„Müssen jetzt wieder starten“
Chöre, Musikkapellen oder Theatergruppen können sich langsam wieder treffen, um zu proben: Kapellmeister Andreas Pramstraller spricht im Interview über die Sorge, dass Mitglieder jetzt ganz wegbleiben könnten. Und über die Bedeutung der Vereine für den sozialen Frieden im Dorf.
von Silke Hinterwaldner
Als im März vor über einem Jahr die Rollläden hinuntergelassen wurden, dachte kaum jemand, dass es für so lange wäre. Chöre, Musikkapellen, Theatergruppen, aber auch viele andere Vereine in den Dörfern und Städten haben sich darauf verständigt, sofort weiterzumachen, sobald es die Corona-Lage wieder erlaube. Dann kam der Sommer, traditionell jene Zeit, in der die Vereinstätigkeit auf Eis gelegt wird, weil viele in Urlaub sind.
Und im Herbst ging es wieder mit Corona los. Das heißt: Viele Chöre und Musikkapellen haben über zwölf Monate lange weder Treffen, noch Proben oder gar Auftritte absolviert. Manche haben sich ein wenig aus den Augen verloren oder sich daran gewöhnt, nicht mehr regelmäßig ein oder zwei Mal in der Woche ausrücken zu müssen.
Dieses Gefühl, sich möglicherweise auseinandergelebt zu haben, macht manchen Kapellmeistern und Chorleitern im Land Sorgen: Wie können die Mitglieder wieder für die Musik – oder auch andere Vereinstätigkeit – begeistert werden? Wie schafft man jene, die sich streng an die Corona-Regeln halten wollen mit jenen, die das locker angehen, zusammenzubringen? Wie bringt man wieder Leben in die Dörfer?
Andreas Pramstraller ist Kapellmeister in Bruneck, Musiklehrer und ganz nebenbei auch noch SVP-Arbeitnehmerchef im Pustertal. Er hat sich in den vergangenen Wochen und Monaten viele Gedanken über diese Themen gemacht, sich viel mit Kollegen und Musikern unterhalten, und er möchte einige Denkanstöße geben.
Der Zeitpunkt bietet sich an: In der neuen Verordnung des Landeshauptmannes wurde festgehalten, dass Chöre, Kapellen oder Theater auch in geschlossenen Räumen wieder proben dürfen. Vorerst mit Covid-Pass und beschränkt auf 15 Personen.
TAGESZEITUNG: Herr Pramstraller, haben sich die Leute tatsächlich entwöhnt? Haben sie keine Sehnsucht nach Chorproben oder Auftritten?
Andreas Pramstraller: Obmänner und Kapellmeister machen sich tatsächlich ein wenig Sorgen. Viele Mitglieder haben sich daran gewöhnt, am Abend etwas anderes zu tun, als im Verein aktiv zu sein. Anderseits spürt man bei vielen auch eine große Freude, endlich wieder spielen zu dürfen. Trotzdem bleibt es eine Herausforderung, die Leute wieder in die Vereine zurückzuholen. Hier geht es nicht nur um Musik, sondern auch um Theater und viele andere. Im Sommer hat man gesehen: Sobald man sich wieder treffen konnte, hat es richtig gutgetan, wieder gemeinsam musizieren zu dürfen. Da sind manchen fast die Tränen gekommen, als sie nach vier Monaten wieder zusammentrafen. Wichtig ist es aber, einen ersten Schritt zu machen.
Anderseits werden doch viele sehnlichst darauf warten, dass es endlich wieder losgeht. Nicht?
Als Musiklehrer kann ich sagen: In den vergangenen 20 Jahren ist sehr viel Aufbauarbeit geleistet worden. Das Niveau ist sehr hoch, Organisation, Strukturen, Jugendarbeit, all diese Bereiche sind ausgebaut worden. Und es wäre mehr als bedauerlich, wenn man all dies wieder verlieren würde.
Was hat man denn bisher in der Coronakrise bereits verloren?
Wenn wir jetzt wieder starten dürfen, wird man sicher eineinhalb Jahre benötigen, bis man wieder auf dem Niveau von vor der Krise steht. Es gibt einige, die trotz der Pandemie geübt haben, aber sicherlich auch sehr viele, die nur sporadisch zum Instrument gegriffen haben. Es nimmt eine gewisse Zeit in Anspruch, bis man selbst wieder fit ist. Andererseits ist es auch nicht selbstverständlich und einfach, dass der Verein funktioniert. Bis die Zahnräder wieder ineinandergreifen, wird einige Zeit vergehen.
Wie wird es jetzt weitergehen?
Wir müssen jetzt wieder starten! Mit einem grünen Pass und unter Einhaltung der Maßnahmen können wird wieder mit der Tätigkeit beginnen. Wichtig wäre es in meinen Augen, wenn man auch Marschierproben im Freien zulassen würde. Ich habe auch jetzt erst wieder gehört: In einem Dorf hat ein Quartett nach Monaten wieder auf dem Chor gespielt. Es war sehr emotional. Das zeigt, dass die Menschen wieder das Leben zurückhaben wollen. Das sorgt auch für mehr sozialen Frieden in den Ortschaften. So kann man Gräben zuschütten, die durch die Krise aufgerissen wurden.
Das Gemeinschaftsgefühl ist verloren gegangen?
Das ist ein wichtiger Punkt. Die Musik ist steht manchmal erst an zweiter Stelle. Es geht um das Miteinander von jungen Leuten, um das Miteinander von Jung und Alt, es geht um soziales Miteinander. Man erlebt es immer wieder: Mit Maske auf Abstand kann man Gespräche führen. Facebook und Online-Konferenzen sind nicht das Wahre. Trotzdem muss ich sagen: Es hat viele kreative Ideen gegeben, manche haben auch online geprobt. Es gibt neue Ideen und neue Wege, hier sollte man durchaus weiterarbeiten.
Ganz besonders beim Singen und Musizieren soll sich das Virus leicht verbreiten: Machen sich deshalb vielleicht auch noch viel Sorgen und geben sich zurückhaltend?
Das stimmt. Aber mittlerweile sind ältere Leute geimpft, das nimmt viel von der Angst weg. Man kann auch große Vereinssäle für Proben nutzen, man kann für große Abstände und frische Luft sorgen. Es gibt Möglichkeiten.
Es braucht aber auch den richtigen Mann oder die richtige Frau vornedran…
Wenn die Vorsitzenden entsprechend gute Ideen bringen, dann kann es gehen. Andererseits gibt es in fast jedem Verein solche, die akribisch darauf achten, dass Regeln eingehalten werden und solche, die das boykottieren. Das macht es schwierig. Ich hoffe, dass die allermeisten entsprechend verantwortungsvoll handeln.
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