Duo Infernale
Das Beste, was es seit Jahren in Südtiroler Theatern zu sehen gab: Torsten Schilling inszeniert am Stadttheater Bruneck Shakespeares Macbeth als Schreckenskonzentrat eines Schreckenspaares.
Weiß wie ein gefliestes Leichenschauhaus ist der Bühnenraum, Treppenstufen führen die ganze Breite einnehmend nach oben, der Tod spukt auf einem Videoeinspieler in Form von sonneverdunkelnden Rauchschwaden und Hardrock-Kriegsgetöse schon mal von fern herein. Oder wohnt er gar schon hier?
Es treten auf, besser, es kriechen hervor: die drei „Hellseherinnen der Hölle“, die dem mit blutigem Schwert von der Schlacht heimkehrenden Macbeth die Königskrone prophezeien. Wie Schlingpflanzen aus einem Horrorfilm ranken sich die Hexen um ihn herum und zischeln ihm den Orakelspruch ins Ohr: „Fair is foul, and foul is fair“ und „Hail, Macbeth! Who shall be King hereafter!“
Ein großes Versprechen, ohne die große Influencerin Lady Macbeth wird das jedoch nichts mit dem Aufstieg auf die höchste Stufe der Karriereleiter.
Kein Zweifel: diese Lady macht mords was her. Im Dress-Code einer Karrierefrau von der Management-Etage tritt sie auf: hockhakige Stiefletten, hautnah anliegendes schwarzes Kleid, jeder Zoll eine Tatmenschin, die im Gegensatz zu ihrem grüblerisch skrupulösen Gemahl nicht lange fackelt. Mit einem Blick wie eine brennende Zündschnur fixiert sie ihn. Ein Blick wie eine Überwachungsdrohne ist das, wittert sie doch, dass ihr Mann zu lasch sei, dass es ihm im Gegensatz zu ihr an Maskulinität und „Bosheit, wie sie Männer groß macht“ fehle, dass er „mehr Angst als Entschlusskraft, es zu tun“ habe: „Komm her zu mir, mein Mann?und halber Held, ich mach dich ganz! Ich will dir meinen Willen einhauchen und meine Stärke.“
Ein Thriller-Moment ist diese Szene in Torsten Schillings Inszenierung des Shakespeare Klassikers „Macbeth“ im Stadttheater Bruneck. Das letale Ende ist von dem Augenblick an in Stein gemeißelt. Nach dem Königsmord wird im Dominoverfahren alles wegmordet, was gerade im Weg steht.
Wie Christine Lasta als Lady Macbeth ihren Mann bei seiner Männlichkeit packt, wie sie ihre Schenkel lasziv nach dem Motto „Mord macht geil“ an dem mächtigen Schwert reibt, wie sie alle weiblichen und unweiblichen Register zieht, um ihn anzustacheln, wie sie die Hexen herbeiruft – „Kommt, Geister, die?Ihr Mordgedanken zeugt, entweibt mich hier.?Füllt mich von Kopf bis Fuß mit Grausamkeit“ – kann Klaus Rohrmoser als Macbeth dem monströs Ungeheuerlichen und Unausweichlichen ihres Willens zum Bösen nur noch bewundernd sekundieren: „Du bist aus dem Stoff,?aus dem man Männer macht.“
Macbeth, Lady Macbeth und die Hexen – das ist das Personal, mit dem John von Düffels Fassung des Shakespeare Klassikers auskommt. König Duncan und seine Söhne, Banquo, Macduff – sie alle sind gestrichen, um das mörderische Paar mit sich alleine und gegen den Rest der Welt zu ergründen. Die äußere Handlung verschwimmt vor ihrer mörderischen gegenseitigen Gefangennahme, für die Schilling ein suggestiv schlüssiges Bild findet. Bei ihrer ersten Begegnung umarmen sie sich verschwörerisch, sie steht mit dem Rücken zum Publikum gewandt, er, mit dem Gesicht nach vorne, flüstert ihr in Ohr. „Liebste Gefährtin des Erfolgs“ nennt er sie und sie antwortet: „Dies Dunkle musst du tun, willst du im Lichte stehn.“
Zwei Hälften eines Körpers umschlingen sich da, das Unbegreifliche des Bösen zeigt in ihrer Umarmung seine Poren. Was treibt sie an, was lenkt sie? Bis zum Wahnsinn gesteigerter Ehrgeiz, Rachelust und –durst, dunkle Mächte, eine Todessehnsucht, die tötet, was zu töten geht, um das Töten zu töten? Schilling vermeidet alle platten Aktualisierungen und küchenpsychologischen Psychogramme, bleibt ganz bei der Wucht von Shakespeare blutiger Parabel, die fragt, was an Bösem, an Machtgier, an Irrationalem in jedem von uns steckt. In einer präzisen Choreografie von Worten, Körpern, Videobildern, atmosphärischer Lichtführung (Jan Gasperi) und einer sehr gelungenen Bühne (Sarah Burchia), die mit ihren beweglichen Tüchern an den Wänden im Fortlauf der Handlung immer mehr zum Panikraum von Macbeth´s Hirngespinsten wird, bringt er ein ausweglos beklemmendes Spiel auf die Bühne des Stadttheater Bruneck. Mit den TänzerInnen Sabrina Fraternali, Rebecca Dirler und René Dalla Costa erweitert Schilling das Theater um die Ausdrucksformen des modernen Tanzes. Ineinander verschlungen, zerrend, kriechend, keuchend und hechelnd, formen sie die vielköpfige und vielarmige Ausgeburt eines in Schlaflosigkeit halluzinierenden Hirns.
Christine Lasta als grazile Glamourlady und Klaus Rohrmoser als schwerstiefliger und schwerfüßiger Heerführer, der sich zuerst vor der Tat windet, krümmt und wegduckt, am Schluß aber, als seine Gemahlin sich in den Wahnsinn und den Tod verabschiedet hat, das blutige Geschäft allein zu Ende bringt, brillieren von der ersten bis zur letzten Sekunde. Atemlos folgt man der Mordlogik, den Schuldgefühlen, dem Wahnsinn dieses Duo Infernale bis zur Selbstauslöschung von Lady Macbeth, die kein weißes Kleid mehr rein bekommen kann: „Da ist noch ein Fleck. Da ist immer noch ein Fleck.“
Am Ende steht die Weltauslöschung von Macbeth: „Auf in den Untergang! Umarme mich, Verderben! Ich will die ganze Welt in Trümmern sehen.“
Auf Theater dieser Güteklasse haben wir lange gewartet. Großer Jubel. Großes Glück. (Heinrich Schwazer)
Termine: Weitere Aufführungen unter www.stadttheater.eu
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