„Er hat mich gewürgt“
Eine Würge-Attacke in der Nacht, der exzessive Anabolika-Konsum und völlig verängstige Eltern: Die Verhörprotokolle von Madè Neumair erlauben tiefe Einblicke in ein völlig zerrüttetes Familiensystem.
von Artur Oberhofer
Am Donnerstag, 7. Jänner dieses Jahres, um 13.33 Uhr wird Madè Neumair in der Carabinieri-Kaserne als Zeugin angehört.
Von ihren Eltern Laura Perselli und Peter Neumair fehlt seit drei Tagen jede Spur. Die 26-Jährige befürchtet Schlimmstes. Und sie ist felsenfest davon überzeugt, dass ihr Bruder Benno für das Verschwinden der Eltern verantwortlich ist.
Dem Vernehmungsbeamten schildert Madè Neumair eine beklemmende Episode.
Ein Auszug aus dem Verhörprotokoll:
„Mir fällt jetzt ein: Als ich 19 Jahre alt war und er (Benno, Anm. d. R.) 23, waren wir in Indonesien. Wir schliefen gemeinsam in einem großen Bett. Ich erinnere mich, dass ich plötzlich aufwachte, weil er mich – vermutlich in einer Schlafwandelphase – würgte. In letzter Zeit haben meine Eltern auch wieder damit begonnen, ihr Schlafzimmer abzusperren, weil sie besorgt waren.“
Der Vernehmungsbeamte fragt Madè Neumair, ob die Eltern ihr erklärt hätten, warum sie das Zimmer absperren.
Die junge Frau gibt zu Protokoll:
„Meine Mutter sagte, sie habe wegen der vielen unguten Vorkommnisse der letzten Jahre Angst vor ihm. Sie sagte, sie fürchte sich vor Benno. Und sie riet mir, nie mit ihm zu streiten, wenn ich allein mit ihm bin.“
Die Aussagen der Madè Neumair belegen zweierlei: Die Familienangehörigen (und mit ihnen die Carabinieri) gingen von Beginn an von einem Verbrechen aus und hatten nur einen Verdächtigen – Benno! Und: Die Familie Perselli-Neumair war alles andere als eine – um es mit den Worten des Psychiaters Paolo Crepet zu sagen – Mulino-Bianco-Familie.
Die Verhörprotokolle von Madè Neumair, die der TAGESZEITUNG vorliegen, erlauben tiefe Einblicke in ein komplexes Familiensystem, in der ein Mitglied zur im Laufe der Jahre zur tickenden Zeitbombe wurde.
Madé Neumair sagt im Verhör:
Ihre Familie sei „eine ganz normale, geeinte Familie“ gewesen. Sie habe zu ihrem Bruder Benno ein sehr enges Verhältnis gehabt. „Bis vor zehn Jahren, als er von seiner damaligen Freundin verlassen wurde“, so die Schwester. In der Folge habe ihr Bruder die Welt des Bodybuilding entdeckt, er habe zunächst nur Proteinpulver-Präparate und dann Wachstumshormone zu sich genommen: Testosteron und Somatropin. „Als Medizinerin“, so gibt Madè Neumair zu Protokoll, „kann ich sagen, dass diese Substanzen persönlichkeitsverändernd wirken, was bei Benno auch der Fall war.“
In einem Verhör am 26. Jänner ab 18.05 Uhr mit den Staatsanwälten Igor Secco und Federica Iovene sagte Madè:
„Der Konflikt zwischen meiner Mutter und Benno hat vor neun Jahren angefangen. Er war noch Student und hatte damit begonnen, Anabolika zu konsumieren. Ich erinnere mich an eine Episode aus dem Jahr 2013, als er den Eindruck hatte, dass wir alle uns gegen ihn stellten. Er reagierte gewalttätig, indem er mich gegen einen Heizkörper schubste, so dass ich in die Erste Hilfe musste.“
Nach diesem Streit habe Benno die elterliche Wohnung verlassen und sei für neun Monate verschwunden. Er habe die Kreditkarten der Eltern und seinen Hausschlüssel mitgenommen.
Später hätten sie und ihre Eltern erfahren, dass Benno eine Zeitlang bei der Oma gelebt und dann ein Zimmer angemietet hatte.
Irgendwann habe sich Benno Neumair dann wieder stabilisiert. Bis zum Winter 2019 habe ihr Bruder in Innsbruck in einer Beziehung gelebt. Die Eltern hätten die Wohnungsmiete bezahlt. Benno habe gelegentlich als Fitness- oder Kletterlehrer gejobbt.
Madè Neumair im Verhör:
„Zu Weihnachten 2019 ist die Beziehung zwischen Benno und Juliane (…) in die Brüche gegangen. Er kehrte nach Hause zurück und sagte klar und deutlich, dass er nicht arbeiten wolle.“
Benno sei dann im Jänner 2020 einen Monat lang nach Spanien gegangen, daraufhin habe er Nadin R., eine junge Frau, die als leitende Pflegekraft in einem Seniorenheim in Ulm arbeitet, kennengelernt. Benno sei zu ihr gezogen.
Von Madè Neumair erfahren die Ermittler bereits frühzeitig vom Kreditkartenbetrug und vom vorgetäuschten Raubüberfall, wegen dem Benno Neumair im Juli 2020 in die Psychiatrie eingeliefert worden ist.
Madé Neumair gibt zu Protokoll:
„Benno machte meine Mutter für all seine Probleme verantwortlich. Meiner Meinung nach wollte mein Bruder nie arbeiten. Er sagte immer, er brauche nicht viel zum Leben. Ich glaube, er hat gedacht, dass er über die Runden kommt, wenn er eine der beiden Wohnungen meiner Eltern vermietet.“
Auch die Supplenz-Stelle als Mathematik-Lehrer an der Aufschnaiter-Mittelschule in Bozen habe Benno Neumair keine Freude bereitet.
Madè Neumair im Verhör:
„Benno arbeitete als Supplent. Er sagte, er mache diesen Job nur, weil er (wegen des Lockdowns) bequem von daheim aus arbeiten könne, wenn es eine ,richtige‘ Arbeit gewesen wäre, hätte er sie nicht gemacht, er sagte, er habe andere Pläne …“
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Kommentare (17)
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andreas
@hilti
Es ist doch nicht Aufgabe der Presse unsinnige Gerüchte mit Ermittlungsinternas zu entkräftigen und auch bringt es niemanden etwas, Details aus der der Kindheit zu publizieren, da sowieso jeder andere Schlüße daraus zieht.
leser
Oberhofer und die dorftratschen
Journalismus auf höchstem niveau
Zu ostern gibts an kittl