„Keine große Gefahr“
Trotz der hohen Infektionszahlen plädiert der Osttiroler Virologe Gernot Walder dafür, Kindergärten, Grund- und Mittelschulen offen zu lassen.
Tageszeitung: Herr Walder, auch in den Südtiroler Schulen steigen die Corona-Infektionsfälle. Sind die Schulen also trotzdem kein sicherer Ort?
Gernot Walder: Man muss die Zahlen in den Schulen immer in Gesamtrelation zum infektiologischen Geschehen sehen. Gibt es viele Infektionen, steigt auch die absolute Anzahl der Fälle in den Schulen, obwohl der Prozentsatz relativ klein ist. In den Grundschulen gibt es nach wie vor weniger Fälle als in anderen Settings, ab 15 bis 16 Jahren gleichen sich die Zahlen an der Normalsituation wieder an. Den derzeitigen Daten kann man entnehmen, dass die Ansteckungsgefahr in der Unterstufe reduziert ist. Außerdem ist es eher selten, dass Corona von Kindern auf Erwachsene übertragen wird, es kommt zwar vor, aber ist seltener der Fall. Letztendlich hängt die Zahl der Infektionen in den Schulen aber auch davon ab, welche Maßnahmen zur Verhinderung gesetzt werden. Ansteckungen gab es vor allem im Sport- und Musikunterricht.
In den Oberstufen kommt es also eher zu Ansteckungen?
Ab einem Alter von 15 oder 16 Jahren beginnt sich die Zahl der Ansteckungen an die Normalsituation anzugleichen. Im Frühjahr sahen wir nur wenig betroffene Kinder, die Viruslasten waren gering. Die Befürchtung, dass Kinder ähnlich wie bei Influenza das Infektgeschehen befeuern, hat sich damals nicht erfüllt. Mit den steigenden Fallzahlen im Herbst sahen wir entsprechend mehr betroffene Kinder, auch solche mit relativ hohen Viruslasten. Diese sind aber nach wie vor in der Minderheit.
Je höher die Infektionszahl, desto mehr Infektionen gibt es also auch an den Schulen?
Eine genaue Analyse der Daten wurde noch nicht vorgenommen. Grundsätzlich ist es aber so, je höher die Infektionszahl ist, desto mehr Infektionen gibt es auch in Schulen. Man müsste sich dazu aber alle Daten anschauen, denn in letzter Zeit ist manches in Bewegung gekommen. Was mir bisher vorliegt zeigt aber nicht, dass Schulen im September bis November besondere Brennpunkte waren.
Wäre es sinnvoll für gewisse Fächer wie Sport oder Musik ein spezielles Konzept auszuarbeiten?
Ja, das wäre sinnvoll. Auf der einen Seite ist Sport gerade in diesen Alterststufen für die Entwicklung des Kindes entscheidend. Es hat einen negativen Effekt, wenn man überhaupt keinen Sport mehr in der Schule betreiben würde. Auf der anderen Seite birgt das Fach ein Übertragungsrisiko. Man könnte deshalb auf einige Sportarten verzichten oder diese nur in Kleingruppen bzw. im Freien ausführen.
In den Schulen selbst gibt es weniger Fälle als in anderen Settings. Das heißt, die Ansteckungen passieren außerhalb der Schule. Wie könnte man das verhindern?
Meiner Ansicht nach wird derzeit zu viel mit reiner Statistik gearbeitet, zu wenig mit Information. Es gibt gewisse Risikosituationen, wo es zu Übertragungen kommt. Diese ergeben sich vor allem dann, wenn man entweder für lange Zeit kontinuierlich oder über kurze Zeit forciert der Aerosol-Bildung eines anderen ausgesetzt ist. Mit einem anderen zu Essen, zu Singen oder zu schreien, kann recht leicht zu einer Infektion führen. Ein normales Gespräch kann dagegen auch über zwei Meter mit geringem Risiko geführt werden. Ansteckungen im Freien kommen weniger häufig vor als im Raum. Wenn ich aber im Freien einen schweren Gegenstand zu zweit trage, atme ich dem anderen ins Gesicht und es kommt zu einer Übertragung. Man muss sich also auch dabei schützen. Bei einer Skitour, die man alleine macht, wird man sich nicht anstecken, wenn man aber zwei Stunden nebeneinander geht und redet, kann es wiederum zur Ansteckung kommen. Da muss man sich schützen. Eine Maske ist beispielsweise ein Schutz, diese muss aber, wie jede Schutzausrüstung, qualitativ in Ordnung sein und korrekt angewendet werden. Natürlich kann man versuchen, das Problem Corona ausschließlich mit Verboten und Verordnungen zu regeln, aber ich glaube es ist besser, wenn man die Leute sensibilisiert. Denn damit funktioniert auch das Contact-Tracing einfacher, -wer die Risikosituationen kennt, wird eher sagen könne, wo er sich exponiert hat bzw. wen er angesteckt haben könnte. Wichtig wäre es auch, die Eigenverantwortung zu stärken und die Bevölkerung zur Problemlösung zu ermächtigen. Wenn man klar sagt, worauf man schauen muss und was vermieden werden muss, dann kann es funktionieren.
Nun wird auch die Forderung nach FFP2-Masken immer lauter. Sollte eine FFP2-Masken-Pflicht in Schulen eingeführt werden?
Die FFP2-Maske ist besser als der Mundschutz, schon allein weil es schwerer ist, diese falsch zu tragen. Ob es immer praktikabel ist, z.B. wenn man vor der Klasse unterrichtet, ist eine andere Frage. Ich glaube es ist wichtig, die Sicherheitskonzepte unter Einbindung der betroffenen Personen entwickelt. Sonst hat man ein tolles Sicherheitskonzept, an das sich niemand hält.
In Kindergärten, Grund- und Mittelschulen sehen sie also keine größere Gefahr als in anderen Settings. Sollten diese also geöffnet bleiben?
Nach wie vor ist die Infektionsgefahr im Verhältnis zu anderen Settings geringer. Die Schule spielt für die Entwicklung zudem eine wichtige Rolle. Für die Kinder ist es wichtig, miteinander in Kontakt kommen zu können. Bei jeder medizinischen Maßnahme müssen wir die erwünschte Wirkung und die potenzielle Schadwirkung in Relation setzen und genau anschauen. Wir wissen aber viel zu wenig darüber, was mit einem Volksschüler passiert, der seit einem Jahr kein Präsenzunterricht hat. Wir wissen nicht, was wir tun müssen, um negative Seiteneffekte zu vermeiden. Wir haben auf jeden Fall steigende Depressionszahlen, viele Leute fühlen sich isoliert. Das sind auch Sachen, die beachtet werden müssen. Die Maßnahmen müssen darauf abzielen, die Infektionszahlen zu senken, aber wir sollten die unerwünschten Nebenwirkungen psychologischer Natur ebenso gering wie möglich halten.
Die Schließung der Oberschulen wäre aber eine Option?
Das ist wahrscheinlich besser argumentierbar. Auch hier muss man sich aber genau anschauen, ob es tatsächlich Herde in Oberschulen gibt. Im Augenblick gibt es dazu wenige wissenschaftliche Studien. Im Herbst haben wir gesehen, dass in den Schulen Infektionen gibt, im Vergleich zu anderen Settings aber weniger.
Kann man die Schulen durch Massentests sicherer machen?
Wenn ein Test richtig gemacht ist, gibt er Sicherheit. Ein PCR-Test für 48 Stunden, ein Antigentest zwischen 6 und maximal 24 Stunden. Jeder negative Test muss also nach einer bestimmten Zeit wiederholt, jeder positive Test durch ein zweites Verfahren bestätigt werden. Ein Massentest für Schulen, der seinen Zweck erfüllt, wäre also ein großer Aufwand. In letzter Zeit wird auch immer wieder die Immunität getestet. Mittlerweile gibt es Testverfahren, die sehr effizient sind, auch wir bieten eines an. Für Personen, die immun sind, ist das Thema Corona für eine gewisse Zeit nämlich gegessen. Darauf sollte man vielleicht eher setzen.
Interview: Markus Rufin
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Kommentare (9)
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andreas
PCR Tests kosten derzeit in Italien ca. 30 – 40 Euro, bei gut ausgestatteten Labors sind auch 20 Euro möglich, Virologe Gernot Walder hat sie am Anfang der Pandemie für über 100 Euro an Südtirol verkauft und täglich hunderte ausgewertet.
Es gibt derzeit private Labore, welche täglich über 100.000,00 Euro Reingewinn machen und das auch u.a., weil Pharmafirmen wie diese Schweizer Halsabschneider von Roche, öffentlichen Körperschaften nicht genügend Flüssigkeit, welche für die Tests benötigt wird, liefern, sondern bevorzugt Private.
Dass private Labors wenig Interesse haben, die Infektionszahlen zu senken, sondern testen, testen, testen als Maxime ansehen, liegt in der Natur der Sache.
vinsch
@andreas ach, haben Sie heute in der Nacht die „Erleuchtung“ gehabt. Besser spät als nie …
andreas
Vinschgerle, mich haben bis jetzt die Zahlen nicht wirklich interessiert, nun tun sie es und sie stimmen sogar. 😉
Erzähl aber mal, wie viel du für April 2020 erhalten hast und welche Steuern du nicht zahlen musstest.