„Das Virus wird uns erhalten bleiben“
Der Innsbrucker Mikrobiologe Heribert Insam erklärt, warum die Corona-Pandemie eigentlich nur einem alten Naturprinzip folgt: Wenn ein Organismus sich stark vermehrt (wie eben der Mensch), steigt auch die Zahl seiner Gegner.
TAGESZEITUNG Online: Herr Professor Insam, wann werden wir das Corona-Virus besiegt haben?
Heribert Insam: Wir werden es nie besiegt haben. Das Virus wird uns erhalten bleiben.
Für immer und ewig?
Das Corona-Virus wird uns erhalten bleiben wie die Grippe, es wird nicht mehr aus seinem Habitat verschwinden.
Sie als Mikrobiologe haben zu Viren ein viel entkrampfteres Verhältnis als wir Normalbürger, weil Viren eine wichtige Funktion in Ökosystemen haben. Warum sind Sie ein Fan vor Viren?
(lacht) Ich bin kein Fan von Viren, aber sie gehören zum Leben dazu wie alle anderen Organismen auch. Die Viren haben eine wichtige Rolle in der Verbesserung der genetischen Vielfalt vieler Organismen und sind wichtige Regulatoren in Ökosystemen …
Damit meinen Sie?
Für ein Ökosystem ist es wichtig, dass nicht irgendwelche Spezies überhandnehmen. Ich nenne Ihnen ein Beispiel, das ich selbst vor einigen Jahren in Argentinien erlebt habe: Es gibt dort eine Bambus-Art, die alle 70 Jahre blüht, alle 70 Jahre gibt es also Samen. Wenn es viele Samen gibt, vermehren sich bestimmte Nagetiere sehr stark, unter anderem die sogenannte Langschwanz-Zwergreisratte. Diese Landschwanz-Zwergreisratte vermehrt sich dann irrsinnig stark, die Population dieser Ratten explodiert und erreicht eine extrem hohe Populationsdichte auf einem sehr engen Raum. Und wenn diese Ratten auf engem Raum sind, dann können Krankheitserreger die Ratten befallen und sich wiederum sehr gut vermehren. Im konkreten Fall ist es das Hanta-Virus, das die Population dieser Zwergreisratte dezimiert. Ohne dieses Hanta-Virus würde die Ratte sich weiter vermehren, aus den Bambus-Wäldern ausbrechen und noch viel mehr Schäden anrichten.
Damit wären wir beim ökologischen Konzept „Kill the winner“ (Tod den Siegern), das Sie so gern zitieren und das besagt: Wenn ein Organismus sich ganz stark vermehrt, steigt auch die Zahl seiner Gegner …
Richtig. Diese Zwergreisratte ist der Winner dieser Bambus-Vermehrung, aber durch die Populationsdichte bekommt das Hanta-Virus eine Chance, sich selbst zu vermehren und die Zwergreisratte zu dezimieren.
Kann man dieses Prinzip auf das Corona-Virus umlegen und sagen: Das Corona-Virus will uns Menschen dezimieren?
Von Wollen ist keine Spur.
Anders gefragt: Will die Natur uns Menschen mit der Corona-Pandemie loswerden?
Nein, die Natur verfolgt kein besonderes Ziel. Das Virus vermehrt sich und nutzt den Menschen als Wirt. Ein erfolgreiches Virus wird auf Dauer nicht sehr tödlich sein, sondern vermehrt sich, ohne den Wirt zu töten. Auch das muss sich beim Corona-Virus erst noch einspielen, weil es noch zu tödlich ist. Ich bin aber überzeugt, dass sich am Ende die Virus-Varianten durchsetzen werden, die ansteckender sind, aber vielleicht nicht mehr so tödlich.
Was macht das Corona-Virus so einzigartig?
Weil man nicht weiß, wo sein Ursprung liegt. Aber so einzigartig ist es ja nicht. Die Gene und die Spikes sind relativ labil.
Sie haben in ihrem Rattenbeispiel die Populationsdichte angesprochen: Das Virus tut sich in Großstädten leichter?
Genau. Das gilt für Großstädte genau wie für große Menschenansammlungen. In einem Klassenzimmer, in Konzertsälen, bei Partys, überall wo viele Leute zusammen sind, da hat das Virus eine Chance. Diese Dynamik hat sich erst geändert, als wir Gegenmaßnahmen getroffen haben. Das Social Distancing, das wir betreiben, ist nichts anderes als die Möglichkeit, durch Auseinanderrücken eine Infektion zu verhindern.
Also wird der Mensch am Ende doch der Winner sein?
Genau.
Warum schafft es nur der Mensch, sich ungehemmt zu vermehren?
Ganz so ist es auch wieder nicht! So ungehemmt vermehrt sich der Mensch nicht mehr. Das Bevölkerungswachstum auf der Erde ist stark eingebremst. Was aber stimmt: Der Mensch dominiert die Ökosysteme, weil er mit seinen technischen Hilfsmitteln die Fähigkeit hat, das Leben für andere Organismen zu erschweren. Durch das Kill the winner-Prinzip hat sich in den Ökosystemen unserer Erde im Laufe von Millionen Jahren ein Gleichgewicht eingestellt. Der einzige Organismus, der das Gleichgewicht des Ökosystems der Erde ins Wanken bringt, ist der Mensch.
Wenn es keine Viren mehr gäbe, hätten wir ein Problem?
Dass alle Viren verschwinden, ist eine sehr fiktive Darstellung. Aber es stimmt: Die Erde ist ein sehr gut eingespieltes und komplexes Ökosystem. Würde man da etwas herausnehmen, dann kann natürlich passieren, dass das ganze System zusammenbricht.
Sie verwenden in Zusammenhang mit Corona auch gern die These des Räuber-Beute-Systems und sagen: Steigt etwa die Anzahl der Hasen im Wald, nimmt auch die Erfolgsrate des Fuchses zu, einen Hansen zu erlegen. Was sagt uns dieser Vergleich zu Corona?
Es geht generell darum, dass mit dem Erfolg eines Organismus auf unserer Erde auch die Zahl seiner Gegner ansteigt. Im Falle von Corona würde ich von einer Wirt-Parasit-Beziehung sprechen. Die Chancen von Bakterien, Viren und anderen Gegenspielern des Menschen, sich zu verbreiten, steigen mit der menschlichen Populationsdichte.
Die Pandemie folgt einem alten Naturprinzip?
(lacht) Ja, wer nix wird, wird eben Wirt.
Welche Lehren werden wir am Ende aus dieser Pandemie ziehen?
Dass man so gescheit sein soll, jede Möglichkeit, die die Wissenschaft bietet, um diesem Virus Einhalt zu gebieten, zu nutzen. Im Klartext: sich impfen zu lassen.
Interview: Artur Oberhofer
Zur Person
Heribert Insam ist 1957 in Zell am See geboren. Er ist Mikrobiologe und Uni-Professor in Innsbruck. Er ist bekannt für seinen Arbeiten auf dem Gebiet der Mikrobiellen Ökologie. Seit 2011 leitet der Forscher mit Südtiroler Wurzeln das Department für Mikrobiologie an der Uni Innsbruck.
Kommentare (49)
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