Gefährliche Mutante
Nach dem Auftreten der Delta-Variante in Südtirol: Der Biostatistiker Markus Falk erklärt, wie gefährlich die Mutante wirklich ist.
Tageszeitung: Herr Falk, die Delta-Variante des Coronavirus breitet sich mehr und mehr aus. Wie gefährlich ist die indische Variante?
Markus Falk: Man muss dabei zwischen dem Einzelnen und der Gesamtbevölkerung unterscheiden. Für den Einzelnen gibt es nur dann ein Problem, wenn man noch nicht immun ist. Genesene oder Geimpfte haben hinsichtlich dieser Variante wenig zu befürchten. Für den Rest hingegen gilt, dass man das Krankhaus früher von innen sieht, als dies mit den anderen Varianten der Fall war und dass dies auch auf die Jüngeren zutrifft. Die Bevölkerung ist hingegen durch die fortschreitende Immunisierung bereits gut vor einer hohen Welle geschützt. Es gilt aber auch für sie, dass überall dort, wo viele nicht Immune zusammen sind, die Variante sehr wohl zu größeren Problemen führen kann. So könnte sich die Variante in einem Betrieb oder einer Firma sehr schnell ausbreiten, sodass diese aufgrund der Krankenstände zeitweise schließen muss. Auch wenn wir derzeit mit den Maßnahmen zurückfahren und die Kontaktzahlen erhöhen, sehe ich für Südtirol keine Lockdown-Gefahr. Lässt man die Variante aber gewähren, dann kann sie allerdings recht unangenehm und vor allem sehr lästig werden.
In Großbritannien wurden Lockerungen aufgrund der Delta-Variante aufgeschoben. Handelt es sich um eine reine Vorsichtsmaßnahme oder brauchte es diesen Schritt, um einen Lockdown zu verhindern?
Man darf nicht vergessen, dass Großbritannien bereits seit Monaten gelockert hat und durch die hohe Impfquote bei den Älteren die Disziplin bei den Jüngeren auf ein Minimum gesunken ist, da man sich nun dies zurückholt, auf das man lange verzichten musste. Das kann man den Leuten auch nicht zum Vorwurf machen. Weil man bei der Impfung aber zielgruppenorientiert vorgegangen ist, liegt die Impfrate mit der zweiten Dosis – und nur diese schützt auch ausreichend vor der Delta Variante – bei den Jungen ab 25 nur bei 15 bis 30 Prozent. Die Variante selbst ist in Großbritannien derzeit noch stark lokalisiert und hauptsächlich in der Gegend um Glasgow, Manchester und Birmingham anzutreffen. Sie schwappt aber bereits auf London über. Man muss also schauen, wie sich die Lage entwickelt, denn eine Reproduktionsrate zwischen 1,15 und 1,2 kann relativ schnell alles zum Überkochen bringen.
Ist die Lage in Großbritannien unter Kontrolle?
Seit gut zwei Wochen steigt die Zahl der Krankenausaufnahmen wieder an – zwar nicht schnell, aber deutlich und fast parallel zu den Infektionszahlen. Das heißt, die Variante schafft nun auch bei den Jüngeren vermehrt schwere Verläufe und es steigt auch die Zahl der Intensivpatienten. Aus diesem Grund muss man zwangsläufig vorsichtig sein und nahm weitere Öffnungsschritte zurück. Dies ist ähnlich wie mit dem Coronapass in Südtirol. Damals waren die Risikogruppen bereits größtenteils geimpft, die anderen hatten diese Möglichkeit aber noch nicht und daher wurde unter bestimmten Bedingungen aufgesperrt, sodass man Zeit für das Impfen gewann. In Großbritannien passiert nun das gleiche mit der Aufschiebung der weiteren Lockerungen. Ich sehe die Situation in Großbritannien noch nicht als problematisch, aber mit Sicherheit als deutliche Warnung.
Sanität und Landesregierung warnen nahezu täglich vor der indischen Variante. Sind diese Warnungen angebracht, oder reagiert man vorauseilend, weil Südtirol ein gebrandmarktes Kind ist?
Sanität und Land müssen warnen. Man hat in Indien, Singapur, Sri Lanka und Malaysia gesehen, was die Variante anrichten kann. Singapur, das sehr strikt mit den Maßnahmen ist, hat rund einen Monat gebraucht, um die Zahlen wieder senken zu können. Das heißt, die Variante kann unglaublich lästig werden. Man muss aber auch dazu sagen, dass es einen Impfrückstand in Singapur gab und deshalb Gefahr in Verzug bestand. Dennoch: Wenn man vor der Variante nicht warnt, dann wird der Leichtsinn zum falschen Freund. Es gibt derzeit noch zu viele, die nicht immun sind. Angstmache ist zwar fehl am Platz, die Warnungen kann ich aber nachvollziehen.
Die britische Variante hat das gewöhnliche Coronavirus verdrängt. Wird ähnliches früher oder später auch mit der indischen Variante geschehen?
Es ist davon auszugehen. Die Delta Variante ist rund 50 bis 60 Prozent übertragbarer als die Alpha-Mutante (britische). Dort wo die Delta-Variante Fuß fasste, hat sie die anderen Varianten bereits verdrängt.
Wie groß ist die Gefahr, dass die Bettenbelegung auch in Südtirol aufgrund der Variante steigt?
Eine Überlastung des Gesundheitssystems kann ausgeschlossen werden, ein Anstieg der Bettenbelegung hingegen nicht, denn wir haben im Alter zwischen 16 und 50 noch etwa 125.000 gänzlich ungeschützte Personen. Da diese auch oft miteinander interagieren, kann das über Importfälle eingetragenen Virus sich unter diesen leicht ausbreiten. Geschieht dies genügend oft, dann gibt es auch wieder einen Anstieg der Bettenbelegung und diese sieht man derzeit in England und Schottland. Aus diesem Grund wäre es sinnvoll den Import möglichst effektiv zu kontrollieren und der Corona-Pass hätte hier wertvolle Arbeit geleistet. Das verpflichtende Testen für die Einreise nach Italien gilt zwar noch, man kann damit aber keine Delta-Variante kontrollieren und schon gar nicht aufhalten. Letzteres wird zudem wohl kaum möglich sein.
Der Gemeinschaftsschutz mit 50 Prozent Immunisierten ist in Südtirol bereits erreicht. Wird also trotz indischer Variante ein Lockdown verhindert?
Einen Lockdown wird es nicht geben, denn die Impfungen schützen recht gut gegen die Delta-Variante. Wenn es aber eine Ortschaft gibt, in dem viele nicht immun sind, kann es sein, dass die Delta Variante dafür sorgt, dass die gesamte Ortschaft in kurzer Zeit flach liegt. Das würde sich wiederum auf die Krankenhausbetten auswirken. Lokalisiert kann es also einige Probleme geben.
Wie gehen andere Länder mit der indischen Variante um?
Die indische Variante macht sich momentan stark in Russland bemerkbar. Dort steigen seit einer Woche die Zahlen deutlich an. In Italien wird die indische Variante zu fünf bis sechs Prozent nachgewiesen, es ist aber nicht übers ganze Land gleich verteilt. In Wien schenkt man der indischen Variante dagegen ein großes Augenmerk, auch wenn sie derzeit noch keine große Rolle spielt, die Fallzahlen aber steigen. Wenn man in dieser Pandemie etwas gesehen hat, dann dass alle Länder zuschauen, wenn andere ein Problem haben, sich in Sicherheit fühlen, bis man das Problem dann zeitverzögert selbst hat. Schlussendlich erwischt es jeden gleich und man darf sich nicht in Sicherheit wiegen. Je mehr Import-Fälle unkontrolliert in ein Land eingetragen werden, umso tiefer nistet sich das Virus ein und umso schwerer ist es danach, dieses wieder loszuwerden.
Welche Rolle wird die indische Variante im Herbst spielen?
Die Variante könnte bereits im Sommer zu größeren Problemen führen und nicht nur im Herbst. Erste Modellrechnungen in Großbritannien prognostizierten eine größere Welle für August, nun hat man bereits jetzt zu starke Anstiege. Der Herbst kann dann alles noch einmal verstärken. Man ist auf jeden Fall gut beraten, ein gutes Monitoring aufzuziehen, beispielsweise im Ausbau des Abwassermonitorings, und hinsichtlich Impfungen eine Gangart an den Tag zu legen, die es, ohne zu polarisieren, schafft, möglichst rasch ausreichend hohe Impfraten zu erzielen. Ich bin mir sicher, dass man mit der richtigen Impfpolitik Impfraten um 80 Prozent erreicht.
Interview: Markus Rufin
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Kommentare (51)
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ich
@batman. Modellrechnungen und Prognosen brauchen sie natürlich nicht. Ihnen genügen blödsinnige Behauptungen welche sie schwurbelnd aufstellen.
sigo70
„Genesene oder Geimpfte haben hinsichtlich dieser Variante wenig zu befürchten. Für den Rest hingegen gilt, dass man das Krankhaus früher von innen sieht, als dies mit den anderen Varianten der Fall war“
Gibt es für diese Behauptung eine Quelle oder Studie?
vinsch
weshalb müssen sich Genesene dann impfen lassen Herr Falk?
bettina75
Oh Falkemann, oh Falkemann, wer ist als nächster dran?
leser
Grosser falk
Ich lasse mich sofort impfen, wenn ich nicht vorher unterschreiben muss, dass der impfer frei von impfschäden herausgeht
Aber offensichtlich kann man das nicht garantieren
In amerika werden zigarettenhersteller auf millionenentschãdigung verurteilt, wenn raucher sterben und wenn impfmittelhersteller lebensvedrohliche stoffe verkaufen, muss der verbraucher unterschreiben und der gesetzgeber gibt den milliardenschweren herstellern einen freibrief
Italien geht noch weiter und stellt die verweigerer von ihrer arbeit frei