Der Soundtrack meines Lebens
Philipp Burger, Frontmann, Sänger und Gitarrist von Frei.Wild, feiert seinen 40. Geburtstag und bringt ein Soloalbum heraus, in dem er selbstkritisch und ehrlich von Höhen und Tiefen, von Erfolgen, Niederlagen, Irrwegen, Enttäuschungen und daraus gezogenen Lehren singt. Es ist der Soundtrack zu seinem Leben. Ein Geburtstagsgespräch.
Tageszeitung: Philipp, 40 Jahre und kein bisschen leise, Midlife Crisis schon gehabt oder kommt sie noch?
Philipp Burger: Ich hoffe nicht, zumindest glaube ich, dass ich von ihr verschont bleibe. Und ganz ehrlich, all die Projekte rund um Familie, Musik, Freizeit, Haus und Hof lassen mir auch wenig Zeit für Grübeleien oder Ähnliches. Im Ernst, ich bin froh darüber, jetzt in einer neuen Dekade zu stehen und würde mit keinem 20- oder 30-Jährigen tauschen.
Wieso nicht?
Nun, ganz einfach, wenn ich meine alten Bilder von damals anschaue, finde ich nicht, dass ich heute schlechter aussehe (lacht). Nein im Ernst, alles hat seine Zeit und das ist gut so. Sehr viele Dinge, die ich damals als gut, als „muss ich unbedingt auch noch erleben“, als lustig und zielführend fand, haben heute einen anderen Stellenwert für mich. Ich hatte eine tolle Kindheit, eine wilde, aber sehr lebensintensive Jugend, hatte zwischen 20 und 30 mehr schlecht als recht auf mich geachtet und dennoch sehr große Ziele angesteuert, von 30 bis 40 aber hatte ich meine bisher besten Jahre. Wenn das jetzt also so weitergeht, ich und meine Liebsten um mich herum alle gesund bleiben und wir weiterhin zusammen nach vorne ziehen, ist alles gut. Dann stören mich auch die „Zimmererfalten“ meiner Stirn nicht sonderlich. Ich sehe sie als Veredelung, wie im Wein, so ist das bei uns Männern (lacht).
Wie eitel ist Philipp Burger?
Ich glaube, dass ich, ganz klassisch, kein sehr eitler Mensch bin. Ich habe weder ein Problem hart anzupacken, noch mir die Hände schmutzig zu machen. Ebenso verhält es sich aber auch mit Duschschaum und Seife (lacht). Nein im Ernst, ich glaube durch die ganzen Jahre auf Montage, durch die ersten Jahre wirklichen „Rock`n`Roll Touren“, bin ich ein recht unkomplizierter Mensch, was Eitelkeit angeht.
Du machst zu deinem Geburtstag dein erstes Soloalbum. Wie heißt es, was sind die Inhalte, was hast du damit vor und was denken deine Kollegen darüber? Sind sie sauer oder unterstützen sie dein Vorhaben?
Ich fange hier mal bei der letzten Frage an. Nein, natürlich sind Jonas, Föhre und Zegga alles andere als sauer, sie unterstützen das Projekt total, was auch daran liegt, dass sie zum einen ebenso an eigenen, nur sie betreffende Projekten dran sind und zum zweiten es auch keinen Grund dafür gäbe. Dadurch, dass ich schon seit langem mein Leben in einem Buch/ Hörbuch oder eben mit einem eigenen Album verarbeiten wollte, war die Ankündigung meinerseits wirklich keine Überraschung für sie. Des weiteren kann, denke ich jeder, der die Geschichte um mich, diese Band, die Kritik an mir, meine Jugend und die von mir umgesetzten Dinge kennt, nachvollziehen, dass ich diese Dinge ohne Rücksicht auf niemanden ausführen möchte. Es ist ein Album über mein Leben, nur meine eigenen Erfahrungen, Ängste, Sorgen, Empfindungen und wird deshalb letztlich ein 100% NUR Philipp Burger Album. Mit anderen Musikern an Bord, völlig losgelöst von Frei.Wild, aber eben auch mit dem Segen und der Unterstützung meiner Bandkollegen, ohne die ich auch nicht der wäre, der ich heute bin.
Das Album heißt „Kontrollierte Anarchie“. Wie viel Punk steckt in dir? Oder ist der Titel anders gemeint?
Ich glaube mich selbst ganz gut zu kennen, um behaupten zu können, dass ich durchaus für eine gehörige Portion Energie, Provokation, Wildheit und Risikobereitschaft stehe, und auch eine gewisse Form von Unsicherheit brauche. Ich bin gerne diskutierbar und sehe es als meine Pflicht an, für meine Überzeugung einzustehen, um die viele Branchen-Kollegen, aus Angst sich die Finger zu verbrennen, einen großen Bogen machen. Die Meinung von anderen Menschen über mich interessiert mich zwar durchaus, aber ich mache mir primär keine allzu großen Gedanken oder eben Sorgen darüber.
Da steckt durchaus eine Art anarchistische Haltung drinnen, ist das Album also doch eine Art Punkalbum?
Musikalisch kam ich nach einigen durchaus gut klingenden Alternativstilen in der Tat bei der für mich passendsten Form an, dem deutschsprachigen, eingängigen Rock, dem wie wir es nennen „Deutschrock“. Alles andere kam mir irgendwie nicht passend vor, das Album sollte mich nun mal am besten präsentieren. Was für mich wirklich zählt ist, ob meine Worte und Handlungen meinem Herzen, meiner Überzeugung entspringen, und nicht irgendeinem Trend oder einer „vermeintlich richtigen“ Mehrheitsmeinung. Was ich sagen will, ich stehe in meinem Leben auf der einen Seite auf Unsicherheit, aber auch auf eigene Kontrolle, eben auf Sicherheit zugleich, darum passt der Titel „Kontrollierte Anarchie“ wirklich gut zu mir. Und dennoch, Punk bin ich deshalb trotzdem keiner, dafür bin ich zu konservativ geartet, vielleicht auch zu wenig „Scheiß auf alles und jeden“, und vielleicht auch zu zielstrebig. Ich bin ich, und das alleine ist ein Wunsch, den ich mir schon lange erfüllen konnte, trotz aller Widrigkeiten, oder vielleicht auch zum Teil genau wegen ihnen – wer weiß? Und dieses Album bringt auch das zum Thema.
Du sprachst von anderen Musiker, wer sind sie und warum hast du genau sie und nicht deine Bandkollegen dafür genommen?
Ganz einfach. Wir, also die Band Frei.Wild, sind seit 20 Jahren in ein und derselben Besetzung unterwegs, ohne einen einzigen Wechsel. Wir sind Freunde, Geschäftspartner und teilen diese wunderbare Leidenschaft, unsere Gedanken gemeinsam zu besprechen, gewisse Themenfelder zu besingen und zusammen aus den Lautsprechern zu jagen. Nachdem es hier aber „nur“ um mein Leben geht, ich vieles sehr Privates verarbeite und vor allem auch auf meine Jugend als Skinhead eingehen möchte, um ein für allemal meine Sichtweise darauf abzuarbeiten, sehe ich die Variante mit anderen, mit freien dazu gezogenen Musikern, als die bessere an. Ansonsten hätten wir es gleich als Frei.Wild Album veröffentlichen können. Ich bin froh, dass Kurt „Marokk“ Oberhollenzer (Drums), dass Alex Lysjakow am Bass und dass Mattia Mariotti an der Leadgitarre dabei sind und mich bei diesem Projekt unterstützen.
Du bist den Fragen nach deiner Skinhead-Vergangenheit nie ausgewichen und hast dich immer klar davon distanziert. War das im Rückblick eine Jugendsünde, die du nie los wirst?
Ganz ehrlich, ich singe in einem der Lieder folgenden Text: „Es gibt keine Jugendsünden, es gibt nicht nur die eine Richtung, jeder wählt einen anderen Weg. Es gibt keine Jugendsünden, es ist die Suche nach sich selbst, habe mich gefunden, habe sie erlebt.“ Und so sehe ich das auch. Ich bin nicht auf alles stolz, schüttle über manche meiner Ansichten von damals meinen Kopf, insbesondere über die politisch extremen. Aber ich denke, ich habe durch diese Zeit auch viel dazugelernt und kann heute mit gutem Beispiel voran gehen, dass das Leben aus so verdammt vielen schönen Dingen besteht, die allesamt wertvoller sind, als das, wofür meine eigene Jugend stand.
Wird es zu dem Album auch eine Tour geben?
Nun, eine Solo-Tour war bereits in Planung, aufgrund der erneut verschärften Corona-Restriktionen sind wir uns aber nicht sicher, ob diese auch stattfinden kann. Wir alle hoffen jedenfalls, dass wir die Daten spielen können, denn eines ist gewiss, nach dieser Tour geht es mit Vollgas und einem Großangriff bei Frei.Wild weiter und das hat Priorität. Wir haben unfassbar hart gearbeitet die letzten zwei Jahre, haben unsere Urlaubspläne auf Eis gelegt und scharren mit den Hufen. Denn auch hierfür gilt, 20 Jahre Bandgeschichte schreien ebenso nach neuen Dekaden. Genau wie ich, der jetzt 40 ist.
Du bist ja auch Nebenerwerbsbauer. Was bedeutet dir die Arbeit auf dem Hof?
Sie bedeutet mir vieles, Entfaltung, ja auch, Tradition. Aber sie ist auch die Möglichkeit, um Tag für Tag dazuzulernen, sie bedeutet mir Wertschätzung und Bestätigung für das Geleistete. Zudem ist es die Erfüllung meines Lebenstraumes. Und das gilt auch für meine Familie.
Interview: Heinrich Schwazer
Zur Person
Philipp Burger, am 25. März 1981 in Sterzing geboren, ist Frontmann, Sänger und Gitarrist der Deutschrock-Band Frei.Wild. Als Teenager war er Skinhead und Sänger der Rechtsrock-Band „Kaiserjäger“. Die Band löste sich im Jahr 2001 auf, Burger wendete sich von der Szene ab, heute kritisiert die Phase aufs Schärfste und bezeichnet es als die „beschissenste Zeit meines Lebens“. Im September 2001 gründete er mit Jonas Notdurfter die Band Frei.Wild, welcher sich bald darauf Christian Fohrer und Jochen Gargitter anschlossen. Zusammen veröffentlichten sie bisher 16 Alben und erreichten mehrfach die Chartspitze in Deutschland.
Heuer bringt er sein erstes Soloalbum heraus: „Ich sah diese Zeit, jetzt wo livetechnisch alles still steht, als die für mich passendste, mein Leben endlich solo zu verarbeiten. Ich dachte erst über ein Buch nach, dann über eine Art Bilderstrecke … doch geworden ist es, welch ein Wunder, dann doch ein fettes Rock-Album. Ein Album, das wirklich nur MEIN eigenes Leben beleuchtet, ohne Rücksicht auf niemanden, mit meiner persönlichsten Handschrift überhaupt. Und ja, diese Lieder halten mir meinen eigenen Lebensspiegel vor, manchmal schmerzhaft, immer aufbauend, aber vor allem auch selbstkritisch und ehrlich. Sie erzählen von meinen Schwächen, von meinen Höhen und Tiefen, von Erfolgen, Niederlagen, Irrwegen, Enttäuschungen und daraus gezogenen, wertvollen Lehren. Die Lieder erzählen von meinen wilden Zeiten als rechter Skinhead, meinem Ausstieg und auch meinen zielgerichteten Gedanken in Richtung Zukunft. Es ist, DER Soundtrack zu meinem eigenen Leben“.
Das Album „Kontrollierte Anarchie“ erscheint über Rookies and Kings und wird am 24. Dezember 2021 veröffentlicht. Der erste, gleichnamige Vorab- Trailer erscheint pünktlich zu Philipp Burgers 40. Geburtstag am 26. März, also genauer gesagt ab Mitternacht des 25. März. Die erste Single samt Video und Vorverkauf zum Album, starten am 02.04.2021.
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