Mehr Unfälle wegen Corona?
Auf Südtirols Straßen herrscht wieder reger Verkehr – und die Unfallmeldungen häufen sich. Allein in den letzten drei Wochen wurden über 100 Zwischenfälle verzeichnet. Weit mehr als vor Corona-Zeiten? Oder täuscht der Eindruck?
von Erna Egger
Eine Unfallmeldung folgt der nächsten: Nach dem Lockdown und den schrittweisen Öffnungen hat auch der Verkehr auf Südtirols Straßen wieder stark zugenommen. Seit die Quarantänepflicht für Urlauber gefallen ist, sind auch wieder Touristen im Land – und auf der Autobahn herrscht wieder regelmäßig Stau.
Mit dem erhöhten Verkehrsaufkommen kommt es auch wieder vermehrt zu Unfällen auf den Straßen. Der mittlerweile entstandene Eindruck: Die Anzahl der Unfälle ist weit höher als vor der Pandemie. Coronabedingt? Weil den Lenkern mittlerweile die Fahrpraxis fehlt? Oder täuscht der Eindruck?
Christoph Oberhollenzer, Direktor im Landesfeuerwehrverband, hat die Unfalldaten anhand der Einsatzberichte der Wehrkräfte von 1. bis 21. Juni in den Jahren 2019, 2020 und 2021 verglichen: Immerhin werden die örtlichen Feuerwehren bei fast jedem Unfall zum Einsatz gerufen.
Das Resultat: In den drei Wochen im Juni 2019 standen die Wehren in Südtirol bei 94 Unfällen im Einsatz. 2020 herrschte noch Teillockdown, keine Touristen waren im Land, wodurch ein reduziertes Verkehrsaufkommen herrschte. 58 Unfälle wurden vermeldet. „Und heuer, im selbigen Zeitraum, wurden rund 100 Verkehrsunfälle verzeichnet“, so Oberhollenzer.
Seine Annahme hat sich somit bestätigt: „Laut unseren Daten befinden wir uns auf dem Niveau von 2019.“
Für ihn kein überraschendes Ergebnis: „Auch die Brände anbelangend wurde seitens der Presse vermutet, dass es eine Zunahme gibt. Nach Auswertung der Statistik stellte sich heraus, dass die Anzahl der Einsätze vergleichbar mit anderen Jahren ist. Eher gab es ein paar Brände weniger.“
Dass der Eindruck täuscht, betont auch der Verkehrspsychologe Max Dorfer.
Tageszeitung: Herr Dorfer, es ist der Eindruck entstanden, dass letzthin – im Vergleich zu vor Corona-Zeiten – die Verkehrsunfälle stark zugenommen haben…
Max Dorfer: Dieser Eindruck täuscht. Laut meines Wissens sind die Unfallzahlen vergleichbar mit 2019, also jenen vor der Pandemie. Der Eindruck entsteht deshalb, weil die Medien häufiger über Unfälle – besonders über die spektakulären – berichten. Einzige Ausnahme bildet die Schnellstraße MeBo: Dort hat die Anzahl der Unfälle wirklich zugenommen. Was auch zu sagen ist: Es gibt Schwankungen beim Unfallgeschehen, die aber auf den reinen Zufall zurückzuführen sind.
Es lautete, dass die Lenker aufgrund der Lockdowns, des Homeoffices usw. nicht mehr gewohnt sind, mit den Fahrzeugen zu fahren und es deswegen vermehrt zu Unfällen kommt…
Wenn jemand wirklich für längere Zeit nicht mehr am Lenkrad saß, dann sind einige tatsächlich in der Anfangsphase etwas verunsichert. Aber die Routine kommt sehr schnell zurück. Die Leute haben sich nach kurzer Eingewöhnung wirklich sehr schnell wieder an das Autofahren gewöhnt.
Gerade letzthin trugen sich einige Motorradunfälle zu, teils mit tödlichem Ausgang…
Es gab immer wieder Jahre, in denen es extrem viele Motorradunfälle gab, im Folgejahr war dann wieder ein starker Rückgang zu verzeichnen und dann sind die Zahlen wieder angestiegen. Leider Gottes dürften aber auch die heurigen Zahlen ähnlich sein, wie in vergangenen Jahren. Das Problem ist ein anderes.
Welches?
Die allermeisten Motorradfahrer nützen ihr Fahrzeug den ganzen Winter über nicht, sondern fahren mit dem Auto. Jetzt hat die Pause noch ein bisschen länger gedauert, nach zwei Jahren Fahrpause durch Corona fehlt die Fahrpraxis. Es scheint zwar, dass Motorradfahren und Autofahren ähnlich sind, das stimmt aber nicht: Durch die Gewichtsverlagerung und den Kurvenradius ist ein anderes Fahrverhalten notwendig. Und wer mehr als ein halbes Jahr nicht mehr mit dem Motorrad gefahren ist, der braucht Übung. Und deshalb häufen sich zumeist die Unfälle am Anfang der Saison, wobei natürlich bei schönem Wetter mehr Motorräder unterwegs sind. Deswegen werden gerade Motorradfahrer zu besonderer Vorsicht ermahnt und es wird ihnen auch ein Fahrtraining am Beginn der Saison empfohlen. Aufgrund der mangelnden Fahrpraxis verzeichnet man bei diesen Unfällen vielleicht einen leichten Anstieg, was aber nichts mit Corona zu tun hat.
Also nur ein falscher Eindruck?
Ja, aber ich finde es trotzdem gut, wenn Medien darüber berichten. Denn in Südtirol und Italien tragen sich im Vergleich zum restlichen Europa generell viele Unfälle zu. Laut einer Verkehrsopferstatistik verloren im Jahr 2019 in Deutschland je Million Einwohner 37 Menschen bei Unfällen das Leben. Schweden verzeichnete mit 22 Verkehrstoten je Million Einwohner die niedrigste Zahl in der EU. Italien liegt mit 55 Unfallopfern über dem EU-Durchschnitt. Auch in Südtirol ist die Anzahl der Verkehrsunfälle hoch.
Worauf ist das zurückzuführen?
Einerseits auf die fehlende Bereitschaft, sich an die Verkehrsregeln zu halten. Dazu braucht man nur das Anhalteverhalten der Autofahrer bei Zebrastreifen zu betrachten: In Norwegen, Schweden oder Deutschland halten die Autolenker sofort. Bei uns muss man über der Straße gehen, damit die Autofahrer anhalten. Auch die Geschwindigkeitsregeln werden bei uns im Vergleich zu Nordeuropa weniger eingehalten – weil auch weniger kontrolliert wird. In Mittel- und Nordeuropa herrscht eine andere Verkehrskultur. Es herrscht Respekt vor Radfahrern und Fußgängern. Auf jenen Abschnitten, wo die Autobahn Section Controls installiert hat, also elektronische Geschwindigkeitskontrollen, die sich über einen bestimmten Straßenabschnitt erstrecken, haben sich die Autounfälle und die Verkehrstoten extrem reduziert. Dort werden die Autofahrer gezwungen, sich an die Regeln zu halten, was auf der MeBo fehlt – weil zu wenige Kontrollen durchgeführt werden.
Interview: Erna Egger
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Kommentare (3)
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hallihallo
es ist doch klar , daß sich die italiener und südtiroler weniger an die geschwindigkeitsbegrenzungen halten.
baustellen , wo seit monaten kein arbeiter zugegen ist, werden mit 30 km/h ausgeschildert, die 50 km/h ortsgeschwindigkeit besteht über kilometer bis in die handwerkszonen, wo den ganzen tag kein fußgänger zugegen ist und bis zum letzten haus. wer dort dann mit 6 km/h geblitzt wird und punkte verliert, regt sich dann natürlich auf. vor dem eigenen haus verlangt er aber 40 km/h.
und auf südtirols pässen ist 60 km/h vorgeschrieben, sonst gibt es das nirgends.
wenn eine absurde geschwindigkeitsregelung für eine zu lange strecke vorgegeben ist, dann hält sich niemand mehr daran und dann eben auch nicht mehr , wo es effetkiv notwendig wäre.
hallihallo
dasselbe gilt für die durchgehenden striche, welche in südtirol inzwischen fast überall sind. wenn man nirgends überholen darf, dann überholt man eben auch dort wo es verboten ist.
bernhart
Das Problem hat Herr hallihallo richtig beschrieben.
Viele Ortschaften haben eine Umfahrung erhalten ,wurde gebaut, was machen die Gemeinde , sie weißen Bauzonen was welche bis zu den Umfahrungen gehen ,also wieder keine Umfahrung sondern Wohnbaugebiet, siehe im Vinschgau Mals, Schluderns Eyrs, Schlanders, das Land schaut zu ohne einzugreifen.
Die Geschwindigkeit ist nicht immer der Auslöser von Unfällen, die Strassenverhältnisse auf der Mebo sind katastrophal Schlaglöcher, Unebenheiten begleiten den Autofahrer.
Es kann und darf nicht immer nur gestraft werden, Fussgänger und Radfahrer sollten sich auch den .Verkehr anpassen, Radfahrer sollen auf den vorgeschriebenen Radweg bleiben, denn Autofahrer dürfen auch keine Fahrradwege benutzen.
Rücksicht heißt Vorsicht für alle Fussgänger und Verkehrsteilnehmer.