Der No-Vax-Bürgermeister

Andreas Colli
Die Gemeinde Kastelruth hat bisher eine der niedrigsten Impfraten im Lande. Dafür gibt es einige plausible Erklärungen: die von Bürgermeister Andreas Colli verbreitete No-Vax-Propaganda.
von Thomas Vikoler
Kastelruth im Frühjahr 2020: Die Tourismusgemeinde ist eine der Hotspots der ersten Corona-Welle, im Seniorenheim Martinsheim sterben rund 25 Bewohner an Covid-19.
Kastelruth im Herbst dieses Jahres: Die Infektionszahlen sind vergleichsweise niedrig, die Impfrate ist hingegen eine der schlechtesten im Lande.
Laut den Zahlen, welche die Gemeinden wöchentlich von Sanitätsbetrieb erhalten, waren am 24. Oktober in Kastelruth 16,89 Prozent der Personen über 60 nicht geimpft. Das sind immerhin 292 Personen. Der Wert ist innerhalb einer Woche auf 11,1 Prozent gesunken und liegt nun im im Landesschnitt.
Bei den Unter-60-Jährigen weist Kastelruth mit 30 Prozent Ungeimpften einen der schlechtesten Werte im Lande auf, er blieb auch in der dieswöchigen Impfstatistik stabil. 30 Prozent, das bedeutet in einer 7.000-Einwohner-Gemeinde wie Kastelruth, dass 1.200 Personen zwischen zwölf und 60 nicht geimpft sind. Davon abzuziehen sind die offiziell Genesenen.
Vor allem letzterer Wert macht Cristina Pallanch, der für den Bereich zuständigen Gemeindereferentin, Sorgen. Sie hofft, dass sich zumindest einige der Ungeimpften dazu bewegen lassen, sich im Testzentrum in Kardaun zu impfen. Dort wird am Montag eine Impfstation eröffnet.
Doch wie ist die große Impfskepsis in Kastelruth zu erklären?
Das an Toten reiche Frühjahr 2020 hat bei den Impfunwilligen offenbar keinen tiefen Eindruck hinterlassen. Bemerkenswert ist auch, dass im Schulsprengel Schlern für gerade neun Kinder Elternunterricht genehmigt worden ist, lediglich zwei davon sind in der Gemeinde Kastelruth ansässig. Referentin Pallanch sagt, es gebe dort keine klandestinen Zwergschulen.
Es gibt freilich andere Erklärungen für die niedrige Impfrate, insbesondere bei den Unter-60-Jährigen. Da ist einmal ein in Kastelruth tätiger Gemeindearzt, der als militanter Impfgegner gilt und dies auch seinen Patienten nicht verschweigt. Er dürfte (bald) vom Dienst suspendiert werden.
Und dann ist da eine Person, der die öffentliche Gesundheit eigentlich am Herzen liegen müsste: Andreas Colli, der SVP-Bürgermeister. Colli betreibt seit den Anfängen der Corona-Pandemie auf seiner privaten Facebook-Seite massive Propaganda: Gegen die Gefährlichkeit des Coronavirus, gegen die Impfung, gegen den Green Pass. Aktuell wechseln sich täglich frische Landschaftsfotos des passionierten Jägers mit Posts gegen den Grünen Pass ab.
Etwa, am 30. Oktober, eine Video-Stellungnahme des österreichischen FPÖ-Chefs Herbert Kickl mit dem Titel „Keine Pandemie der Ungeimpften“. Oder, am 23. Oktober, einen Beitrag des ultrakonservativen Schweizer Nationalrats Roger Köppel, der von einer angeblichen Harvard-Studie berichtet, wonach eine hohe Impfquote die Verbreitung von Covid-19 nicht aufhalte. Auch die Stellungnahmen der italienischen Philosophen Massimo Cacciari und Giorgio Agamben gegen den Green Pass verwendet Colli auf seiner Facebook-Seite.
Auch wenn der Bürgermeister auf eigene Kommentare verzichtet, ist die Botschaft immer die gleiche: Impfen nützt ebenso wenig wie die Einführung des Grünen Passes. Und man sieht, dass Corona das vormalige Hauptthema der Facebook-Seite des Landtagskandidaten Colli – die Ausrottung des Wolfs – abgelöst hat.
In der Gemeinde Kastelruth sorgen die Umtriebe des Bürgermeisters (auch seine Handhabung der Maskenpflicht) für erhebliche Irritation, sowohl beim Personal als auch in seiner eigenen Ratsfraktion. Doch bisher wurden Collis Position öffentlich kaum in Frage gestellt. Die TAGESZEITUNG hat mehrmals versucht, eine Stellungnahme des Bürgermeisters zu erhalten, bisher vergeblich. Diese Woche weilt er im Urlaub.
Als einer der Gründe für die niedrige Impfquote wird auch die vermeintliche Impfunwilligkeit der Hoteliers auf der Seiser Alm genannt. Der Anlass: Ein Betrieb musste wegen zahlreicher Infektionen vorzeitig die Saison beenden. Doch HGV-Ortsobmann Robert Gobbo bestreitet eine verbreitere Impfskepsis bei den Betriebsinhabern: „Ein Großteil von ihnen ist meines Wissens geimpft. Da sollte man besser mal nachsehen, wie es an der Spitze des Rathauses aussieht.“
Kommentare (59)
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