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„Kinder haben einen Vorteil“

Bernd Gänsbacher

Der Immunologe Bernd Gänsbacher erklärt, warum es wichtig ist, dass sich auch junge Menschen impfen und wann man damit rechnen kann, dass die Impfung für alle geöffnet wird.

Tageszeitung: Warum wurde die Zulassung für den Impfstoff von Pfizer und Biontech für Jugendliche erst jetzt beantragt?

Bernd Gänsbacher:  Es handelt sich dabei um denselben Impfstoff, der auch bei den Erwachsenen verwendet wird. Da die erste Zulassungsstudie mit 44.000 Personen im Alter zwischen 16 und 90 Jahren gemacht wurde, erhielt der Impfstoff keine Zulassung für unter-16-jährige. Wenn aber bewiesen ist, dass der Impfstoff den Erwachsenen nicht schadet und wirkt, kann man die Zulassung auch für jüngere Altersgruppen beantragen. Dafür muss man eine eigene klinische Studie machen. Man muss bedenken, dass Jugendliche nicht volljährig sind und deshalb nicht selbst darüber entscheiden können, ob sie den Impfstoff bekommen. Daher muss jedes Medikament zuerst an Erwachsenen sozusagen getestet werden, bevor es für Kinder zugelassen wird. Der Impfstoff wurde in der Zwischenzeit an Jugendlichen getestet. Von 2.200 12- bis 15-jährigen hat die Hälfte den Impfstoff bekommen, die andere Hälfte nicht. Bei den Geimpften gab es keine einzige Infektion, während es bei den Nicht-Geimpften 18 Fälle gab. Das sind sehr gute Ergebnisse, außerdem stimmen die Impfreaktionen mit jenen bei den Erwachsenen überein. Es gab also keine Überraschungen. In zwei Wochen wird dieser dann wohl zugelassen.

Warum ist es denn überhaupt notwendig auch Jugendliche und Kinder zu impfen? Schwere Verläufe kommen nur selten in dieser Altersgruppe vor.

Jugendliche machen 20 bis 30 Prozent der Gesamtbevölkerung in jedem Land aus. Wenn man ein Drittel der Bevölkerung nicht impft, wird man die Herdenimmunität nicht erreichen. Es braucht also auch die Jugendlichen, um die Herdenimmunität zu erreichen.

Vor einer Infektion wären die Kinder aber nicht geschützt, schließlich kann man sich trotz Impfung infizieren…

Das passiert aber ausgesprochen selten. Eine sogenannte Breakthrough-Infektion, also eine Infektion trotz Impfung trat bisher vor allem bei älteren Personen auf, weil sie ein schwächeres Immunsystem haben. In anderen Altersgruppen sind diese Durchbruch-Infektionen sehr selten und außerdem sind dann diese Infektionen fast immer asymptomatisch.

Können Geimpfte das Virus weitergeben?

Nehmen wir mal das Beispiel Partschins her, wo 17 Bewohner, die vollständig geimpft waren, nach einem PCR-Test ein positives Ergebnis hatten: Diese hatten also für kurze Zeit eine geringe Viruslast im Nasen- und Rachenraum und waren potenziell infektiös. Mit Sicherheit waren sie es aber nur kurz und mit einer geringer Viruslast.

Was bringt den Jugendlichen dann die Impfung abgesehen davon, dass die Herdenimmunität hergestellt werden kann?

Sie haben einen gewaltigen Vorteil. In Amerika waren von den 33 Millionen Infizierten rund eine Million unter-15-jährige dabei. Einige von ihnen mussten ins Krankenhaus und 170 sind sogar gestorben. In Europa sind die Zahlen im Vergleich zur Bevölkerung ähnlich.

Wird bereits an der Zulassung für Kinder unter 12 Jahren gearbeitet?

Derzeit läuft bereits eine Studie. Die ersten Dosen wurden im März injiziert. Die Ergebnisse stehen noch aus, aber das wird in einem Monat so weit sein.

Wann können die Jugendlichen geimpft werden?

Das hängt von der Schnelligkeit des Systems ab. Ich erwarte mir aber, dass der Ablauf der Impfungen ab Juni richtig beschleunigt wird. Ich glaube außerdem, dass Italien ähnlich vorgehen wird, wie andere Länder und die Impfung für alle öffnet, sobald alle Menschen über 45 oder 50 Jahren die Möglichkeit hatten, sich zu impfen. Ende Juni könnte es schon so weit sein, dass sich jeder impfen lassen kann.

Könnte dann Präsenzunterricht ohne Maske stattfinden?

Das ist möglich, aber ich bin kein Wahrsager. Wenn Geimpfte für kurze Zeit infektiös sind aber nur mit geringer Wahrscheinlichkeit andere anstecken, ist es möglich, ohne Maske, dafür aber mit Abstand und Händewaschen und Schnelltests Präsenzunterricht abzuhalten.

Ab Donnerstag können sich in Südtirol die 50- bis 59-jährigen für die Corona-Impfung anmelden. Ist nach der Impfung dieser Gruppe die Gefahr für die Krankenhäuser bereits gebannt?

Das hängt viel mehr davon ab, wie viele sich von der Gesamtbevölkerung impfen lassen. Länder, die rund 40 bis 50 Prozent der Gesamtbevölkerung geimpft haben, vermelden eine deutliche Abnahme bei den Krankenhausaufenthalten und den Intensivpatienten. Dennoch wird die Impfung der 50- bis 59-jährigen zu einer Entlastung der Krankenhäuser führen.

84.000 Personen gehören zu dieser Altersgruppe. Sie dürfen aber nur den Impfstoff von Pfizer und Biontech sowie Moderna erhalten. Sehen Sie darin ein Problem, dass zu wenig Impfstoff zur Verfügung sein könnte?

Nein, denn sowohl Biontech als auch Moderna haben verkündet, dass sie jeweils eine Billionen Dosen innerhalb eines Jahres produzieren. Ich kann nicht im Detail beurteilen, ob es gelingen wird, diese Altersgruppe bereits im Mai durchzuimpfen. Ich weiß aber, dass Pfizer die Fabrik in Marburg in Betrieb genommen hat und dadurch sehr viel mehr Impfstoff produzieren wird. Innerhalb der nächsten Wochen wird Europa also viel mRNA-Impfstoff erhalten.

Sollte zu wenig Impfstoff kommen, könnte Südtirol dann selbst Impfstoff ankaufen?

Das sollten Südtirol auf keinen Fall machen. Die Impfstoff-Produzenten verkaufen nicht direkt an Provinzen, das heißt, Südtirol müsste zu Zwischenhändlern gehen. In Asien wurden nun aber Impfstoffampullen gefunden, die gefälscht wurden und keinen Wirkstoff enthielten. Die Profitgier der Menschen in dieser Pandemie ist also unermesslich. Der Kauf bei Zwischenhändlern ist also enorm gefährlich.

Interview: Markus Rufin

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