„Die Grenzen erkennen“
Corona abhaken und dann wieder zur Tagesordnung zurückkehren – das dürfe es nicht geben, sagt der Heimatpflegeverband.
Die Pandemie hat Schwachstellen in unserem System aufgezeigt und deutlich gemacht, dass wir als Gesellschaft eine große Verantwortung tragen, betonte Obfrau Claudia Plaikner auf der 71. Vollversammlung des Heimatpflegeverbandes Südtirol am 12. Juni in St. Ulrich.
Aus gutem Grund fand die 71. Vollversammlung des Heimatpflegeverbandes Südtirol – aufgrund der Coronaepidemie in reduziertem Rahmen – im Kulturhaus „Luis Trenker“ in St. Ulrich statt. In Gröden feiert der Naturschutz- und Heimatpflegeverein Lia per Natura y Usanzes heuer sein 50-Jahr-Jubiläum und lud deshalb nach der Versammlung zum Festakt ein.
Zunächst aber galt es für den Heimatpflegeverband, kritisch zurück und visionär nach vorne zu blicken.
Obfrau Claudia Plaikner erinnerte in ihrer Rede an die Coronakrise, in der sich die Heimatpfleger*innen in ihrer Arbeit und in ihrem Wunsch nach mehr Zurückhaltung, Rückbesinnung auf das Wesentliche, das Beständige und Wertvolle oft bestätigt gefühlt hätten. Nun, da Corona in den Hintergrund zu treten scheint, dürfe man diese Haltung nicht über Bord werfen:
„Jeder von uns wird seinen Umgang mit Natur- und menschlichen Ressourcen hinterfragen müssen, wenn wir den Bestand unserer kleinen und großen Heimat auch für die Zukunft sichern wollen.“
Für Natur- und Klimaschutz
Ein Negativbeispiel für den Umgang mit der Natur ist die problematische Inszenierung der alpinen Landschaft, die im vergangenen Sommer u. a. mit der Errichtung einer Aussichtsplattform auf der Grawand im hinteren Schalstal sowie mit der Eröffnung eines sogenannten Fun-Klettersteiges im Zieltal im Naturpark Texelgruppeund ganz aktuell mit der geplanten Neuauflage des Glasturms am Rosengarten zweifelhafte Höhepunkte erlebt hatte und hat..
„Halten wir die Berge frei von künstlich geschaffenen Beigaben“, mahnte Claudia Plaikner. „Erkennen wir die Grenzen unserer persönlichen Möglichkeiten der Annäherung oder Begehung an und erfreuen wir uns an dem von der Natur Gegebenen.“ Sensibilisierung für die Erhaltung wertvoller Naturräume und der Biodiversität geht auch über Umweltausgleichsmaßnahmen; dazu hat der HPV gemeinsam mit Dachverband für Natur- und Umweltschutz und AVS eine Online-Veranstaltungsreihe durchgeführt.
In diesem Zusammenhang nannte die Obfrau auch die Klimakrise, die alle vor die Alternative stellen wird: „Entweder umstellen oder untergehen.“ Dennoch gebe es in Südtirol Unternehmer, die dieser Herausforderung zum Trotz auf Flugverkehr und dabei sogar kürzere Strecken wie Bozen–Parma setzen würden
Für die Erhaltung historischer Bausubstanz
Der Rückblick des Heimatpflegeverbandes führt unweigerlich auch zum neuen Gesetz für Raum und Landschaft, das wegen nachträglicher Änderungen zu verwässern droht und daher einer kritischen Begleitung bedarf. Auch erfolgten im Jahr 2020 einige massive Eingriffen in die wertvolle historische Bausubstanz des Landes. Mehrere denkmal- bzw. ensemblegeschützte Gebäude wurden dem Erdboden gleichgemacht bzw. sind stark bedroht, was den Heimatpflegeverband dazu veranlasste, gemeinsam mit dem Landesdenkmalamt einen Weckruf an Politik, Gemeinden, Bauherren und Gesellschaft zu richten.
Der Tenor: Wenn die einzigartige Baukultur der Südtiroler Täler und Landschaften verschwindet, verschwinden auch die Authentizität und ein wesentlicher Teil der Attraktivität Südtirols. Als Reaktion auf einige Gebäudeabrisse erklärte der Heimatpflegeverband das Jahr 2021 zum Themenjahr „Baukultur“. Das ganze Jahr über gibt es dazu Veranstaltungen und Initiativen, etwa die Veranstaltungsreihe „Baukultur für alle!?“ in Zusammenarbeit mit der Architekturstiftung Südtirol.
Nicht mehr auf der Agenda des Heimatpflegeverbandes steht seit Jänner 2021 die Abwicklung der Beitragsvergabe für die Erhaltung der Kleindenkmäler. Dieser Aufgabenbereich – 2020 wurden über 500 Beitragsansuchen bearbeitet und rund 1,1 Millionen Euro vermittelt – wurde an das Land abgegeben. Der Verband werde sich aber, wie Obfrau Claudia Plaikner betonte, weiterhin im Rahmen seiner Möglichkeiten für die vielen kleinen handwerklichen und bautechnischen Besonderheiten einer vorwiegend bäuerlichen Umgebung einsetzen.
Arbeitsgemeinschaften Lebendige Tracht und MundArt
Einsetzen wird er sich auch für die Erhaltung von Traditionen und Riten. Sie seien beredte Zeugen einer territorial klar definierten Kulturgeschichte, so Obfrau Plaikner. Gepflegt werden sie u. a. von der Arbeitsgemeinschaft Lebendige Tracht, die im Heimatpflegeverband angesiedelt ist und die 2020 die Broschüre „Fesch in Tracht – Tipps zum Tragen und Pflegen der Tracht“ herausgegeben hat.
Auch die Arbeitsgemeinschaft MundART im Heimatpflegeverband leistet einen wichtigen Beitrag zur Erhaltung von Dialekt und Sprache und unterstreicht den Wert der Flur-und Ortsnamen durch Dokumentation und Information.
30 Jahre Einsatz für den Heimatpflegeverband
Landesobfrau Claudia Plaikner nutzte die Gelegenheit um Verbandsgeschäftsführer Josef Oberhofer, der Ende Juni nach 30 Jahren Einsatz für den Heimatpflegeverband in Ruhestand geht, zu danken. Frau Plaikner betonte, dass Josef Oberhofer als Geschäftsführer immer „mit Leidenschaft für die Heimat gepaart mit Intelligenz, Hausverstand und Organisationstalent“ bei der Sache war.
In seinen 30 Jahren Tätigkeit begleitete Josef Oberhofer drei Obleute des Heimatpflegeverbandes: Ludwig Walter Regele, Peter Ortner und Claudia Plaikner.
Die Landesobfrau dankte Josef Oberhofer im Namen aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ganz herzlich für seine Loyalität und seine wertvolle und engagierte Arbeit all diese Jahre hindurch.
Ab Juli übernimmt Florian Trojer die Geschäftsleitung im Heimatpflegeverband.
50 Jahre Lia per Natura y Usanzes
Der Vollversammlung des Heimatpflegeverbandes folgte der Festakt „50 Jahre Lia per Natura y Usanzas“ – coronabedingt mit begrenzter Gästezahl. Drei Wünsche für die Zukunft äußerte der Obmann der Lia per Natura y Usanzes, Engelbert Mauroner in seiner Einleitung: Erstens dass der Jugend mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird, zweitens eine ruhigere Lebensart, die nicht auf ständigem Wachstum ausgerichtet ist und drittens, dass der Langkofel und die Cunfinböden endlich unter Schutz gestellt werden. Höhepunkte der Festveranstaltung waren unter anderem die Vorstellung der Festschrift „50 Jahre Einsatz für Natur und Tradition – 50 Jahre Lia per Natura y Usanzes“ und ein Film als Rückblick auf ein halbes Jahrhundert, in dem sich der Grödner Naturschutz- und Heimatpflegeverein für die Erhaltung der Natur- und Kulturlandschaft, für den Schutz von Luft, Gewässern und Böden, für Flora und Fauna eingesetzt hat.
Engelbert Mauroner begrüßte unter den Gästen Klauspeter Dissinger, den Vorsitzenden des Dachverbandes für Natur- und Umweltschutz, sowie Claudia Plaikner, Obfrau des Heimatpflegeverbandes, die Grußworte sprachen.
Aufgelockert wurde der Festakt durch Klaviermusik, eine Trachtenvorführung und einen Auftritt der Volkstanzgruppe St. Ulrich.
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Kommentare (8)
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treter
Die Obfrau des Heimatpflegeverbandes Claudia Plaickner erwähnt die Sensibilisierung für die Erhaltung wertvoller Naturräume und das geht auch über Umweltausgleichsmassnahmen. Darf darauf hinweisen dass man hier einen absoluten Tabubruch begeht denn es gilt immer noch der Grundsatz des echten Naturschutzes bzw. „zuallererst schützen was noch da ist zu schützen“. Ein aktuelles Beispiel für diesen sehr fragwürdigen neuen Ansatz ist der Auwald in Brixen. Anfangs sprach sich der Heimatpflegeverband ganz klar auch über einen Facebookpost für den Erhalt dieses sehr wertvollen Lebensraumes für 64 Vogelarten aus, darunter auch sieben der Roten Liste!! Dann gabs einen Schwenk von 360 Grad und man begab sich auf die Linie des Dachverbandes für Natur- und Umweltschutz. Das heißt im Klartext kein Eintreten mehr für den Schutz des Auwaldes (dieser soll einem Industriegebäude für 3D-Betondrucker der Firma Progress weichen) mit dem Hinweis, es sind mit der Erweiterung der Millander Au ja Ausgleichsmassnahmen vorgesehen! Darf nebenbei daran erinnern, dass es sich dabei um eine Vergrößerung dieser Au in eine ehemalige Mülldeponie handelt! Bei Probebohrungen unlängst wurde sogar Altöl gefunden!!
Fazit: diese Ausgleichsmassnahme kann niemals den absolut naturbelassenen Auwald „ersetzen“. Lasse am besten die Leser über diesen faulen Deal urteilen!
treter
Kleine Ergänzung noch: der Heimatpflegeverband prangert die Inszenierung der alpinen Landschaft an wie z.B. die Aussichtsplattform auf der Grawand in Schnals.
Frage: wird hier mit zweierlei Maß gemessen bzw. ist der Schutz der Talsohle weniger wert?!
robby
Schade aber mit dieser Haltung zum Auwald in Brixen sind diese beiden Organisationen nicht mehr glaubhaft. Zieht es womöglich jemanden in die Politik?
treter
robby@
Wenigstens gibs beim Dachverband für Natur- und Umweltschutz im nächsten Jahr Neuwahlen soweit ich informiert bin? Zumindest ein kleiner Hoffnungsschimmer bzw. man kann nur beten dass es den Brixner Auwald dann noch gibt!
george
Habe mein Leben lang im Naturschutz diese Geradlinigkeit nie gebrochen und bin deshalb öfters auch mit diesen großen Verbänden in Konflikt geraten. Wer einmal den großen Unterschied zwischen Naturschutz und Umweltschutz kennt und lebt, weiß dass es im Naturschutz keine Kompromisse gibt, wenn man nicht selber zugrunde gehen will. Leider gibt es viel zu wenige socher Menschen, die dieses Bekenntnis echt leben.
treter
Details zum bedrohten Brixner Auwald:
https://instagram.com/save.the.riparial.forest?utm_medium=copy_link
treter
Facebook Brixner Auwald:
https://www.facebook.com/pages/category/Environmental-Conservation-Organization/Retten-wir-den-Auwald-Brixen-Salviamo-il-bosco-ripariale-di-Bressanone-103737818048642/
treter
Petition Auwald Brixen: Bitte unterschreiben und verbreiten! Herzlichen Dank!
https://www.change.org/p/an-den-s%C3%BCdtiroler-landeshauptmann-retten-wir-den-auwald-brixen