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„Sind alle Ausgaben notwendig?“

WIFO-Direktor Georg Lun über den Wirtschaftsaufschwung, die notwendige Sparpolitik, die Lieferengpässe und seine Ablehnung eines generellen Bettenstopps.

Tageszeitung: Herr Lun, hätten Sie es vor eineinhalb Jahren für möglich gehalten, dass Südtirols Wirtschaft jetzt wieder so gut läuft?

Georg Lun (Wirtschaftsforschungs-institut der Handelskammer): Dass es nach Ende der Krise wieder einen Aufschwung geben wird, habe ich schon erwartet, aber einen so außergewöhnlich starken und schnellen Aufschwung nicht.

Sehen Sie noch irgendwo größere Problemfelder, wenn man davon ausgeht, dass die Corona-Pandemie nun in Grenzen gehalten werden kann – sprich ohne weitere Lockdowns?

Es gibt immer noch einzelne Bereiche, die weiterhin Schwierigkeiten haben. Ich denke etwa an die Nachtgastronomie und bestimmte Dienstleistungen. Aber im Großen und Ganzen haben sich alle Sektoren deutlich stabilisiert. Und es gibt Sektoren, die einen starken Boom erleben.

Was halten Sie in diesem Zusammenhang von der geplanten Erhöhung der regionalen Wertschöpfungssteuer IRAP von 2,68 auf 3,9 Prozent?

Die IRAP ist seit der Einführung immer sehr kritisch beurteilt worden, weil sie auf Löhne zu zahlen ist und somit das besteuert, was eigentlich gefördert werden soll. Die Steuerreform von Draghi sieht vor, dass die IRAP in den nächsten Jahren verringert oder sogar abgeschafft wird. Südtirol hat im Verhältnis zu anderen Regionen einen sehr niedrigen IRAP-Steuersatz, deshalb ist die Erhöhung im Grunde eine Angleichung. Die Erhöhung kann gerechtfertigt sein, wenn die Mittel im Landeshaushalt wichtig für Bereiche wie Gesundheit und Soziales sind, die durch Corona stark belastet worden sind. Aber natürlich ist eine Steuererhöhung immer eine Belastung und somit nie positiv. Wir sind ohnehin schon ein Hochsteuerland. Das Ausmaß der Steuererhöhung bedroht zwar nicht die Unternehmenstätigkeit, ist aber eine Belastung.

Ist es generell nicht gut, die öffentlichen Kassen in guten Zeiten zu füllen, um bei neuen Problemen wieder genug Geld zu haben? Oder anders gefragt: Hätte man wenn schon vor fünf Jahren die Steuern erhöhen müssen und wäre damit weit besser für die Krise gerüstet gewesen?

Das Land kann nur in sehr beschränktem Ausmaß Geld für schlechte Zeiten beiseite legen – und kann sich in schlechten Zeiten nicht recht stark verschulden. Die Möglichkeiten des Landes sind also relativ eingeschränkt. In den nächsten Jahren ist es notwendig, daran zu denken, was schon 2012/2013 stark diskutiert wurde: die Spending Review. Das heißt, man muss alle öffentlichen Ausgaben auf den Prüfstand stellen: Sind alle Ausgaben notwendig? Gibt es Möglichkeiten, Tätigkeiten der öffentlichen Hand effizienter zu gestalten? Das steht uns in den nächsten Jahren bevor.

War die Spending Review bisher nur eine jahrelange Ankündigungspolitik der Landesregierung?

Konkret ist nichts passiert. Natürlich hat jeder Bereich gute Gründe zu sagen, dass die Ausgaben so hoch sind wie sie eben sind. Es gab in Vergangenheit einen Ausgabenüberprüfungsausschuss, der auch ein Dokument mit Reformvorschlägen erstellt hat, das aber nie vollständig veröffentlicht worden ist. Nun gibt es mit der Digitalisierung neue Bedürfnisse in der öffentlichen Verwaltung. In Bereichen, die digitalisiert werden können, wird man müssen Gelder einsparen.

Welche Rolle werden die Lieferengpässe und steigenden Rohstoffpreise in den nächsten Monaten spielen?

Das Thema Inflation ist so zu sehen: Wenn die Preise nur für ein paar Monate so hoch bleiben, ist das ein vorübergehendes Problem. Wenn es hingegen zu einem konstanten Anstieg der Preise kommt, wird sich das natürlich auf die Wirtschaftstätigkeit auswirken, da die Kosten für die Unternehmen konstant steigen. In Deutschland haben einige Institute deswegen bereits die Wachstumsprognosen leicht gesenkt.

Könnte es eine größere Gefahr für das wirtschaftliche System darstellen, wenn die Situation länger anhält?

Es kann sich zwar die Kostenstruktur verändern, aber eine Gefahr, dass das Wirtschaftssystem zusammenbricht, sehe ich nicht. Natürlich wird das Wachstum gedrückt, wenn die Kosten stark steigen. Es ist aber auch ein Anreiz: Weil besonders die Energiekosten betroffen sind, haben die Unternehmen mehr Interesse daran, energiesparende Verfahren einzusetzen. Das ist das, was die Politik auch auf anderem Wege versucht. Das Ganze ist nicht so dramatisch zu sehen. Ein leichter Preisanstieg ist eigentlich keine Gefährdung für die Wirtschaftsentwicklung. Man muss auch berücksichtigen, dass die Preise für Rohstoffe während des Lockdowns stark gesunken waren. Es hat also auch ein gewisser Nachholeffekt stattgefunden.

Noch einmal zurück zu den Corona-Folgen: Ist in Südtirol die befürchtete Pleitewelle mit Anstieg der Arbeitslosigkeit vom Tisch?

Eine Pleitewelle sehe ich nicht. Zudem gibt es noch immer nicht die Möglichkeit, in Konkurs zu gehen. Notmaßnahmen wie diese werden langsam auslaufen. Aber was Südtirol betrifft, erwarte ich keinen Anstieg an Konkursen, sofern die derzeitige Wirtschaftsentwicklung anhält.

Werden wir im Laufe des nächsten Jahres wieder das Vorkrisen-Niveau erreichen?

Ja…

…das heißt, Corona wird uns am Ende wirtschaftlich um drei Jahre zurückgeworfen haben?

Ich gehe davon aus, dass wir nächsten Jahr wieder das Vorkrisen-Niveau erreichen werden – unter der Voraussetzung, dass es keinen Lockdown mehr gibt. Man hat ja gesehen, wie die Wirtschaftsaktivität in einem Lockdown leidet und wie schnell die Wirtschaft wieder in Schwung kommt, wenn ein Lockdown aufgehoben wird.

Nach den Rekordzahlen im Südtiroler Tourismus in den letzten Monaten: Wird dieses Niveau längerfristig anhalten oder ist dieses Jahr ein Ausreißer?

Man kann mehrere Effekte beobachten. Erstens werden aufgrund der allgemeinen Corona-Regeln Fernreisen erschwert. Die Menschen machen Urlaub möglichst in der Nähe – und Südtirol ist mit dem Auto erreichbar. Zweitens profitiert Südtirol davon, dass die Gäste sich gerne in der freien Natur aufhalten. Drittens wird der Produktmix, den wir den Touristen anbieten können, immer interessanter für den Gast. Es wird künftig vielleicht nicht mehr so einen Run wie zuletzt geben, aber ich bin überzeugt, dass die Nachfrage tendenziell hoch bleiben wird.

Halten Sie es für sinnvoll, dass entsprechende Grenzen gezogen werden, wie sie die Landesregierung über einen Bettenstopp plant?

Damit hängt das Problem zusammen, dass sich Betriebe weiterentwickeln müssen. Wenn ein Bettenstopp heißt, dass es für Betriebe keine Entwicklungsmöglichkeiten mehr gibt, ist das sicher negativ, denn ein Unternehmen muss sich immer wieder neu aufstellen und anpassen können. Über die Gesamtsumme des Tourismus in Südtirol ist durchaus eine Diskussion zu führen: Wie soll der Tourismus als Anteil am Wirtschaftsgeschehen noch zusätzlich im Verhältnis zu anderen Sektoren wachsen? Der ausgeglichene Sektorenmix mit Landwirtschaft, Tourismus, Industrie, Handwerk und Handel ist unser Erfolgsmodell. Es ist die Debatte zu führen, ob wir versuchen sollen, diesen Mix zu halten und somit den Anteil des Tourismus nicht weiter zu erhöhen.

Das ist ein schwieriger Spagat, wenn man einerseits Tourismusbetrieben Entwicklungsmöglichkeiten lassen will und andererseits keine weitere starke Entwicklung nach oben will…

Es ist eine politisch-gesellschaftliche Entscheidung. Es ist auch zu überlegen, wo wirtschaftliche Entwicklung erzielt wird und mit welchen Personen. Haben wir überhaupt genügend Personal im Land? Der Personalmangel betrifft alle Sektoren, aber der Tourismus ist in den letzten zehn Jahren nun einmal stark gewachsen, weshalb eine Diskussion geführt werden muss. Es sind sehr viele Faktoren zu berücksichtigen. Aber ein Bettenstopp im Sinne einer fixen Zahl ist nicht sinnvoll, weil das bedeutet, dass sich Unternehmen nicht mehr weiterentwickeln können. Eine Diskussion und eine Entscheidung braucht es hingegen in der Frage, ob wir den Sektorenmix in eine bestimmte Richtung fördern oder nicht.

Interview: Heinrich Schwarz

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

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