Hartes Urteil
Die französische Aktivistin Valérie Murat wurde am Donnerstag aufgrund einer Veröffentlichung über Pestizid-Rückstände in Bordeaux-Weinen zu Schadensersatzzahlungen von über 125.000 Euro verurteilt. Das Umweltinstitut München kritisiert das Urteil als herben Rückschlag für die Meinungsfreiheit .
Anlass der Klage des Branchenverbands für Bordeaux-Weine („Conseil Interprofessionnel du Vin de Bordeaux“, kurz CIVB) und 26 weiterer Vertreter:innen der Weinbranche war eine Veröffentlichung der von Valérie Murat gegründeten Bürgerinitiative „Alerte aux toxiques!“ aus dem September letzten Jahres.
Darin wurden die Ergebnisse einer Untersuchung von zwanzig Weinen aus dem Bordelais auf Pestizid-Rückstände vorgestellt. Insgesamt konnten 28 verschiedene Wirkstoffe nachgewiesen werden, in den einzelnen Flaschen waren es zwischen vier und 15 Stoffe. Die Veröffentlichung von Murat kritisierte das HVE-Siegel („Haute Valeur Environmentale“), eine Kennzeichnung für vermeintlich besonders umweltfreundlichen Anbau, mit dem die getesteten Weine gekennzeichnet waren, als Greenwashing.
Dieses Siegel ist nicht nach europäischem Recht zertifiziert, sondern besagt lediglich, dass die Weingüter sich um „die Beziehung zwischen Weinberg und Umwelt“ kümmern. Konkrete Vorschriften für die Anbaupraktiken wie in der Bio-Landwirtschaft gibt es jedoch nicht. Obwohl geltende Grenzwerte für Tafeltrauben nicht überschritten werden, beweisen die Tests die Diskrepanz zwischen der Vermarktung der Weine als besonders umweltfreundlich und dem hohen Einsatz von umweltschädlichen Pestiziden in der Realität.
Das Gericht hält den Vorwurf der Kläger:innen der „kollektiven Verunglimpfung der Wein-Industrie von Bordeaux“ für berechtigt und verurteilte die ehrenamtliche Aktivistin zu Schadensersatzzahlungen von insgesamt 125.000 € an die Winzer:innen. Das Gericht begründet sein Urteil damit, dass in der Veröffentlichung von „Alerte aux toxiques“ eine Einordnung fehle, dass die gefundenen Pestizidrückstände unter den gesetzlichen Grenzwerten liegen. Tatsächlich war dies jedoch aus den mitveröffentlichten Laborberichten ersichtlich.
„Die Urteilsbegründung liest sich wie eine Kampfansage an alle Menschen in Europa, die sich für eine Landwirtschaft ohne gefährliche Pestizide einsetzen“, so Veronika Feicht, Referentin für Agrarpolitik am Umweltinstitut München.
„Valérie Murat hat die Öffentlichkeit darüber informiert, dass Pestizidrückstände in den untersuchten Bordeaux-Weinen zu finden sind. Diese Rückstände können auch dann gesundheitsschädlich sein, wenn sie unter den gesetzlichen Grenzwerten liegen. Das sieht man schon allein daran, dass viele Stoffe letztlich aufgrund neuer Beweise für ihre Schädlichkeit verboten werden. Es ist schockierend, dass sich das Gericht zum Handlanger des mächtigen Weinverbands macht, um diese unbequeme Wahrheit unter den Teppich zu kehren. Wir hoffen nun sehr, dass das Urteil in zweiter Instanz kassiert wird. Denn wenn das Urteil bestätigt werden sollte, hätte das eine fatale Signalwirkung. Umwelt- und Verbraucherinitiativen, aber auch kritische Journalist:innen müssten dann bei jeder Veröffentlichung befürchten, Opfer ähnlicher Klagen zu werden.“
Valérie Murat muss nun 100.000 € Schadensersatz an den CIVB sowie 25.000 € an die übrigen Kläger:innen zahlen. Darüber hinaus ordnete das Gericht die Löschung der beanstandeten Veröffentlichung innerhalb von 15 Tagen von der Website von „Alerte aux toxiques“ sowie von Facebook und Twitter an. Andernfalls droht eine Strafe von 500 € für jeden weiteren Tag, an dem die Dokumente öffentlich bleiben. Die Aktivistin hat angekündigt, gegen das Urteil in Berufung zu gehen. Dabei wird sie von einem breiten europaweiten Bündnis unterstützt: Am Tag vor der Urteilsverkündung solidarisierten sich fünf Abgeordnete des EU-Parlaments sowie 43 Organisationen, darunter Greenpeace, Buglife, das Corporate Europe Observatory, das Pesticide Action Network sowie das Umweltinstitut München mit der Aktivistin.
„Wir sind selbst Opfer einer ähnlichen Knebelklage, die in Fachkreisen als SLAPP (strategic lawsuit against public participation) bezeichnet werden, unser Agrarreferent Karl Bär steht in Bozen vor Gericht, weil er in einer Kampagne den hohen Pestizideinsatz in den Südtiroler Apfelplantagen kritisiert hat“, so das Umweltinstitut.
Dafür verklagten ihn der Südtiroler Landesrat für Landwirtschaft Arnold Schuler und über 1300 Obstbäuerinnen und Obstbauern wegen übler Nachrede.
Die SLAPP-Klagen gegen Valérie Murat und Karl Bär reihen sich ein in den auch in Europa immer häufiger angewendeten Versuch von Vertreter:innen aus Wirtschaft und Politik, Aktivistinnen und kritische Journalist:innen durch strategische Klagen psychologisch zu zermürben, finanziell zu ruinieren und in ihrer Arbeit zu behindern, so das Umweltinstitut.
Die EU-Kommission arbeitet aktuell auf Druck der Zivilgesellschaft an einer Machbarkeitsstudie zu einer EU-Richtlinie gegen den Justizmissbrauch durch SLAPPs. Derzeit läuft das Auswahlverfahren für eine Expertengruppe unter der Führung der Generaldirektion Justiz und Verbraucher.
Ob es eine solche Richtlinie geben wird, die von den Mitgliedsstaaten in nationales Recht übersetzt werden müsste, entscheidet sich voraussichtlich im Herbst dieses Jahres.
Kommentare (14)
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