Das diskrete Leben der Marta
Valentina Di Cesare erzählt vom diskreten Leben der Marta und verfestigt einen Lebenslauf zu einer Lebensweisheit.
Von Helmuth Schönauer
Ein echtes Geheimnis besteht darin, dass man weiß, dass es die anderen auch kennen, es aber trotzdem nur als Andeutung erzählt. Diese Andeutungen rund um einen versteckt gehaltenen Sachverhalt sind die Triebfedern für gute Literatur.
Valentina Di Cesare erzählt vom diskreten Leben der Marta, die als Verkäuferin in einem Handarbeitsgeschäft nach außen hin nichts erlebt, von innen her gesehen es aber mit der Dynamik eines ganzen Adelsgeschlechts aufnehmen kann. Denn in ihrem Leben kommt, auf elf Kapitel verteilt, alles verlässlich vor: Kindheit, Beruf. Liebe, Hund, Traum und eine Überlebenskiste gegen den Tod.
Das Schicksal der Heldin läuft in der Spur von großem Konsens mit den jeweiligen Zeitgenossen, keine Rebellion ist notwendig, keine psychische Störung muss herhalten, keine irgendwie geartete Sucht einen Ausweg versprechen. Das Leben ist voll genug, wenn man es für voll nimmt.
Dabei sind es kleine Bemerkungen, die eine Epoche ausmachen. Das Kind Marta bemerkt bald einmal, dass es in dieser Gesellschaft verschiedene Rollen gibt, die sich die Menschen nicht aussuchen können. So bringt die schlichte Frage, ob eine Oma auch einmal jung gewesen sein könnte, diese leicht aus der Fassung, weil die Frage ja zu selbstverständlich ist.
Eine andere Frage stellt sich für die Jugendliche, als es im Dorf einen authentischen Platz zu finden gilt. In den Abruzzen herrscht damals große Aufbruchsstimmung, viele wandern aus, oder suchen zumindest Saisonarbeit im Norden. Als besonderer Erzähler von Auswanderungsgeschichten tut sich der Schweizer Onkel hervor, der sich als Schweizer ausgibt, weil er zu seinem Arbeitsplatz in Deutschland durch dieses magische Land durchfahren muss.
„Wir können nicht alle bleiben und auch nicht alle gehen.“ Diese harmlose Erkenntnis setzt freilich viel soziales Gemüt im Dorf voraus. Und es braucht Mutige, die bleiben und nicht jene hassen, die es sich scheinbar leicht gemacht haben, indem sie abgehauen sind.
Schweizer Frauen sind wie Tresore, sagt ein anderer, der davon berichtet, dass diese sehr unzugänglich sind und etwas verstecken, und sei es auch nur das Herz für die große Liebe.
Marta bleibt in der Nähe ihres Kindheitsortes und versucht es in einem Handarbeitsgeschäft, wo sie als feine Näherin gilt, die stets ein offenes Ohr für die Kundschaft hat. Einmal ehrt man sie deshalb mit dem großen Vlies, was ein sehr sinniges Symbol für die Branche der Garne und Stoffe ist.
Im Umgang mit den Geschichten der anderen, angespannt zwischen Diskretion und Zuwendung, ergibt sich mit der Zeit eine eigenartige Definition von Glück. „Es ist einfach, jemandem das Glück zuzuschieben, schwierig, es zu finden, unmöglich, es zu halten.“
Dem Lebensallerlei und unauffälligen Alltag zum Trotz kristallisieren sich gewisse Highlights heraus. Die Kapitel beginnen daher mit der lapidaren Bemerkung, was der Heldin gerade zustoßen wird. „Marta hatte einen Hund“, heißt es etwa, als eine Nachbarin aus Salzburg mit dem Näseln einer Jederfrau zum besten gibt, dass sie soeben einen Hund zur Welt gebracht habe.
Der Hund bleibt bei der Zuhörenden hängen, das hat sie davon, dass sie so zugänglich ist. Nachdem sie mit Olio einen passenden Namen für das Hunderl gefunden hat, wächst dieser, ist treu und sympathisch, aber er braucht zwischendurch auch die Liebe. So wildert Marta ihren Hund am Hügel aus, wo er innige Hundegesellschaft findet. Man kann sich nämlich von etwas trennen, und trotzdem damit verbunden bleiben.
Als es einmal mit dem Einschlafen nicht klappt, wird auch das Kapitel ganz kurz, denn es gibt nichts, was man träumen und später erzählen kann, wenn man nicht regelmäßig einschläft.
Höhepunkt des Geschäftsjahres ist immer die Knopfmesse in Hannover. Und obwohl sie ein Geschäfts-Profi ist, kommt es am Flughafen fast noch zu einer Liebesgeschichte, als ein Neuseeländer mit welterfahrenem Gestus auf seinen Flug wartet. Er ist begeistert von der Knopfwelt seiner Bekanntschaft, denn mit Knöpfen kann man gut Geschichten zusammenknüpfen
Und was dann wirklich Liebe ist, merkt man erst, wenn sie vorbei ist. In einer romantischen Sequenz „macht sich das Schicksal sich mit einem Türknallen davon“.
Es ist sehr viel los gewesen, fasst Marta noch alles zusammen, was man als Leser gerade mit ihr hat Revue passieren lassen. Als Kerngeheimnis im erzählten Geheimnis gibt es dann noch eine magische Truhe der Tante, die vielleicht die letzten Dinge des Lebens in sich birgt.
Als Leser ahnt man, dass man diesen Schatz selbst erkennen muss, weil er sich nicht erzählen lässt. Diese Marta ist vertrauenswürdig, man kann ihr glauben! Im italienischen Original heißt sie ja Näherin, die alle Teile zu einem perfekten Ganzen zusammenbringt. Eine wundersame Erzählmethode, den Lebenslauf zu einer Lebensweisheit zu verfestigen.
Valentina Di Cesare: Marta. Roman. A. d. Ital. von Claudia Lederbauer. [Orig.: Marta la sarta, Chieti 2014.] Verlag am Sipbach 2020. 228 Seiten. EUR 19,80.
Ähnliche Artikel
Kommentar abgeben
Du musst dich EINLOGGEN um einen Kommentar abzugeben.