesen!“: Leander Schwazer Ausstellung „Forza Maggiore“ in der Galerie Alessandro Casciaro.
Von Christine Vescoli
Eine klapprige Figur auf zwei Sensenstielen steht am Eingang der Galerie. Eine alte Decke ist über sie geworfen, auf der ein Hornissenschwarm seine Behausung angesiedelt hat. Ein Sensenmann, könnte man meinen. Aber weil die skurrile Figur, ein staubiges Gestell, doch eher wie ein aus der Fauna entnommenes Readymade ausschaut und nicht wie eine bedeutungsschwere Allegorie, könnten die Sensen auch Besen sein, die unter schlechten Lumpenhüllen nur einer sind. Goethes Zauberlehrling scheint unter der Decke hervorzurufen: „Und nun komm, du alter Besen (…), bist schon lange Knecht gewesen!“
Leander Schwazer (*1982) borgt sich oft die Verve des Zauberlehrlings, um gegen Traditionen oder Kunstikonen aufzubegehren. In ostentativer Flüchtigkeit greift er sie auf und verwendet sie wie des Wegs hin aufgeklaubte Fundstücke. Wie er in früheren Arbeiten Tizian, Marx oder den Mythos von Ariadne bemühte, zitiert er in den derzeit in der Galerie Alessandro Casciaro ausgestellten Werken, Warhol, Kirchner, Kafka u.a.
Leander Schwazer macht sich die Kunst- und Kulturgeschichte munter zu eigen. Er fischt aus ihrem Topf und vermischt Quellen und Referenzen ebenso wie Stile, Gattungen und Techniken, er macht Bilder, Installationen, Skulpturen und Videos. Sein Interesse gilt vielmehr dem strukturellen Denken, das er im Textil verkörpert findet. Das Tuch als Gewebe und Gebilde beschäftigt den Künstler, das Fadensystem aus Kette und Schuss, die sich im Raster kreuzen. Muster, Struktur, Textur sind die Elemente, denen er konstant nachgeht und die ihn immer wieder auch zum Einsatz des Seriellen motivieren, zum Erproben der Reihe, Wiederholung und Variation desselben Motivs oder Gegenstands, die in der Austauschbarkeit eine Gestaltungsregel finden.
Mit dem Gedanken der Austauschbarkeit rennt Leander Schwazer in der aktuellen Ausstellung zunächst gegen die klassische Malerei an. Gilt seine Reflexion und Aufmerksamkeit der materiellen Basis des Tafelbildes, nämlich der Leinwand als Weberei, ist das, was darauf aufgetragen ist, im wesentlichen Applikation. Ob darauf Blumen von Warhol wie Pixel wachsen oder eine Acrylfarbe schleißig aufgetragen ist, ob ein Bild von Kirchner oder ein Violett, ein Blau oder ein Rot auf dem Grund liegen, ist letztlich austauschbar. Im Zentrum steht vielmehr der textile Grund, der experimentell ausgelotet wird. Das tut Leander Schwazer unter Verwendung von Concrete canvas, einem flexiblen, betongefüllten Verbundstoff, der für Bewässerungs- und Dichtungssysteme verwendet wird.
Die Rollenware schneidet er in Streifen, legt sie im nassen Zustand zu einem Flechtwerk an, das, sobald es erhärtet ist, zementierte Weberei wird. Die ins Dreidimensionale ausgreifende Struktur drängte die Frage nach dem Bild zugunsten ihres Trägermaterials zurück und überführt das Bild in die Nähe der Skulptur. Das betonierte Gewebe als Ein- und Ausfaltung, als verschlungenes Drunter und Drüber schiebt sich buchstäblich in den Vordergrund und bringt Räumlichkeit plastisch zur Sprache.
Aus dem abstrakten Rasterkonzept der Weberei ausbrechend, beschreitet er mitunter auch den Weg in die Narration. Die durchgelegenen, durchlöcherten und vielfach zusammengeflickten Bettleintücher der Großeltern müssen nur auf Keilrahmen aufgespannt werden, um Geschichten zu erzählen. Wie eine Übersetzung der zusammengeflickten Leintuchflächen ins Kubische wirken die zu einer transparenten Figur zusammengesetzten Plexiglaswürfel.
Schließlich aber wird das Gewebe wieder zum Tuch. Es hängt als Lappen am Nagel oder wie ein Stück Vorhang an der Wand, es formt und wirft sich in Falten. Aber während es, in harten Beton verwandelt, der Stofflichkeit von Stoff verblüffend entgegen zu laufen scheint, durchkreuzt es nicht weniger die Gegensätze und von Leichtigkeit und Schwere. Damit nimmt das Werk den Gedanken der Falte auf, die einerseits die Opposition von Flachheit und Körperhaftigkeit unterläuft. Andererseits zitiert es die Metapher der Falte, die Gilles Deleuze für das Denken des Divergenten und Denken auf Umwegen entworfen hat. Die Falte durchquere laut Deleuze den Dualismus von Innen und Außen, sie negiere Identitäten und verteile Unterschiede auf viele mögliche Welten. „Alles faltet sich, entfaltet sich, faltete sich wieder neu (…) und die Welt ist in jeder Seele gefaltet.“ (Deleuze).
Der Titel der Ausstellung „Forza Maggiore“ nimmt Bezug auf die Skulptur „Force Majeure“ in der Techno-Ausstellung des Museion. Alte Werbebuchstaben (Deutsch, Französisch, Chinesisch) sind wie die Leuchtschriften des „mentalen Kapitalismus“ zu einer 3 Meter hohen Schriftstele verwoben und verdrahtet , die nur mit Mühe entziffert werden kann. Aber für welches Produkt wirbt „Höhere Gewalt“?
Termin: Bis 13. November in der Galerie Alessandro Casciaro, Bozen, Kapuzinergasse 26.
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