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„Müssen schnell sein“

Die Delta-Variante stellt eine Gefahr dar, sagt die Primaria für Infektionskrankheiten, Elke Maria Erne. Ob auch Südtirol bald zu härteren Maßnahmen greifen muss.

Tageszeitung: Frau Erne, Israel, England, Portugal und viele andere Länder greifen wegen der Ausbreitung der Delta-Variante nun zu härteren Maßnahmen. In Australien gibt es gar wieder lokale Lockdowns. Droht Süüdtirol ein ähnliches Szenario?

Elke Maria Erne: Das Coronavirus hatte bereits viele Varianten. Einige Varianten waren nicht so schlimm, weil sie sich nicht durchsetzen konnten, andere sind dagegen deutlich schlimmer. Beispielsweise hat uns die Alpha-Variante (englische Variante) die dritte Welle gebracht. Wenn man nun bedenkt, dass die Delta-Variante 40 bis 60 Prozent ansteckender ist als die englische Variante, spricht das glaube ich für sich. Erschwerend kommt hinzu, dass es eine Immunescape gibt. Das heißt, Personen, die nur ein Mal geimpft sind, können sich mit der Delta-Variante anstecken. Erst heute kam diesbezüglich ein Rundschreiben vom italienischen Gesundheitsministerium. Weil erst 25 Prozent bei uns den Impfzyklus abgeschlossen haben, sind also 75 Prozent derzeit noch gefährdet und könnten sich damit infizieren. Zudem haben wir bei den 60- bis 70-jährigen viele, die noch nicht geimpft sind. Wenn das so bleibt, könnte die Bettenbelegung schnell wieder stark ansteigen.

Ist es mittlerweile erwiesen, dass die Delta-Variante für eine höhere Hospitalisierungsrate sorgt?

Ja, die Hospitalisierungsgefahr ist zwei Mal so groß wie bei der englischen Variante. Auch die Krankheitsbilder sind deutlich aggressiver. Voraussichtlich wird die Delta-Variante bis Ende August oder Anfang September dominierend in ganz Europa sein. Experten nehmen an, dass 90 Prozent aller Fälle Delta-Varianten sein werden. Wir stecken derzeit also mitten in einem Wettlauf zwischen der Delta-Variante und der Impfung. Wenn wir jetzt schnell genug sind, können wir noch ohne großen Schaden davonkommen.

In Großbritannien und Israel waren große Teile der Bevölkerung bereits geimpft, dennoch mussten nun die Maßnahmen verschärft werden. Wie konnte es so weit kommen?

Die Gefahr auf Intensiv oder prinzipiell ins Krankenhaus zu kommen, ist zwar vor allem für ältere groß, aber nimmt mit der Delta-Variante auch bei Jüngeren zu. Das eigentliche Problem ist aber, dass sich das Impfgeschehen vor allem bei den Jüngeren abspielt. So war es zumindest in Großbritannien. Dort kam es beispielsweise in den Schulen zu Infektionen und die Jungen haben es in ihre Familien hineingetragen. Dadurch wurden dann auch Personen ältere Personen angesteckt. Jüngere waren also nicht geimpft und haben dadurch ältere Personen angesteckt, was zu einem Bettenanstieg geführt hat. In Großbritannien hat man vor allem auf die Erstimpfung gesetzt und diese vorangetrieben. Auch in Israel war man bei den Zweitimpfungen zu langsam.

Wie stark hat sich die Delta-Variante in Südtirol bereits verbreitet?

Ich kenne nur den Stand der letzten Erhebung, die vor wenigen Tagen durchgeführt wurde. Da waren wir bei zwölf Prozent. Das heißt nicht, dass zwölf Prozent aller Positiven mit der Variante infiziert wurden, sondern dass bei zwölf Prozent aller Sequenzierungen die Delta-Variante nachgewiesen wurde. Sequenziert wird aber nur, wenn es den Verdacht gibt.

Weiß man derzeit noch, wer Kontakt mit den Personen hatte, die sich mit der Delta-Variante infiziert haben? Wie viel wird derzeit sequenziert?

Die ersten 20 Fälle konnten wir glücklicherweise sehr schnell isolieren. Bisher haben wir das Geschehen noch im Blick, wenn die Infektionen aber weiter zunehmen, wird die Nachverfolgung nicht mehr machbar sein, weil man jeden einzelnen Test sequenzieren muss. Wie lange das noch so bleibt, kann ich allerdings nicht sagen. Denn es kann schnell passieren, dass sich die Anzahl der Fälle verdoppelt. Dann wird es schon schwieriger. Derzeit sequenzieren wir dann, wenn es einen Verdachtsfall oder einen Cluster wie in Lüsen gibt. Außerdem gibt das Ministerium in Rom eine Mindestanzahl an Sequenzierungen vor.

Zeigen sich bereits erste Auswirkungen der Delta-Variante in Südtirol?

Ja, das kann man so sagen. Die Patienten in meiner Abteilung haben in dieser  Woche leicht zugenommen. Vorher haben wir zwei Patienten behandelt, jetzt sind es sechs beziehungsweise sieben. Zwei davon haben einen schwereren Verlauf. Es handelt sich derzeit allerdings nur um einen langsamen Anstieg. Alle Patienten, die derzeit im Krankenhaus behandelt werden, sind aber ungeimpft.

Sie haben gesagt, mit der Impfung könne Südtirol schlimmeres noch verhindern. Wie viele Personen müssten dazu geimpft sein?

Wir haben derzeit genügend Impfstoffe zur Verfügung und könnten schärferen Maßnahmen noch ausweichen, wenn sich jetzt genügend impfen. Denn derzeit sind die Schulen geschlossen und viele sind noch im Freien. Daher lautet die Devise, dass wir jetzt so viele wie möglich impfen müssen. Wie viele wir impfen müssen, bis wir sicher sind, ist schwer zu sagen. Je höher die Infektiosität ist, desto mehr Geimpfte braucht es. Derzeit müssten 88 Prozent aller Personen geimpft sein, damit wir nicht Gefahr laufen, ein höheres Infektionsgeschehen mitzuerleben.

Viele Südtiroler wollen mit ihrer Impfung bis zum Herbst warten, da die Infektionslage derzeit entspannt wirkt…

Das ist das Schlimmste was man machen kann. Wenn man sich jetzt nicht impft, dann ist man im Herbst der Infektion ausgesetzt, man steckt andere Leute an und läuft Gefahr selbst schwer zu erkranken. Das ist ein Teufelskreis. Entweder man impft jetzt so schnell wie möglich, um diesen Wettlauf zu gewinnen, oder eine vierte Welle kommt auf uns zu. Die Experten gehen davon aus, dass das Ende August oder Anfang September so sein wird. Wie groß diese Welle sein wird, wissen wir noch nicht. Das hängt insbesondere davon ab, wie viele Personen sich impfen lassen.

In Israel sind Personen trotz Impfung mit der Delta-Variante verstorben. Gibt das Grund zur Beunruhigung?

Ganz grundsätzlich gilt: Wer zwei Mal geimpft ist, ist gegen die Delta-Varianten geschützt. Das ist inzwischen klar. Bei den Toten in Israel handelt es sich um ältere Personen. Dass ältere Personen trotz Impfung am Virus verstorben oder schwer erkrankt sind, kommt leider vor, da das Immunsystem nicht besonders stark ist. Wenn diese Personen bereits im Februar oder März geimpft wurden, kann es gut sein, dass die Antikörper sich bereits wieder abgebaut haben. Wenn man aber ein gesundes Immunsystem hat, ist man vor schweren Verläufen auch durch die Delta-Variante geschützt. Das ist mittlerweile erwiesen.

Die Impfquote in Südtirol liegt derzeit bei rund 50 Prozent und will nicht mehr richtig ansteigen. Wie kann man die Leute von der Impfung überzeugen?

Ich glaube, die Delta-Variante sollte Warnung genug sein. Man sieht es ja in anderen Ländern. Zudem ist die Infektion, selbst wenn sie nur mild verläuft, nicht ohne. Eine Infektion mit der Delta-Variante hat abgesehen von den Symptomen nichts mehr mit einer normalen Grippe zu tun. Viele leiden während dieser Zeit und 20 Prozent aller Erkrankten leiden an Post-Covid. Auch das sollte ein Warnung sein. Manchen Leuten kann man freilich erzählen was man will, die werden einem nie glauben, aber alle unsichere Personen sollten sich nun der Gefahr bewusst werden und sich impfen lassen. Der Sanitätsbetrieb tut dazu bereits sein Bestes. Wir impfen in den Tälern, beziehen die Hausärzte mit ein und klären auf. Jetzt braucht es nur noch die Bereitschaft.

Was passiert, wenn wir bis Ende August oder Anfang September bei dieser Impfquote bleiben?

Man kann das unmöglich genau vorhersagen, aber wenn wir nicht mehr impfen, dann kann ich garantieren, dass die Bettenbelastung steigen wird. Ich hoffe, dass sie nicht so sehr steigt wie in anderen Ländern, aber ein Anstieg wird unvermeidbar sein, wenn die Impfquote auf diesem Niveau bleibt. Daher lautet die Devise: Impfen, impfen und nochmal impfen.

Interview: Markus Rufin

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