Als es noch eine Linke gab
Die ehemalige kommunistische Abgeordnete Grazia Barbiero De Chirico hat in einem Buch die Siebziger- und Achtziger-Jahre aufgearbeitet. Eine Zeit des Aufbruchs.
Von Arnold Tribus
Ja, wo ist sie denn geblieben, diese große linke, alternative Bewegung, die linken Parteien, die in den 70-er- 80 Jahren die Kommunisten träumen ließ, die Macht zu übernehmen? Nicht in Südtirol, versteht sich, denn da waren die Kommunisten unter der deutschen Bevölkerung immer ein Fremdkörper, gefürchtet und verhasst, das gottlose Böse, gegen das die Pfarrer bei Wahlen von der Kanzel wetterten und Weihwasser sprengten. Aber nicht nur die Pfarrer waren Antikommunisten, die mussten ja den Atheismus bekämpfen, den Marx’schen Leitspruch, Religion sei Opium fürs Volk, nein, genauso wüst war die Volkspartei gegen alles was links war, „geht doch hinüber“, sagte man uns, wenn wir dagegen waren, gemeint war damit die DDR, ein Spitzelstaat, wo es keine Freiheit gab, die Diktatur des Proletariats, von der in der Tat auch bei uns die wenigen deutschen Kommunisten träumten. Aber es gab zu guten Zeiten drei kommunistische Abgeordnete im Südtiroler Landtag, es gab die Sozialisten des Genossen Beppino Sfondrini, es gab die Sozialdemokraten von Decio Molignoni und die deutscher Zunge, Egmont Jenny, SFP, und Wilhelm Erschaumer, SPS. (Schatzmeister dieser Partei war Florian Kronbichler). Heute gibt es die alle nicht mehr, die Kommunisten sind verschwunden, der PD-Vertreter ist ein alter Christdemokrat, die Sozialisten und Sozialdemokraten sind alle verschwunden, die Arbeiter wählen rechts oder Lega die deutschen Dissidenten Freiheitlich und Team K.
Grazia Barbiero gewährt in ihrem Buch interessante Einblicke in das Leben ihrer Partei, die sie wesentlich mitgeprägt hat. Sie war im Meraner Gemeinderat, dann Landtagsabgeordnete von 1979 bis 1988. Sie war die aufgehende kommunistische Sonne, ein Lichtstrahl im lokalen roten Firmament. Sie hat neuen Schwung gebracht, weil sie einen ganz neuen Zugang zur Politik hatte, was gerade an diesem Buch deutlich wird. Sie war so wunderbar unideologisch, was bei Kommunisten eine Seltenheit war, Kommunisten waren Alleswisser, sie beurteilten alles nach einem ideologischen, marxistischen Schema. Sie war keine Wiederkäuerin der politischen Linie, die in der Parteizentrale von den alten Genossen vorgegeben wurde, sie machte sich ihre Gedanken, erarbeitete ihre Linie, ihren Standpunkt selbst. Sie war spontan, originell. Lebensnah und vor allem hatte sie einen reellen Bezug zur Südtiroler Realität, sie war eine der wenigen die Sudtirolo sagte.
Sie gehörte zur neuen Generation, eine weltoffene und tendenziell sozialdemokratische, die mit Enrico Berlinguer, den charismatischen Führer, von einer eurokommunistischen Variante träumte und später dann vom historischen Kompromiss zwischen DC und PCI, der den Kommunisten, die von der Regierungsbeteiligung aus Angst vor einem Putsch immer ausgeschlossen worden war. (Die SVP drohte im Falle einer kommunistischen Regierungsbeteiligung mit der Selbstbestimmung!) Und es wird jener Enrico Berlinguer sein, der Grazia Barbiero zur Landessekretärin der KPI-PCI bestellte. Er hatte erkannt, dass sie der Ausdruck einer neuen Linie war, eine Frau, mit beiden Füßen im Leben, kontaktfreudig und ohne Scheuklappen, engagiert für die Frauen und Schwachen der Gesellschaft, die Armen, die Arbeiter, die damals noch eine heilige Kategorie waren bei den Linken. Diese sonnige und herzliche Persönlichkeit hat 20 Jahre lang in Südtirol eine Rolle gespielt und sie wäre sicher noch länger im Land geblieben, wäre sie nicht von den obskurantistischen Parteigenossen vertrieben worden, obsoleten Hütern der kommunistischen Orthodoxie. Zu modern, zu aufgeklärt, transethnisch, ohne Kontaktängste. „Langeriana“, sagte die alten Genossen damals in der Partei, und das war ein Schimpfwort, schließlich hat Langer mit seiner Neuen Linken auch den kommunistischen Garten durcheinandergewirbelt. Und mit Langer wird sie nicht nur im Landtag gut zusammenarbeiten, genauso wie mit Andreina Emeri. Auch im Buch ist Langer die politische Persönlichkeit, die am häufigsten vorkommt. Sie weiß sehr viel zu erzählen über Langer, über seine politischen Analysen, die Autonomie, die Ökologie, den Pazifismus, gegen den Ethnozentrismus, die ethnischen Käfige, die Proporzkritik, das Zusammenleben und die nicht gelebte Zweisprachigkeit, alles Themen, die auch sie beschäftigt haben. Grazia Barbiero erzählt von den Jahren des linken Aufbruchs, denn es gab, vor allem kulturell eine große kreative Szene, die sich um das Kulturzentrum scharte und ein Künstlerkollektiv um Jakob De Chirico, Franz Pichler, Matthias Schönweger, Egon Rosina Moroder, Gregor Prugger, Leander Piazza, Christian Pardeller, Peter Kaser und viele andere, die mit ihren Plakaten die Mächtigen befetzten und in der besten Tradition engagierter Kunst die Kulturgeschichte des Landes mitgestaltet haben. Was so schön ist am Buch von Grazia Barbiere sind die vielen Namen, die man findet. Wer die Zeit miterlebt hat, der ist oft auch überrascht, wer da alles im linken Dunstkreis mitgewirkt hat, wie viele Genossen es damals noch gab. Heute ist der Begriff eher ein Schimpfwort, selbst die Kommunisten nennen sich nicht mehr compagno, lediglich die Radikalen, von den Linken immer als bürgerlich beschimpft, nennen sich noch mit stolz „Compagne e Compagni“.
Dann kam die Neue Linke von Alexander Langer, das politische Novum jener Jahre des Aufbruchs und sie vergisst auch nicht daran zu erinnern, dass Marco Pannella der Taufpate war. Sie wird Langer immer politisch nahe sein und auch nach seinem Freitod wirkt sie in der Langer-Stiftung. Nach ihrem Abgang aus Südtirol arbeitete sie viele Jahre im Präsidium der Abgeordnetenkammer. Jedes Jahr organisiert sie auch das Treffen der Langer-Preisträger mit den Präsidenten der Kammer, von Fini, Boldrini und Fico. Eine große Ehre, ein Akt der Liebe zu Südtirol, zu Langer. Sie hat dazu auch ein Buch herausgebracht.
Grazia Barbiero gehörte zwar zur neuen Generation der Kommunisten, sie hat aber durchaus großen Respekt und auch Wertschätzung den Alten gegenüber. Schön und auch rührend die verdiente Ehrung des Genossen Josef Stecher, der als erster deutscher Kommunist in den Landtag eingezogen ist, vor allem von den Italienern gewählt, man war internationalistisch und interethnisch. Stecher wurde, weil Kommunist, in seinem Vinschgau verfolgt und diskriminiert, beschimpft und gedemütigt. Magnago tat so, als gäbe es ihn nicht. Trotzdem hielt er an seinem kommunistischen Glauben fest, im Wahlkampf sprach er auf den Dorfplätzen allein. Er glaubte an die kommunistische Revolution, seine politische Heimat war die DDR, das Neue Deutschland seine Zeitung. Auf seinem „Südtiroler Panorama“, dem Organ der deutschen KPI-Sektion stand der Spruch: „Proletarier aller Länder vereinigt euch!“. Freilich die SüdtirolerInnen konnten damit nichts anfangen. In Meran gab es auch eine deutsche KPI-Sektion, „Karl Liebknecht“, deren bekanntestes Mitglied der Meraner Oberschullehrer und spätere Direktor Joseph Torggler war, ein vornehmer Kommunist, der das Staatsbürgerkundebuch verfasst hat, und von dem jeder Schüler wusste, dass er ein Kommunist war.
Die neue Generation gab dann die „Alternative“ heraus, in der die neuen Kommunisten schrieben, Guido Denicoló, Christian Wert, Prisca Prugger, Klaus Civegna, Günther Rauch u.a. Und Josef Perkmann, Cgil-Sekretär, der Landtagsabgeordneter werden sollte, was, trotz Alternative, nicht gelang. Barbiero berichtet begeistert von diesem KPI-Presseprodukt, Organ der Südtiroler linken Intelligenz, nicht unbedingt KPI-nahe. Ein kleiner Spiegel.
Das Buch von Grazia Barbiero ist eine wahre Fundgrube. Sie schildert und beschreibt Bewegungen, Frauen, Menschen, Arbeiterkämpfe, politische Analysen, Erzählungen, treffende Charakterisierungen von Personen. Es ist ihr Standpunkt, ihr Leben. Politische Bildung für die Jungen. Es ist kein provinzielles Buch, denn sie schaut immer über den Tellerrand hinaus und verarbeitet auch Nationales aus Politik und Kultur. Ein Stück Kultur- und Politgeschichte unseres Landes, das Dank der Bewegungen jener Jahre freier, gerechter und liberaler geworden ist.
Grazia Barbiero, Scenari in Movimento, Gli anni settanta e ottanta in Alto Adige Südtirol, Raetia Verlag.
Ähnliche Artikel
Kommentare (2)
Lesen Sie die Netiquette und die Nutzerbedingungen
Kommentar abgeben
Du musst dich EINLOGGEN um einen Kommentar abzugeben.
robby
Gell Arnold, das waren noch Zeiten