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„Die Leute sind verärgert“

Martin Haller

Martin Haller, Präsident des Handwerkerverbandes lvh, warnt vor den Folgen der Green-Pass-Pflicht und fordert flächendeckend Gratistests.

Tageszeitung: Herr Haller, die Green-Pass-Pflicht ab 15. Oktober dürfte das Handwerk ganz besonders treffen, weil die Betriebe kleinstrukturiert sind und stark in der Peripherie vertreten sind, wo die Impfquoten geringer sind. Wie geht man damit um?

Martin Haller: Grundsätzlich werden wir anteilsmäßig nicht stärker betroffen sein als andere Sektoren, aber es stimmt: Kleinbetriebe haben ein großes Problem. Wenn von drei Mitarbeitern einer ausfällt, fehlen 33 Prozent der Arbeitsleistung. Somit sind hauptsächlich wir die Leidtragenden. Auch nicht verständlich ist für uns: Der Betriebsinhaber muss neben seinen vielen Aufgaben auch noch kontrollieren, ob die Mitarbeiter geimpft oder getestet sind. Das ist nicht die Aufgabe der Arbeitgeber und stinkt deshalb vielen. Ein Riesenproblem ist zudem die Testsituation.

Inwiefern?

Im Sommer wurden Testkapazitäten abgebaut – und jetzt tut man so, als hätte man die Situation nicht voraussehen können. Einfach zu sagen, man könne sich ja impfen lassen, ist zu wenig. Denn jeder hat die Freiheit, eine Entscheidung für sich zu treffen. Zudem herrscht in Südtirol Vollbeschäftigung, sodass es schwierig ist, Ersatz zu finden. In Rom wird es schon gut gehen zu sagen, man könne einen Mitarbeiter ohne Pass suspendieren, aber bei uns wird jeder Arbeiter gebraucht, um die Aufträge abzuarbeiten. Die Probleme bekommt der Chef, denn er hat fixe Termine, Vorgaben und Pönalen. Die Green-Pass-Pflicht wird dazu führen, dass der Betriebsinhaber künftig 80 statt 50 Stunden in der Woche arbeiten muss. Bald werden viele sagen, sie wollen nicht mehr weitermachen.

Haben Sie Hoffnung, dass sich bis zum 15. Oktober noch etwas ändert?

Ich hoffe schon, dass die Politik erkennt, dass diese Maßnahme nur zu einer Spaltung der Gesellschaft führt, und dass sie wieder darüber nachdenkt, was Sinn macht und was nicht. Wenn die Möglichkeit von Tests vorgesehen ist, müssen wieder die Kapazitäten vom Frühjahr mit den Testzentren aufgebaut werden. Die Gemeinden sind gefordert zu handeln statt abzuwarten.

Die Testkapazitäten werden im erwarteten Ausmaß wohl nicht möglich sein, da es bei den Antigentests im Gegensatz zu den Nasenflügeltests vom Frühjahr Personal für die Durchführung der Tests braucht…

Im Frühjahr hat es bei den Antigentests auch Personal gebraucht. Das hat relativ gut funktioniert. Natürlich ist es ein Kraftakt, wenn man das durchführen will.

Sie bestehen darauf, dass wieder flächendeckend Teststationen aufgebaut werden?

Ja, diese wird es brauchen. Die Apotheken tun das Möglichste, doch mit drei nötigen Tests pro Woche statt vorher zwei gibt es einen großen Mehraufwand. Dieser ist nur zu bewältigen, wenn alle zusammenhalten.

Welche Rückmeldungen erhalten Sie von den lvh-Mitgliedsbetrieben?

Die Leute sind einfach stuff und verärgert, weil immer alles auf die Betriebsinhaber abgeschoben wird. Es ist Aufgabe der Politik, die Menschen von der Sinnhaftigkeit der Impfungen zu überzeugen und die Vor- und Nachteile aufzuzeigen. Jetzt hat man den Ball den Betriebsinhabern zugeschoben. Nur weiß keiner, was am 15. Oktober effektiv passiert. Viele werden sich weder impfen noch testen lassen – dann muss der Chef die Arbeiten irgendwie weiterbringen. Die Betriebe sind aufgrund der ganzen Situation ohnehin schon überlastet und auch überfordert – das muss man ehrlich sagen. Mit dieser Maßnahme legt man eine weitere Last drauf.

Gehen Sie davon aus, dass sich viel in der Illegalität abspielen wird, wenn es sich Arbeitgeber nicht leisten können, Mitarbeiter ohne Green Pass heimzuschicken?

Ich denke schon, dass man am Ende eine Lösung finden wird und es womöglich zu einem Aufschub der Pflicht kommen wird. Denn ich glaube nicht, dass der Gesetzgeber etwas einfordern kann, wenn es keine Möglichkeit gibt, sich in Ordnung zu bringen. Es kann nicht im Interesse des Gesetzgebers sein, in der jetzigen Situation die Wirtschaft auszubremsen. Wenn wir 20 Prozent weniger Arbeitsleistung haben, gibt es 20 Prozent weniger Wirtschaftsleistung. Und das in einer Situation, in der die Staatsverschuldung ständig steigt und jeder schauen muss, wie er die Steuern zahlen kann. Ich denke schon, dass man es schafft, Lösungen anzubieten. Dafür muss man aber schnell mit der Vorbereitung starten.

Bei Bekanntgabe der Green-Pass-Pflicht vor zwei Wochen waren Sie noch nicht so kritisch. Sind Sie nun generell gegen die Pflicht?

Ich bin immer für den Green Pass in Situationen gewesen, wo er Sinn macht. Etwa für Kellner im Restaurant, wo ja auch die Kunden den Pass brauchen. Aber eine Pauschalmaßnahme macht keinen Sinn. Ein Baggerfahrer auf einem Hügel wird sich nicht anstecken oder das Virus weitergeben. Und ein Familienbetrieb, in dem nur Familienmitglieder arbeiten, kann sich im Wohnzimmer genauso anstecken wie bei der Arbeit. Wenn die Politik jetzt alle gleich behandelt, muss man jedenfalls eine Lösung anbieten. Man kann nicht etwas einführen, ohne dass sich die Menschen in Ordnung bringen können.

Sind Proteste geplant, falls die Pflicht so kommt wie angekündigt?

Nein, wir glauben schon, dass die Politik die Zeichen sieht und Lösungen anbietet. Die Menschen wollen konform arbeiten. Dafür braucht es ein entsprechendes Testangebot. Einige werden sich sicher noch impfen lassen, aber es wird nun einmal eine Gruppe geben, die sich nicht impfen lassen will. Nachdem das Gesetz die alternative Möglichkeit des Tests vorsieht, muss man das auch respektieren.

Sie erwarten Lösungen vonseiten des Staates oder der Landespolitik?

Land und Gemeinden sind gefordert, ein Testangebot zu schaffen und die reguläre Abwicklung der Pflicht zu unterstützen. Wenn man nicht imstande ist, bis zum 15. Oktober Lösungen anzubieten, wird man die Pflicht aufschieben müssen. Bei konstanten Infektionszahlen wie derzeit muss man schon eine gewisse Flexibilität haben. Auch soll die Politik die Leute für die Impfung sensibilisieren, indem auch über Vor- und Nachteile informiert wird.

Fordern Sie Gratistests oder gehen die 15 Euro in Ordnung?

Grundsätzlich ist der Arbeitnehmer selbst für den Test verantwortlich und der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, dafür zu zahlen. Es wird sicher einige Arbeitgeber geben, die lieber die Kosten der Tests übernehmen als dass der Mitarbeiter daheim bleibt, was aber auch nicht richtig ist. Für einen gleichwertigen Zugang muss man allen kostenlose Tests zur Verfügung stellen.

Interview: Heinrich Schwarz

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