„Ein Stein vom Herzen gefallen“
Die Tischtennisspielerin Debora Vivarelli hat sich erstmals für die Olympischen Spiele qualifiziert. Im Interview spricht die 28-Jährige über den harten Weg nach Tokio, ihre Corona-Infektion und über ihre Chancen auf eine Medaille.
Tageszeitung: Frau Vivarelli, haben Sie überhaupt schon so richtig realisiert, dass Sie nach Tokio fahren werden?
Debora Vivarelli: Ich habe bereits letztes Jahr damit gerechnet, dass ich es schaffen könnte, damals war es aber noch nicht offiziell. Wir haben uns bereits letztes Jahr ausgerechnet, dass meine Position in der Rangliste für die Qualifikation reichen müsste, aber im März wurde diese Rangliste dann wegen Corona eingefroren. Seitdem hat sich dann aber nicht viel verändert, weil es auch kaum Turniere gab, weshalb ich auch heuer sehr stark gehofft habe. Aber trotzdem war die Freude groß, als Anfang Juni endlich schwarz auf weiß feststand, dass ich nach Tokio fahren werde. Das war ein ganz anderes Gefühl.
Wie haben Sie von dieser Entscheidung erfahren?
Ich wusste zwar, dass die Rangliste Anfang Juni veröffentlicht wird, hatte mir aber nicht erwartet, dass sie schon am 1. Juni kommt. Ich war an diesem Tag noch im Bett als mich meine Schwester dann angerufen und mir gesagt hat, dass die Liste veröffentlicht wurde und mein Name drauf steht. Mir ist dann wirklich ein Stein vom Herzen gefallen, es war so, als wenn ich den tausend Kilo schweren Rucksack auf meinem Rücken endlich ablegen konnte. Es hat jetzt einfach lange gedauert und auch im Vorjahr konnten wir nur abwarten und deswegen ist diese Nachricht für mich, für meine Familie, für den Verein aber auch den Verband wirklich mega.
Für Sie ist es die erste Olympia-Teilnahme. Was erwarten Sie sich von den Olympischen Spielen?
Ich glaube, egal wie gut man sich an große Turniere gewöhnt hat, Olympia ist einfach immer etwas anderes. Ich möchte deswegen nur ruhig und gut spielen – aber ich glaube, es wird sicher nicht ganz einfach sein, in Tokio mit diesen Emotionen umzugehen.
Wie sind Sie eigentlich zum Tischtennissport gekommen?
Ich spiele, seit ich sechs Jahre alt bin, Tischtennis, weil auch meine Eltern Tischtennis gespielt haben. Ich bin praktisch in der Halle aufgewachsen (lacht) und auch meine Schwestern haben Tischtennis gespielt. Tischtennis ist bei uns sozusagen Familiensache: Meine Mama ist Präsidentin unseres Vereins und mein Trainer ist der Mann meiner großen Schwester.
Wird an Feiertagen dann mit der Familie Tischtennis gespielt?
(lacht) Das ist ein kleines „Problem“. Für mich ist Tischtennis meine Arbeit und am Wochenende möchte ich deswegen meine Ruhe haben – ich bin dann auch immer ganz streng mit meinen Eltern und meinen Geschwistern, dass ich in meiner Freizeit nicht über Tischtennis diskutieren will.
Also gibt es keine Familienturniere?
Nein (lacht), ich habe Zuhause gar keinen Tischtennisball.
Sie waren kürzlich bei der EM in Warschau. Sind Sie zufrieden mit Ihrem EM-Ergebnis?
Ich war schon im Hauptfeld gesetzt, hatte aber etwas Pech bei der Auslosung und habe eine junge Französin erwischt, die wirklich ein Mega-Talent ist und sich bereits mit 16 Jahren für Olympia qualifiziert hat. Ich muss aber auch sagen, dass ich nicht zu 100 Prozent trainiert war, weil wir zuletzt einfach viele Spiele gespielt haben und mein Kopf vielleicht auch schon ein bisschen bei den Olympischen Spielen war.
Sie sind die einzige italienische Tischtennisspielerin bei Olympia. Macht Sie das besonders stolz oder ist der Druck deswegen größer?
Ich bin wirklich stolz, mache mir deswegen aber keinen Druck. Ich setze mir kein spezielles Ziel, weil viel von der Auslosung abhängen wird – ich möchte einfach nur gut spielen und diese Zeit genießen, weil ich hart dafür gearbeitet habe. Ich habe in den letzten Jahren wirklich alle Turniere gespielt und war nur noch im Auto und Flieger unterwegs, um mich über die Rangliste für Olympia zu qualifizieren – ich habe mir wirklich jeden Punkt geholt. Aber es hat sich ausgezahlt.
Wegen Corona wurden die Olympischen Spiele um ein Jahr verschoben. War das gut oder eher schlecht für Sie?
Es hat in erster Linie bedeutet, dass ich wieder warten muss. Ich hatte das Ticket für Tokio schon fast in der Hand und dann hat man es mir wieder weggenommen. Das war sicher nicht angenehm, aber andererseits konnte ich wirklich viel trainieren, weil es keine Turniere gab. Ich war wirklich in Top-Form. Leider bin ich dann im November an Covid-19 erkrankt und war 25 Tage lang im Bett, weil es mir überhaupt nicht gut ging. Ich war auch danach physisch wirklich am Boden und habe nur schwer wieder zurückgefunden. Seit Mai geht es mir aber wieder gut.
Tischtennis ist die schnellste Rückschlagsportart der Welt, trotzdem ist die öffentliche Aufmerksamkeit für den Sport geringer. Wie können Sie sich das erklären?
Wie wir alle wissen, gibt es in Italien eigentlich fast nur Fußball. Es ist manchmal wirklich ungut zu sehen, wie hart wir trainieren und wie viel wir investieren, wenn man das dann mit den Gehältern oder der Aufmerksamkeit vergleicht, die andere Sportler im Gegensatz zu uns erhalten. Wir versuchen hier aber gerade wirklich auch gemeinsam mit dem Verband aktiv zu werden und die sozialen Medien haben uns sicher schon einen Schritt weiter gebracht.
Frau Vivarelli, was ist in Tokio möglich?
Von einer Medaille zu reden, traue ich mich nicht. Natürlich werde ich mein Bestes geben, aber es wird wirklich schwer werden. Ich will aber auf jeden Fall Spaß haben und alles geben.
Interview: Lisi Lang
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