„Die Frustration ist groß“
Nikos Charalampopoulos ist der neue Präsident des Meraner Theater in der Altstadt. Was verbindet den Wirtschaftsinformatiker mit dem Theater, wie will er das Theater durch die pandemiebedingte schwere Krise führen und was erwartet er von der Politik.
Tageszeitung: Herr Charalampopoulos, von Beruf sind sie Wirtschaftsinformatiker. Was verbindet Sie mit dem Theater?
Nikos Charalampopoulos: Meine Mutter ist Absolventin des Max Reinhardt Seminars in Wien und war Schauspielerin im Theater in der Josefstadt Wien und in Zürich. Die Leidenschaft fürs Theater hat sie auch nach ihrem Umzug mit nach Griechenland, wo ich aufgewachsen bin, mitgebracht.
Rudi Ladurner war Präsident und Direktor in einer Person, was an und für sich eine Anomalie war. Warum hat man sich für eine Neustrukturierung entschieden und was ändert sich damit?
Rudi Ladurner war viel mehr als nur Präsident und Direktor: Gründer, Regisseur, Kassierer, u.v.m. Niemand kann ihn im Umfang seiner Tätigkeiten und seiner Hingabe ersetzen. Johanna Porcheddu hat viele Jahre mit ihm eng zusammengearbeitet. Sie leitet jetzt operativ und künstlerisch das Theater mit der Unterstützung eines engagierten Teams. Wir haben also die Funktionen aufgeteilt, um den langfristigen Bestand des Theaters zu ermöglichen.
Wie sehen Sie Ihre Aufgabe als Präsident, was planen Sie, welche Zukunft sehen Sie für das Theater in der Altstadt?
Abgesehen von der Verantwortung für die ordnungsmäßigen Führung sehe ich die Rolle des Vorstandes (wir sind zu dritt) eher im Hintergrund: einerseits beratend-unterstützend gegenüber dem Führungsteam im Rahmen des Tagesgeschäfts, anderseits gestaltend in Bezug auf die langfristige Ausrichtung des Theaters. Der neue Vorstand ist seit letztem Oktober aktiv und unsere Aufmerksamkeit gilt derzeit dem Krisenthema. Das Theater in der Altstadt ist eine Institution im kulturellen Leben von Meran. Wir müssen sicherstellen, dass es so bleibt.
Für die Programmplanung wurde ein künstlerischer Beirat, bestehend aus Vertreterinnen des Theaters in der Altstadt, dem Frauentheater Phenomena und dem Theater in der Klemme ernannt. Bedeutet das, dass hinkünftig drei Intendantinnen am Werk sind?
Als Mitglieder des Vereins ZeitTheater haben wir beschlossen, dass wir die drei Theater zusammenführen und ihre drei Identitäten/Schwerpunkte aufrechterhalten. Der künstlerische Beirat ist aktuell im Entstehen und in ihm werden die Phenomena und das Theater in der Klemme ihre Vertretung finden.
Ihre Präsidentschaft beginnt durch die Anti-Pandemiemaßnahmen mitten in einer der schwersten Krisen des Theaters. Sind Sie nicht wütend, dass die Theater trotz penibler Hygienekonzepte zugesperrt bleiben?
Ich bin nicht wütend, aber die Frustration ist tastsächlich groß. Denn natürlich habe ich Verständnis für die Vorsichtsmaßnahmen, doch gleichzeitig sehe ich die Gefährdung der Existenz jener, die mit dem Theaterbetrieb zusammenhängen.
Museen, Ausstellungshäuser und Theater bleiben zu, Geschäfte und Restaurants sind offen. Werden die Theater nicht ernst genommen, in ihrem Bemühen, verantwortlich mit der Situation umzugehen?
Das Virus hat uns als Gesellschaft unvorbereitet erwischt. Unser Wirtschaftsleben ist nach Gewerben mit entsprechenden Interessensvertretungen und politischer Verantwortung organisiert und nicht nach Aktivitäten, die die Ausbreitung des Virus mehr oder kaum fördern. Das heißt, es ist nicht sinnvoll, alle kulturellen Angebote in einem Topf zu werfen.
Warum ist es wichtig, dass die Theater offen sind? Was fehlt uns, wenn es kein Theater gibt?
Beim Theater geht nicht nur um Unterhaltung. Es geht auch um intellektuelle Stimulation, Bildung, gesellschaftskritische Gedankensplitter, Inspiration und die Öffnung der emotionalen Welt. Eine Gesellschaft, die langfristig auf all das verzichtet, verkümmert.
Kunst, Musik und Theater wurden von der Politik als nicht systemrelevant beiseitegeschoben. Was antworten Sie darauf?
Systemrelevant ist tatsächlich aktuell ein funktionierendes Gesundheitswesen. Man darf nicht vergessen, dass es Kunst, Musik und Theater lange bevor es Banken, Flugverkehr und Elektrizität gab. Sie sind ein Teil des Gefüges, auf dem sich jede entwickelte Kultur stützt.
Einen kollektiven Aufschrei der Theatermenschen gegen die willkürlichen Lockdown-Maßnahmen hat es nicht gegeben. Scheut man den offenen Widerstand, ist man zu brav?
Da muss man sich vielleicht selbst in die Pflicht nehmen. Die professionellen Theater sowie auch die Freischaffenden sind untereinander gut abgestimmt und sind dabei sich zu organisieren, um unsere Anliegen nach außen stärker zu vertreten.
Was erwarten Sie von der Politik, was muss jetzt geschehen?
Wir erwarten eine angemessene Aufmerksamkeit. Das bedeutet, eine nüchterne Risikobewertung der einzelnen kulturellen Aktivitäten und Öffnung jener, die unter Einhaltung von geeigneten Maßnahmen keine Gefährdung in Bezug auf die Virusverbreitung darstellen. Falls dies nicht möglich ist, erwarten wir die Unterstützung all jener, deren Existenz vom Theater abhängt.
Fürchten Sie Sparmaßnahmen im Gefolge der Coronakrise?
Ja. Die Staatsverschuldung zur Krisenbewältigung steigt in jedem Land und alle Wirtschaftsbereiche, die auch von öffentlichen Geldern abhängig sind, werden die Konsequenzen spüren.
Viele freischaffende Schauspieler und Regisseure stecken in schweren existenziellen Nöten. Können die Theater da helfen oder ist jeder auf sich allein gestellt?
Die Theaterschaffenden sind aktuell unsere größte Sorge. Sie dürfen aktuell nicht arbeiten und haben im Unterschied zu anderen Berufsgruppen kein Einkommen. Natürlich würden wir gerne als Theater mehr helfen. Weil wir aber auch öffentliche Gelder einnehmen, dürfen wir ohne Gegenleistung keine Zahlungen vornehmen. Es besteht die Gefahr, dass sich eine ganze Generation von Schauspielern und Regisseuren beruflich neu orientiert, weil sie in finanzielle Nöte kommen. Das wäre für Südtirol ein großer nachhaltiger Schaden.
Manche Theater gehen mit aller Kraft ins Netz. Was halten Sie von gestreamtem Theater? Ist das eine Alternative?
Für mich persönlich nicht. Es ist, als würde man ein live Konzert mit einer Fernsehübertragung vergleichen. Die Theatererfahrung ist mehr wie nur Sehen und Hören. Sie definiert sich gerade durch die physische Präsenz der Schauspieler und der Zuschauer und was daraus entsteht.
Jede Krise ist auch eine Chance heißt es. Welche Chancen sehen Sie?
Tatsächlich könnte diese Krise die Theater in ihrer Zusammenarbeit näherbringen und das Selbstbewusstsein für die gesellschaftliche Bedeutung stärken. Es wäre auch eine Chance lokale Eigenproduktionen mit Schauspielern aus Südtirol zu fördern. Und schließlich gewinnt man vielleicht neue Theaterfreunde aus jenen, die einen Überfluss an Fernsehen und Streamingdienste über die letzten Monate erlebt haben. Das Theater ist nur ums Eck, wenn es wieder öffnet…
Interview: Heinrich Schwazer
Zur Person
Nikos Charalampopoulos, 1978 in Athen/Griechenland geboren und aufgewachsen, ist verheiratet und hat zwei Kinder. Er studierte der Wirtschaftsinformatik an der Technischen Universität Wien und an der Royal Holloway University of London. 2001 absolvierte er den Pflichtmilitärdienst in Griechenland und Österreich. 2002 war er Wissenschaftlicher Assistent & Doktorand an der Universität Wien, 2004 gründete er eine IT-Firma in Wien mit Spezialisierung auf Webtechnologien Von 2006-2012 arbeitete er für Dr. Schär in den USA, von 2012-2015 ebenfalls für Dr. Schär in Frankfurt. Von 2015-2020 war er Vorstand Dr. Schär, seit 2020 ist er Mitglied des Verwaltungsrates von Dr. Schär.
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