„Extreme Belastung“
Primar Reinhold Perkmann über den Druck, dem die Ärzte und Pfleger wegen der steigenden Anzahl der Corona-Patienten ausgesetzt sind.
Tageszeitung: Herr Perkmann, in Südtirols Krankenhäuser sind derzeit 44 Coronapatienten auf den Intensivstationen untergebracht. Wie wirkt sich das auf andere Abteilungen aus?
Reinhold Perkmann: Die Intensivbetten machen nur einen Teil des gesamten Problems aus. Es geht nicht nur um die Intensivpatienten, sondern auch um alle anderen Patienten. Man sieht zwar bei den Intensivpatienten, wie stark das System belastet ist, aber auch Nicht-Corona-Patienten, von denen es mehr gibt, belasten das Krankenhaus. Sich nur auf die Intensivpatienten zu fokussieren, wird der Sache nicht gerecht.
Sie sind in den letzten Wochen mit kritischen Aussagen im Bezug auf die Maßnahmen der Politik auffällig geworden…
Es stimmt, es ist ja auch eine schlimme Situation, wir wollten damit aber nicht in einer Form auffallen. Wir Primare haben uns mit der Situation auseinandergesetzt und die Belastung auf das gesamte System wahrgenommen. Es gibt einzelne Situationen, die dazu geführt haben, dass die Versorgungsmöglichkeit für Nicht-Covid-Patienten zurückgefahren werden mussten, weil vor allem Pflegepersonal abgezogen wurde. Damit wird die Aktivität auf den anderen Stationen eingeschränkt. In Südtirol gibt es derzeit keine neurologische Station, Physiotherapie gibt es nur mehr eine in Sterzing, alle anderen sind nicht mehr aktiv, weil das Pflegepersonal fehlt.
Insbesondere in der vergangenen Woche hat die Zahl der Intensivpatienten zugenommen. Damit mussten nochmal mehr Pfleger abgestellt werden. Merkt man das auch in Ihrer Abteilung?
Die Zunahme spürt man natürlich, schlimmer ist aber, dass es keine Aussicht darauf gibt, dass Pfleger auf ihre ursprünglichen Abteilungen zurückkehren. Derzeit ist es so, dass je mehr Patienten kommen, desto geringer die Aussicht ist, dass Pflegepersonal zurückkommt. Leider gab es in den letzten Tagen kontinuierlich mehr Intensivpatienten. Wir hoffen, dass die Zahl zumindest nicht mehr ansteigt.
Wie viel Patienten mehr verträgt das Krankenhaus noch?
Ich kann nicht sagen, wie viel noch möglich ist. Wenn man die offiziellen Stellen hört, gibt es Möglichkeiten nach oben, aber es gibt da zwei kommunizierende Kanäle. Zum einen die Covid-Patienten und auf der anderen Seite die Nicht-Covd-Patienten. Sobald die Covid-Betreuung nach oben gefahren wird, muss die Nicht-Covid-Betreuung gesenkt werden. Es ist vermutlich möglich, doppelt so viele Covid-Patienten zu betreuen, es ist dann aber davon auszugehen, dass ich nur mehr die Hälfte an Nicht-Covid-Patienten betreuen kann. Nachdem kein zusätzliches Personal aus dem Hut gezaubert werden kann, fehlt das Personal in den Nicht-Covid-Bereichen. Wenn man davon spricht, dass das System dem Ganzen gewachsen ist, hat man nur die Covid-Patienten im Blick. Diese Bereiche werden wir noch hochfahren können, aber das geht auf Kosten der anderen Bereiche.
Wie wirkt sich der enorme Druck auf die Ärzte und Pfleger aus?
Die Pfleger, die sowohl auf Covid- als auch Nicht-Covid-Stationen arbeiten, sind unter einer enormen Arbeitsbelastung, weil man mit reduziertem Personal auf den Normalstationen zum Teil mehr Patienten aufnehmen muss, als es der Pflege-Patienten-Schlüssel vorsieht. Von Kollegen, die auf Covid-Stationen arbeiten hört man, dass diese unter einer extremen Belastung stehen und an ihre psychischen und physischen Belastungsgrenzen kommen. Das hört man beispielsweise aus der Geriatrie. Dort sind Leute im Krankenstand, nicht aus Covid-Gründen, sondern weil sie es nicht mehr schaffen. Wir hatten im Sommer vielleicht eine kleine Pause, mussten ansonsten an unsere Grenzen gehen. Zur Arbeitsbelastung gesellen sich dann noch Hürden wie Schutzausrüstung und ähnliches.
Ist dieser Druck noch tragbar?
Es muss betont werden, dass jeder, der im Bereich tätig ist, in unmöglichen Zeiten, das Möglichste leistet. Jeder gibt deutlich mehr als hundert Prozent. Wenn es die Strukturen nicht mehr hergeben, kann aber auch das Personal keine Wunder wirken. Bereits jetzt operieren wir nur Notfälle und Patienten, die auf absehbarer Zeit behandelt werden müssen. Sie müssen zehn, vierzehn Tage oder vielleicht auch länger auf ihre Behandlung warten, weil mehr derzeit einfach nicht möglich ist.
Patienten werden also deutlich später als bisher behandelt?
Wir sprechen nur mehr von Notfällen, die sofort behandelt werden müssen oder dringenden Patienten, die in einer absehbaren Zeit behandelt werden müssen. Rainer Oberhollenzer, der Primar der Abteilung Kardiologie hat berichtet, dass bei Koronarangiographien abgewogen werden muss, wer zuerst behandelt wird, obwohl bereits jetzt alle Patienten schnellstens behandelt werden müssten. Genauso ist es bei uns. Eigentlich müssten wir diese Patienten viel früher behandeln, aber wir können es nicht, weil uns die Kapazitäten fehlen. Wir sind in einer Katastrophe, wir sind in einer gewissen Weise dazu verdammt, Entscheidungen zu treffen, die enorme Verantwortung mit sich bringen. Diese Verantwortung lastet schwer auf unsere Schultern.
Seit zwei Wochen sind Bars und Restaurants geschlossen, seit einer Woche gilt der harte Lockdown. Ist eine Entlastung absehbar?
Eine Entlastung ist bisher noch nicht eingetreten. Das dauert 14 Tage bis drei Wochen, daher ist das aber auch nicht verwunderlich. Das wissen wir alle. Wir erwarten uns und hoffen, dass es etwas bringt und wir eine Entlastung in zehn bis vierzehn Tage sehen.
Reichen die zwei verbleibenden Wochen Lockdown überhaupt aus, um den Druck entscheidend zu senken?
Ob diese zwei Wochen ausreichen, kann niemand beantworten, man kann nur hoffen. Es gilt nach wie vor der Appell an alle, sich an die Regeln zu halten, weil es eine der Möglichkeiten ist, die Situation in den Griff zu bekommen. Ich habe den Eindruck, dass die Leute diszipliniert sind, es gibt nur einen geringen Anteil an Undisziplinierten, den es aber in jeder Gesellschaft gibt. 90 Prozent der Bürger halten sich an die Maßnahmen, nicht weil es Vorschriften sind, sondern weil sie glauben, dass es dadurch zu Besserungen kommt und jeder seinen Teil dazu beitragen will. Das ist ein gutes Zeichen.
Interview: Markus Rufin
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