„Ein Raum ohne Codes“
Der Rittner Filmemacher Matthias Lintner zeigt heute im Hotel Amazonas seinen Film „Träume von Räumen“ über das Leben in einem leerstehenden Haus in Berlin. Ein Gespräch mit der Bäuerin, Kuratorin, Künstlerin, Autorin und Macherin des Hotels Margareth Kaserer.
Tageszeitung: Wie geht es dem Hotel Amazonas in der Pandemie? Beneidenswert unaufgeregt so außerhalb jeder Ansteckungsgefahr, nehme ich an.
Margareth Kaserer: Ja, es hat schon viele Vorteile, während einer Pandemie auf einem weitläufigen Hof am Land zu leben. Aber so romantisch die Vorstellung ist, nichts von der Außenwelt zu brauchen – auch wir fahren zum Einkaufen, haben Termine und gehen externen Tätigkeiten nach.
Während der erste Lockdown für uns noch tatsächlich eine willkommene Entspannung vom Gäste- und generellen Aktivitätsfluss gewesen ist, wurde es im Frühling dieses Jahres, wie für die meisten, schon recht mühsam. Kaum Leute sehen oder nur bei weitem Abstand, kein kultureller Input abgesehen von Filmen, Platten, Online-Veranstaltungen oder Büchern, dieses generelle Abwenden der Gesellschaft von kollektiven kulturellen Erfahrungen, das war schon alles eine Durststrecke.
Das Thema am heutigen Freitag lautet „Träume von Räumen“. Von welchen Räumen träumt das Festival?
Der Titel „Träume von Räumen“ ist entlehnt von Matthias Lintners Film, der gezeigt werden wird. Der Regisseur zitiert darin immer wieder Passagen aus Georges Perecs Buch „Espèces d’espace“ (zu dt.: Träume von Räumen). Ein spannendes Gedankenspiel darin ist der „zweckfreie Raum“, ein Widerspruch in sich, der in unserer durchorganisierten Welt utopisch anmutend. Ein Raum ohne Codes, ohne Vorgaben, ohne Bewertung und wahrscheinlich ohne Moral, ohne Grenzen und ohne Überwachung. Ein Raum der Intensitäten, der Öffnung. Diese Beschreibung könnte tatsächlich auf die menschliche Erfahrung des Naturraumes zutreffen. Wenn er von Menschen gestaltet wird, ist es manchmal der Raum der Kunst, wobei ich nicht jene realen Kunsträume meine, die vor internen Codes und Regeln nur so strotzen, sondern die geistige Sphäre, das pure Sein der Kunst selber, das, was sich nicht besitzen lässt. Im Film ist der beschriebene Raum auch einer des Teilens, des Miteinander, der Empathie, der Diversität, der Inklusion. Ein Raum von Vielen, dessen Gemeinschaft aber in Konsequenz vor Eindringlingen geschützt werden muss, und in dem es klarerweise auch zu Reibungen kommt.
Matthias Lintners Film „Property – Träume von Räumen“ von einem der letzten noch leerstehenden Häuser im Herzens Berlins, in dem er und seine Freunde sich ein kleines Reich aufgebaut haben. Was ist das für ein Projekt?
Der Rittner Filmemacher hat während seiner Studienzeit in Berlin in einem zum Großteil leeren Haus in der Torstraße gewohnt und im Zuge dessen die einzelnen Bewohner*innen und das Leben dieses Ortes über mehrere Jahre hinweg mit der Kamera festgehalten. Auch dieses Gebäude wird schlussendlich von Investoren gekauft, renoviert und teuer weitervermarktet und die Menschen darin müssen weichen. Was bleibt, ist ein Filmdokument einer gemeinsamen Zeit an einem besonderen Ort. Wem gehört welcher Raum und wer hat Zugang? Wie wollen wir in Zukunft eine gerechtere Verteilung von vorhandenem Raum schaffen? Der Film wirft viele Fragen auf. Im anschließenden Publikumsgespräch zusammen mit dem Regisseur, der Kuratorin Sarah Oberrauch und dem Kulturtheoretiker Marco Russo können Ideen gemeinsam diskutiert werden.
Für trancehaften Sound sorgt die in Wien lebende DJ und Produzentin Misonica. Was erwartet die Besucher?
Musik hat das magische Vermögen, unterste Bewusstseinsschichten zu erschließen, sie kommuniziert auf direkte Weise und aktiviert innere Räume. Misonica spielt seltene, ausgewählte Stücke in einem tief atmosphärischen Set, wo obskure Vocal-Tracks aus allen Ecken der Welt auf entschleunigten Techno, Industrial auf Post-Punk und Tribal-Beats auf kosmische Melodien treffen. Sie wird uns auf eine Reise durch Zeit und Raum mitnehmen, Tanzen nicht ausgeschlossen.
Interview: Heinrich Schwazer
Träume von Räumen
Das Hotel Amazonas in Wangen am Ritten zeigt heute Matthias Lintners Film „Property – Träume von Räumen“. Den Sound liefert die in Wien lebende DJ und Produzentin Misonica.
Der vielleicht radikalste Gedanke in Matthias Lintners Film „Property – Träume von Räumen“ist die Forderung nach einem zweckfreien Raum. Dieser erscheint, so wie hier im Herzen von Berlin angesiedelt, fragil, gleichzeitig von Neoliberalismus und Linken bedroht, und doch tritt er in seinen letzten Momenten kraftvoll ins Bild. Die Utopie ist ein Konstrukt des Augenblicks. Der Frei-Raum ist ein Paradoxon in sich: Raum ist per Definition von vornherein vom Menschen für einen Nutzen geschaffen. Und doch besteht die Möglichkeit, ihn umzudefinieren, seinen Zweck aufzuheben. Niemand vermag das wirkungsvoller als die Kunst. Im Anschluss an die Filmprojektion findet ein Publikumsgespräch mit dem Regisseur Matthias Lintner und dem Kulturtheoretiker Marco Russo statt, moderiert von der Kuratorin Sarah Oberrauch, die auch das Torstraßenwohnprojekt im Film hautnah miterlebt hat. Die DJane Misonica öffnet das Thema aus musikalischer Perspektive und spielt ein auf den Abend zugeschnittenes und womöglich ziemlich tanzbares Set.
Im Vorprogramm: „Margareth“, ein Kurzfilm über Hotel Amazonas und die Macherin von Lucilla Patrizi, Daniela Capaldo und Lilian Polosek, Fakultät für Kunst und Design, Universität Bozen (9,32min, 2019)
Termin: 18. Juni ab 19.00 Uhr im Hotel Amazonan, Unterwangen 18 am Ritten. Filmbeginn: ca. 20.45 Uhr. Bei Regen wird die Veranstaltung auf Samstag, den 19. Juni bzw. Sonntag, den 20. Juni verschoben. Freier Eintritt!
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