Auf Monster folgt Monster
Torsten Schilling inszeniert für das Meraner Theater in der Altstadt mit vier SchauspielerInnen Shakespears Königsdrama Richard III .
Englands Krone hängt an einem kahlen Ast. Aus nachtschwarzer Düsternis wirft das Clair-obscure-Objekt der Begierde ein schwaches Licht in die Dunkelheit, als ob es sie noch dunkler machen wollte. Vier SchauspielerInnen stürmen an die Rampe und reden frontal in heillosem Durcheinander auf das Publikum ein – offenbar wollen sie das Stück erklären, das sie jetzt gleich spielen werden. Sinnlos. Man versteht kein Wort, doch was gibt es schon groß zu erklären, wenn die Schwerter die einzig verständliche Sprache sprechen.
Man hört Kampfgeräusche, Kriegsgetümmel, die SchauspielerInnen schlüpfen in ihre Gewänder, gehen mit mächtigen Schwertern in der Hand auf die Krone zu. Der hundertjährige Rosenkrieg der Yorks und Lancaster um den englischen Thron ist zugunsten der Yorks entschieden („Der Winter unsres Unglücks ist vorbei“) – das heißt, die Schlachtbank ist eröffnet, denn einer hat keinen Spaß in „dieser faden Friedenszeit.“ Richard, der Fünfte in der Thronfolge, ist ein „Mann, den niemand lieben kann“. „Mit blutdurchtränkter Axt“ macht er Jagd auf die Krone, räumt alles und jeden aus dem Weg, der ihn daran hindern will, ein Mensch ist für ihn Fleisch, in das man ein Schwert hineinsteckt und auf dem Amoklauf zur Macht fallen nun einmal dummerweise Kollateralschäden an:?„Ja, ich kann mit einem Lächeln morden“, sagt er. Am Ende steckt in ihm ein Schwert, „das Monster ist tot“ jubelt der Chor und der Sieger Richmond setzt sich selbst die Krone auf: „Gelobt sei ich und gelobt sei mein Schwert“ sagt er. Auf Monster folgt Monster.
„Richard III.“ – das ist Shakespeares gnadenlosestes Drama und dessen titelgebende Figur der Theater-Bösewicht par excellence, ein Fiesling, dessen Weg mit Kinderleichen gepflastert ist, ein gruseliger Finstermann, der für skrupelloses Machtstreben in der Politik steht, aber eben auch ein Ausgegrenzter mit einem zutiefst verletzten Selbstwertgefühl ist – hässlich, buckelig, klumpfüßig, ein Krüppel – von dem die eigene Mutter Cecily sagt: „O, ich hätte deinen blutgen Weg sogleich beenden müssen, hätt dich erwürgen müssen in meinem Bauch und so die Welt vor dir verschonen.“
Was hat aus Richard einen Psychopathen werden lassen, eine Bestie ohne alle Skrupel?
Die Frage nach dem Warum steht unvermeidlich auch in Torsten Schillings Inszenierung für das Meraner Theater in der Altstadt im Raum, aber sie begnügt sich nicht mit Küchenpsychologie, wonach die Übermutter an allem Schuld ist. „Nun, sagen wir, ich spüre seit ich Kind bin schon/ So eine gewisse Zurückhaltung deiner Liebe“ antwortet Richard seiner „kalten Rabenmutter“, die sich nichts mehr wünscht als den Tag zu erleben, an dem ihr gesagt wird: „Das Monster ist tot“.
Die Pandemie hat die Premiere mehrfach verunmöglicht, jetzt kann es endlich aufgeführt werden. Allerdings nicht am Stammsitz selbst, sondern im KIMM in Obermais. Schilling inszeniert, basierend auf der Übersetzung und Bearbeitung von Helena Scheuba für vier SchauspielerInnen, ein in jedem Schritt, jedem Satz, jedem Trommelschlag wie ein Uhrwerk getaktetes Spiel, das die Härte, Kälte und Blutrünstigkeit von Shakespeare herausstreicht und insofern ein „richtiger“ Shakespeare ist. Fasziniert wohnt man einem gleichsam mechanisch ablaufenden Schlachtfest bei. Jeder Mord ist das Vorspiel für den nächsten.
Mit dem nackten Zweig, an dem die Krone wie an einer Garderobe hängt, ist Kerstin Kahl eine Bühne gelungen, die wie ein Menetekel über dem Spiel thront. Die Kostümbildnerin Katrin Böge hat die SpielerInnen in Steppstoffe gesteckt, deren Schnitte historisierend und zugleich modern sind. Das Ganze ist in kaltes Licht getaucht, das allein schon von beklemmender atmosphärischer Ausdruckskraft ist. Mit einer ganzen Batterie von Trommeln und choreographischer Exaktheit wie in einem Kurosawa Film untermalt und seziert Max Castlunger die Stimmung auf der Bühne. Jeder Schlag sitzt wie ein Schwerthieb.
Schilling seinerseits treibt das Spiel mit sprühenden und mit wahrlich shakespearschem Humor gesegneten Regieideen voran. Die mächtigen Schwerter dienen als Grabkreuze, wann immer Richard wieder jemand gekillt hat, kippt er einen Müllsack voll Herbstlaub zu einem Grabhügel auf. Der Mörder ist immer der Gärtner.
Epizentrum des vierköpfigen Ensembles ist Margot Mayrhofer als Richard und sie spielt furios. Dass der Bösewicht weiblich (mit Schnurrbart) besetzt ist, setzt der Inszenierung schlagartig ein witziges Gendersternchen auf. Sie hinkt nicht, sie hat keinen Buckel, ihr Äußeres lässt auf keinen Charakter schließen, sie bettelt nicht um Verständnis für ihre Mordlust, sie wirkt nie furchterregend, erst recht nicht mitleiderregend, sie zieht ihr Ding kühl, berechnend und mit einem Lächeln auf den Lippen durch. Manipulativ und doppelzüngig bis auf die Knochen schmiert sie Richards Gegenspielern Honig ums Maul, während sie – uralter Theatertrick – mit dem Publikum charmiert und das Gegenteil sagt. So sehr dieser Richard auf Schlachtplatte steht, Humor kann man ihm nicht absprechen.
Marlies Untersteiner, Katharina Gschnell und Günther Götsch haben eine Menge Figuren – von den Prinzen, der Matriarchin, der Mutter, der einsamen Prinzessin Anne, der Königin, Buckingham, Hastings, Tyrell bis zu den beiden Mördern zu bewältigen – und sie halten der Hauptfigur locker stand. Kurz und prägnant erfüllen sie jede Figur mit Leben. Große Begeisterung nach der Premiere für ein tolles Ensemble und eine starke Inszenierung.
(Heinrich Schwazer)
Weitere Termine: So. 19.09./ So. 26.09./ Di. 28.09./ Mi. 29.09./ Do.30.09.2021. Beginn 20.30 Uhr, an Sonntagen um 18.00 Uhr im KIMM, Meran.
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