Der vorletzte Festivaltag
Am vorletzten Festivaltag bei Tanz Bozen stehen Maria Hassabi, Chiara Bersani und Marco D’Agostin auf dem Programm.
Der vorletzte Festivaltag von Tanz Bozen steht ganz im Zeichen dreier KünstlerInnen. Den Anfang macht um 18 Uhr Maria Hassabi mit ihrer ortsspezifischen Performance Untitled (2021) im Museion (29. und 30. Juli, 18 Uhr, freier Eintritt bei Voranmeldung an der Kasse des Stadttheaters). Die Performance ist Teil der ersten Einzelausstellung von Jimmy Robert in Italien.
Im Foyer des Stadttheaters folgt um 19.30 Uhr das neue Solo von Chiara Bersani, L’Animale (zwei Vorstellungen um 19.30 und 20.15 Uhr, 5 €). Diese italienische Erstaufführung, eine zeitgenössische Interpretation von Der sterbende Schwan ist Teil des Projekts Swans never die.
Marco D’Agostin beschließt den Abend mit dem kraftvollen und überbordenden Best Regards, eine Hommage an den großen britischen Tänzer Nigel Charnock (Studio Theater, 21 Uhr, € 22).
UNTITLED (2021) von Maria Hassabi eröffnet den Abend um 18 Uhr im Museion. Die Künstlerin mit zypriotischen Wurzeln arbeitet in New York und präsentiert in Bozen ihre jüngste Arbeit: ein Stück über Transformation, im Spannungsfeld zwischen fein gemeißelter Körperlichkeit und der Dehnung der Zeit. Mit ihrem unverkennbaren Stil im Zeichen von Ruhe und Entschleunigung zeigt Hassabi alltägliche Bewegungen. Zart geht sie dabei von einer in die nächste über, verändert ihre Körperhaltung mit einer kaum wahrnehmbaren Langsamkeit. Die Anstrengung, etwa eine vertikale Position zu halten, wird so sichtbar, ja fast greifbar. Die Performance von Hassabi, Trägerin eines Bessie Award und eines Performa Malcom Mclaren Award, ist Teil der Jimmy Robert Retrospektive Mirror Language-ON NOW im Museion. Die rund vierzig Arbeiten auf Papier, Installationen, Fotografien, Videos, Filme und Künstlerbücher aus den letzten zwanzig Jahren seiner Karriere stehen in engem Zusammenhang mit wichtigen Figuren des amerikanischen postmodernen Tanzes, etwa von Yvonne Rainer.
Um 19.30 Uhr steht im Foyer des Stadttheaters das Solo L’Animale von und mit Chiara Bersani auf dem Programm. Entstanden ist das Auftragswerk im Rahmen des Projekts Swans never die, für das verschiedene Künstler beauftragt wurden, das berühmte Solo Der Sterbende Schwan von Mikhail Fokin für Anna Pawlowa in zeitgenössischen Tanz zu übersetzen. Die in Lodi geborene Künstlerin, Choreografin, Dramaturgin, Mitarbeiterin von Alessandro Sciarroni und Marco D’Agostin hat eine Strophe von Franco Battiatos Lied L’Animale (aus dem Album Mondi Lontani) gewählt, um das ikonische Schwanensolo des 20. Jahrhunderts „umzuschreiben“. Chiara Bersani leidet an Osteogenesis imperfecta, einer Form der Knochenbrüchigkeit, und gibt in diesem intensiven Lied „dem Tier, das du in dir trägst und das du um Erlaubnis bitten musst, es zu treffen“, eine Stimme.
Den Abend beschließt im Großen Saal des Stadttheaters ab 21 Uhr Best Regards, ein kraftvolles Solo von Marco D’Agostin, der am Samstagabend bereits in Alessandro Sciarronis FOLK-S performte. Best Regards ist eine getanzte und gesungene Hommage an Nigel Charnock, diesen charismatischen Bühnenkünstler, der in den 1980er-Jahren Mitbegründer des legendären DV8 war und 2012 im Alter von 52 Jahren verstarb.
Best Regards (Herzliche Grüße) hat seinen Ursprung in einem nie abgeschickten Brief der Tänzerin und Choreografin Wendy Houstoun, den sie nur wenige Tage nach Charnocks Tod an ihren lieben Freund und Kollegen schrieb, und andererseits Marco D’Agostins persönlicher Begegnung mit dem großen britischen Performer im Jahr 2010. „Charnock hat meine Einstellung zum Tanz für immer verändert“, erinnert sich der Autor des Stücks. „Nigel hat mir vor Augen geführt, dass auf der Bühne alles passieren kann.“ Nigel Charnocks Aufführungen waren tatsächlich pulsierende Explosionen, in denen sich Tanz, Gesang, Geschrei und Improvisation vermengten, Fiktion und greifbare Realität der Performance schwebten über einem klaffenden Abgrund. Charnock ist es gelungen, den Genrebegriff „zeitgenössischer Tanz“ um ein großes Stück zu dehnen, indem er die Möglichkeiten der Kunst, die David Foster Wallace „failed entertainement“ (gescheiterte Unterhaltung) genannt hätte, zur Perfektion brachte. Alles an ihm war pure Energie, Begehren, Verlangen. Und doch, wie es in seinem Solo One Dixon Road verzweifelt wiederholt, „there’s nothing else, it’s nothing, nothing“: es gibt nichts anderes, nichts, das Sinn ergibt.
Mit seinem Solo schickt D’Agostin Nigel eine Botschaft, in der er versucht, selbst ein wenig „too much“ zu werden, auf eine so überbordende und extravagante Weise, wie der Publikumsmagnet Nigel Charnock es war. Der getanzte Brief vereint Vergangenheit und Gegenwart, projiziert Nigels Glanz in die heutige Zeit, indem er dessen Geschichte auf einem weißen Blatt neu schreibt.
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