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„Wir wollen regieren“

Brigitte Foppa porträtiert die erste Grüne Kanzlerkandidatin. Und zeigt auf, wie ein Wahlerfolg in Deutschland der Südtiroler Schwesterpartei Rückendwind geben soll.

Tageszeitung: Frau Foppa, die deutschen Grünen gehen zum ersten Mal mit einer eigenen Kanzlerkandidatin in die Bundestagswahlen. Ist Annalena Baerbock die richtige Wahl?

Brigitte Foppa: Das ist eine intelligente Entscheidung und das Kontrastprogramm zum männlichen Hahnenkampf, den sich die Union gerade leistet. Ich habe Annalena Baerbock zum ersten Mal 2018 bei einem Kongress der Europäischen Grünen in Berlin gesehen, wo ich über Feminismus referiert habe. Sie ist eine Frau mit Format, eine Figur wie die Premierministerinnen in Finnland, Neuseeland und Dänemark. Sie alle gehören einer Frauengeneration an, die jetzt politische Verantwortung übernimmt. Annalena Baerbock passt vollkommen in die Zeit. Als bodenständige Realpolitikerin strahlt sie Sicherheit aus und gibt den Grünen Kraft für Veränderungen. In ihrer ersten Rede nach der Kür zur Kanzlerkandidatin hat sie anfangs vor allem über das Soziale gesprochen, was ich sehr zeitgemäß finde. Der Umwelt- und Klimaschutz ist das Fundament. Die Grünen funktionieren aber immer nur dann, wenn sie, gleichrangig mit dem Klimaschutz, auch für Gerechtigkeit und Sozialpolitik eintreten.

Was war am Ende ausschlaggebend für die Wahl Baerbocks? Anders gefragt: Was hat sie, was Robert Habeck nicht hat?

Für eine grüne Partei war es eine logische Entscheidung, sie vorauszuschicken. In der Politik hat sich die Sichtweise etabliert, dass der männliche Kandidat einen Bonus hat, weil Politik seit jeher vorwiegend von Männern gemacht wird. Es braucht daher auch Mut, auf diesen Bonus zu verzichten. Mit Annalena Baerbock sind die Grünen den schwierigeren und gleichzeitig leichteren, weil passenderen Weg gegangen. Die Personalentscheidungen müssen schlüssig sein, damit sie funktionieren; sie dürfen nicht aufgesetzt wirken. Dieses Problem plagt die Sozialdemokratie. Es ist Ausdruck von Stärke, wie beispielhaft die Grünen-Führung diese Entscheidung getroffen hat. Baerbock und Habeck sind geschlossen aufgetreten und haben sich nicht gegenseitig zerfleischt. Daher bin ich große Verfechterin der Co-Führung, die kooperative Konkurrenz ermöglicht: Normalerweise verschwindet der Unterlegene. Bei den Grünen ist das nicht der Fall, denn Personalstreit ist abschreckend und tödlich.

Die Grünen haben aussichtsreiche Chancen, im Herbst ins Kanzleramt, zumindest aber in die Regierung einzuziehen. Was muss alles für den Erfolg zusammenpassen?

Es muss in die Zeit passen. In Deutschland wurde schon viel Mentalitätsarbeit geleistet, der Zeitgeist ist dort sehr grün. Die Grünen punkten auch mit ihrer Regierungsarbeit, etwa in Baden-Württemberg oder Schleswig-Holstein, wo sie Erfahrung und Tradition aufweisen. Um Erfolg haben zu können, braucht es die richtige Person zum richtigen Zeitpunkt für die richtige Partei. In Baden-Württemberg, wo die Grünen den Ministerpräsidenten stellen, genießen sie auch bei den großen Industriebtrieben viel Zuspruch und Glaubwürdigkeit. Dann muss natürlich auch die Konkurrenz mitspielen, was sie ja tut. (lacht)

Wie würde sich ein Erfolg auf die Schwesterpartei in Südtirol auswirken? Und was können Sie von Baerbock und Co. lernen?

Gutes und Schlechtes aus den Nachbarländern strahlt immer auf uns ab. Als die Grünen aus dem Österreichischen Nationalrat geflogen waren, haben wir das auch bei uns gespürt. Schwäche wird weitergetragen, während Erfolg Optimismus und Ansehen gibt. Ich erwarte mir, dass die deutschen Grünen als Regierungspartei eine Identifikation für uns sein können. Bei uns muss dann aber auch der Zeitgeist passen: Wir sind Nahtstelle zum Mittelmeerraum, wo die Grünen traditionell sehr schwach sind, wobei wir auch dort am Restart arbeiten. Von den Deutschen haben wir gelernt, wie wichtig es ist, sich breit aufzustellen. Wir sind auch inhaltlich variabler geworden. Klima und Umwelt stehen im Vordergrund – aber nicht nur, sondern gleichgestellt mit der Gleichberechtigung. Auch das Frauenthema, ein grünes Urthema, wird immer aktueller. Ich bewundere die deutschen Grünen für ihr professionelles Auftreten, ihre Inszenierung und ihr Marketing. Hier können wir noch lernen. Ich hoffe, von der Kanzlerkandidatin geht das Signal aus, dass das Regieren unser Bestreben ist. Man kann sich nicht nur am Bestehenden abarbeiten und auf Ewig Opposition sein.

Interview: Matthias Kofler

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