Du befindest dich hier: Home » Südtirol » „Ich bin eine Kämpferin“

„Ich bin eine Kämpferin“

Eva Klotz

Eva Klotz hat am 4. Juni ihren 70. Geburtstag gefeiert. Ein Leben lang hat die Tochter des Freiheitskämpfers Georg Klotz für die Selbstbestimmung gekämpft. Ein Geburtstagsgespräch mit einer Frohnatur.

Tageszeitung: Alles Gute zum 70. Geburtstag, Frau Klotz!

Eva Klotz: Danke.

In Ihrem Gesicht ist kaum ein Fältchen zu sehen. Hält die Selbstbestimmung Sie jung?

Oh doch, es gibt schon Fältchen, da und da, eigentlich überall …

Zum 70. können Sie es uns verraten: Ist Ihr Zopf wirklich noch echt?

Jedes Härchen. Ich gestehe allerdings, dass ich in letzter Zeit am Haaransatz mit ein wenig Farbe nachhelfe, um das Gräuliche zu übertünchen. Dieses bisschen Eitelkeit leiste ich mir schon.

Ihr Zopf ist ja nicht nur ein Zopf, sondern ein politisches Symbol, ein Logo würde man heute sagen.

Ich hänge daran, weil der Zopf ja mit meinem Vater zu tun hat. Als kleines Mädchen hatte ich ganz dünnes Haar, deshalb hat mein Vater mich im Alter von zwei Jahren kahlgeschoren. Das hat geholfen, von da an ist mein Haar sehr dicht gewachsen. Die Leute haben ja alles Mögliche über meinen Zopf geredet. Die einen haben gesagt: Diese Blöde, wenn die doch endlich einmal den alten Zopf abschneiden würde! Andere haben gesagt: Das ist ganz eine Schlaue, die hat sich ein Markenzeichen zugelegt! Ich habe das nie so gedacht, mein Zopf ist einfach meine Geschichte. Als Oberschülerin reichten meine Zöpfe über den Rock bis unter die Knie. Zur Maturareise nach Neapel waren sie ein Meter zwanzig lang. Die neapolitischen Kinder sind mir in Scharen nachgelaufen und haben mich an den Zöpfen gezogen: parrucca questa, parrucca questa … Der Zopf ist für mich wie gesagt eine rein private Geschichte, aber ich habe nichts dagegen, wenn die Leute etwas Politisches darin sehen wollen.

Ihr Vater Georg Klotz war vor 60 Jahren nicht an der Feuernacht beteiligt,  Sie waren damals 10 Jahre alt. Welche Erinnerung haben Sie daran?

Mein Tatte hat nur gewusst, dass irgendetwas im Busch ist, weil der Hoffmann Jörg ….

… Jörg Pircher aus Lana …

… ihm eine Botschaft hat zukommen lassen, er solle am Herz-Jesu-Sonntag so lange wie möglich unter Leuten sein, um ein Alibi zu haben. An die Nacht selbst habe ich keine Erinnerung, sehr wohl aber an die Tage danach, weil mein Vater von den Carabinieri zum Verhör nach Meran gebracht wurde, wo er vier Nächte und Tage ohne Essen, Trinken und Schlaf einem Kreuzverhör unterzogen wurde. Weil man ihm nichts nachweisen konnte, hat man ihm das Angebot gemacht, lebenslang das Gehalt eines hohen Offiziers zu bekommen, wenn er sich aus allem heraushält. Er ist aufgestanden und hat gesagt: Meine Herren, Sie wissen, ich bin Tiroler! Er war damals nicht geschlagen worden, aber er kam fix und fertig nach Hause und ist dann geflohen. Ich habe ihn erst ein Jahr später wiedergesehen.

Wie war die Zeit danach?

Wir hatten von da an keine Ruhe mehr. Es gab ständig Hausdurchsuchungen. Wenn meine Mutter in der Nacht mit einer Taschenlampe über den Balkon auf das Häusl gegangen ist, hat es keine drei Minuten gedauert und wir hatten die Carabinieri im Haus. Sie haben jedes Bett umgedreht, jeden Kasten aufgemacht, sogar die Stubentäfelung herausgerissen. Meine Mutter wusste sich aber zu wehren.

Haben Sie die Wehrhaftigkeit von der Mamme oder vom Tatte?

Von beiden. Sie waren beide furchtlose und unerschrockene Menschen. Für meinen Vater wäre es nie in Frage gekommen vor einem Minister oder einem Hoteldirektor den Hut zu ziehen. Wir sind alle Menschen und haben die gleiche Würde – das war seine Überzeugung.

Wären Sie in die Politik gegangen ohne diese Familiengeschichte?

Schwer zu sagen. Ich war und bin eine politisch denkende Person, aber ich habe mich nie als Politikerin bezeichnet. Ich war nie Politikerin.

Wirklich nicht?

Nein, nie. Ich war politisch für meine Ideale tätig, aber ich würde mich nie als Politikerin bezeichnen.

Das klingt, als ob es ein Schimpfwort wäre.

Nein, das meine ich nicht damit. Ein Politiker ist jemand, der Kompromisse schließen muss, der Koalitionen eingehen muss, das kann ich nicht, das ist nicht mein Auftrag. Als die Trentiner mich als Regionalratspräsidentin vorschlagen wollten, habe ich gesagt: Bitte, tut mir das nicht an!

Wenn Sie keine Politikerin sind, was sind Sie dann?

Kämpferin.

Kämpferin mit einem einzigen Ziel …

… die Befreiung Südtirols von der italienischen Fremdherrschaft. Das habe ich früher so gesagt und ich sage es zu meinem 70. Geburtstag. Ich stehe jetzt in der zweiten Reihe, aber das ändert nichts an meinem Ziel. Der Stieler Hans hat immer gesagt: Aufgeben tun wir nur die Post! Das ist unser Credo, das hat uns immer wieder aufgerichtet, wenn wir bei den Wahlen wenig Stimmen bekommen haben.

Über drei Mandate ist die Bewegung nie hinausgekommen. Geschweige denn, dass sie eine große Partei wie die Selbstbestimmungsbewegungen in Katalonien oder Schottland geworden wäre.

Es ist nie eine Mehrheitsbewegung geworden, das stimmt. Ich war ja oft in Katalonien und habe dort um Rat gefragt, was wir tun können, um so weit, wie sie kommen. Die Antwort lautete immer. Ihr müsst Wahlen gewinnen, um euer Ziele zu erreichen. In Südtirol hat die Volkspartei die Selbstbestimmungsidee immer mit der Aufforderung verhindert: Wir sind ein kleines Volk, wir müssen zusammenhalten. Magnago hat immer gesagt: Selbstbestimmung ist eine Illusion, darüber rede ich nicht. Das ist bis heute wirksam. Unsere Aufgabe hingegen ist, die Flamme der Selbstbestimmung nicht erlöschen zu lassen.

Wenn am nächsten Sonntag ein Referendum zur Selbstbestimmung abgehalten würde – was glauben Sie, wie es ausgehen würde?

Schwer zu sagen. Wir würden alles unternehmen, um den Südtirolern klarzumachen, dass sie über die Zukunft ihrer Kinder abstimmen. Wollt ihr euer Kinder einer politisch und wirtschaftlich so unsicheren Zukunft überlassen? Draghi will sicher das Beste für den Staat Italien, aber das Beste für Italien muss nicht das Beste für Südtirol sein. Man muss nur den Streit um die Millionen aus dem Recovery Fund beobachten, um zu wissen, was los ist.

Aber wie würde ein Referendum Ihrer Meinung nach ausgehen?

Es gibt die drei Modelle: Verbleib bei Italien, Rückgliederung an Österreich und Gründung eines eigenen, unabhängigen Staates. Ich bin nicht gegen einen Freistaat, aber ich würde für die Wiedervereinigung mit Tirol und Rückgliederung an Österreich stimmen.

Warum?

Bei einem Freistaat könnte Österreich sich aus der Verantwortung für Südtirol stehlen und Italien hätte leichtes Spiel, uns das Selbstbestimmungsrecht zu verweigern. Das Selbstbestimmungsrecht haben wir nur als ein von Österreich abgetrennter Teil des Tiroler Volkes. Aus diesem Grund bin ich ganz eindeutig für eine Rückgliederung an Österreich, wenn aber eine Mehrheit für einen Freistaat herauskäme, wäre es mir auch Recht. Mir und uns allen ist nur wichtig, dass Italien nicht mehr über Südtirol bestimmen kann.

War es nicht frustrierend für Sie, dass die Südtiroler die Flamme der Selbstbestimmung nicht wirklich lieben?

Frust? Im Gegenteil. Natürlich, gefallen hat es mir nicht, aber damit muss ich leben. Ich habe im Rahmen meiner Möglichkeiten getan, was ich tun konnte. Was ich gehabt habe, auch finanziell, habe ich in den Freiheitskampf investiert. Deshalb habe ich auch eine große innere Freiheit.

Sie hätten sagen können:  Ihr könnt mich gern haben, ich lege mich nackt unter die Sonne Korsikas.

Das tue ich sowieso. Ins offene Meer hinauszuschwimmen ohne ein Gewand an ist die absolute Freiheit für mich. Das silbrige Neptungras auf dem Meeresboden zu sehen und die Kalkfelsen – der Inbegriff der Freiheit. Ich habe immer darauf geschaut, gesundheitlich nicht am Boden zu liegen. Für meine Feinde wäre es logisch wunderbar gewesen, mich am Ende meiner Kräfte – wie sagt man: esaurimento nervoso – zu sehen, aber den Gefallen tue ich ihnen nicht. Harmonie im Privatleben und in der Ehe waren wichtig für mich. Das waren meine Kraftspender.

Ihre erste Ehe war aber nicht sehr glücklich.

Nein, das war ein Abgrund, über den ich nie wieder gehen möchte. Meine Mutter hat mir da immer den Rücken gestärkt und gesagt: Eva, der muss wissen, was er dir schuldig ist! Er, mein erster Mann, Gott habe ihn selig, ist ja dann an schwerem Parkinson gestorben. Ich habe durch ihn und die Siebenbürger Sachsen viel gelernt. Das war eine richtige Horizonterweiterung für mich, weil sie im Vergleich zu uns viel freier, offener und viel weniger katholisch waren. Natürlich hatte ich großen Kummer mit meinem Mann, aber ich habe gewusst, es war richtig. Nach der Trennung konnte ich mich gleich wieder meinem Kampf widmen.

Die Tageszeitung hat Sie einmal als Nacktbaderin auf Korsika abgebildet. Wie waren die Reaktionen darauf?

Schrecklich. Ich will keine Namen nennen, aber im Landtag hat einer gesagt: So eine Schweinerei, da wirst du wohl Anzeige erstatten. Ich habe geantwortet: Wenn sie mich schöner machen, als ich in Wirklichkeit bin, kann doch nichts Falsches daran sein. So einen schönen, jungen Körper wie sie mir mit der Fotomontage gemacht haben, habe ich ja nicht mehr. Ein anderer hat gesagt: Was stellst du dir vor, jetzt können wir die Selbstbestimmung vergessen, jetzt ist die Bewegung am Ende. Wieder ein anderer, kein Frauenverächter, hat mich gefragt, wie ist das so an einem FKK-Strand? Stell dir vor, habe ich gesagt, du hast 40 nackte Frauen vor dir. Eine hat einen Hängebusen, eine hat einen schönen Busen, eine hat einen Sackarsch und du marschierst da durch. Was denkst du? Er hat gesagt, eigentlich hast du Recht. Ein knapper Tanga oder ein Minibikini sind ja viel obszöner.

Für die Italiener waren Sie lange Zeit das Feindbild, andererseits hat man Sie auch bewundert für Ihre Haltung.

Gerade vorgestern hat mich eine auf dem Fahrrad aufgehalten und gesagt: Signora Klotz, perché odia gli italiani? Ich hasse niemanden, habe ich geantwortet. Mein Kampf für die Loslösung von Italien hat nichts, aber auch gar nichts mit Hass zu tun. Ich kämpfe gegen Sprachimperialismus, gegen das kulturfaschistische Verbrechen in Sachen Ortsnamen, aber ich hasse nicht. Nicht einmal den Faschismus hasse ich, ich bekämpfe ihn. Hass bedeutet, dass man sich im Innersten selbst bestraft. Solange ich kämpfen kann, brauche ich keinen Hass. Mein Vater hat mir vor seiner Flucht ins Poesiealbum geschrieben: Tue Recht und scheue niemanden, dein Tatte. Dieses Album ist bei den Hausdurchsuchungen leider verschwunden.

Ihre größte politische Enttäuschung war die Zellteilung der Partei, oder?

Ja sicher, wenn man jemanden aus dem Nichts so aufbaut wie ich und wir alle den Pöder und wird dann so hintergangen und betrogen, dann ist das eine große Enttäuschung. Wir sind ihm lange genug auf den Leim gegangen, bis wir verstanden haben, dass es ihm nur um sich selbst geht. Die Selbstbestimmung hat ihn gar nicht interessiert, der wollte ja Landeshauptmann werden. Er hat alle benützt, meine Schwester, einfach alle – das können Sie ruhig schreiben. Die zweite Enttäuschung war, als Cossiga seinen Selbstbestimmungsentwurf im Parlament eingebracht hat und die Volkspartei darin nur ein Täuschungsmanöver gesehen hat.

Der größte Erfolg der Eva Klotz?

Das alles durchgestanden zu haben. Ich stand ja x-mal mit einem Fuß im Knast und mit dem anderen in der Blamage. Ich hatte aber immer blendende Verteidiger.

Dennoch haben wir die Flamme der Selbstbestimmung am Leben erhalten. Es ist nie die Masse, die die Veränderungen einleitet, die kommt später automatisch nach.

Wenn man Sie auf der Straße sieht, denkt man, die Eva Klotz ist eine Frohnatur.

Absolut. Ich hatte immer ein Lächeln im Gesicht, auch wenn es schon traurige Zeiten gegeben hat. Meine Mamme hat immer gesagt: Lei nit verzog sein, des pockn mir schun.

Ihr politisches Testament?

Ich habe zwar ein Testament gemacht und mein Hab und Gut verteilt, aber kein politisches. Sagen wir es so: die Flamme der Freiheit nicht erlöschen lassen und bereit sein für die Sternstunde. Die kommt. Das ist mein Testament.

Interview: Heinrich Schwazer

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (8)

Lesen Sie die Netiquette und die Nutzerbedingungen

  • andreas

    Gutes Interview und als Politikerin, auch wenn ich ihre Ansichten nicht teile, weit besser als die Deeg, Mair, Foppas oder Ladurner unserer Zeit.

  • sukram

    Hat ein Leben lang auf Staatskosten gelebt und tut es weiterhin.
    Wenn Sie zumindest auf die Differenz Ihres Gehaltes zum Gehalt der Landtagsabgeordneten in Nordtirol freiwillig verzichtet hätte.

  • prof

    Ihre Partei war nie meines, aber als Politikerin und ihre Einstellung hatte immer meinen größten Respekt,auch weil ich zufällig ein paar mal im gleichen Hotel wie Frau Klotz (damals mit ihren leider verstorbenen Mann) Urlaub machte und auch interessante Gespräche führen konnte.

  • perikles

    Super Geschäftsmodell…man suche sich eine einzige politische Idee, wissend dass ein geringer aber zahlenmässig ausreichender Teil von Kunden (Wählern) ebenfalls dieser Idee nachhängt und schaut über die Jahre (Legislaturen) diese Idee am Leben zu erhalten. Das garantiert ein bis zwei Sitze im Landtag und das politische (bzw.geschäftliche) Überleben der Geschäftsidee.

Kommentar abgeben

Du musst dich EINLOGGEN um einen Kommentar abzugeben.

2024 ® © Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH/Srl Impressum | Privacy Policy | Netiquette & Nutzerbedingungen | AGB | Privacy-Einstellungen

Nach oben scrollen