Mein schlechtes Gewissen
Seit ich über Streaming schreiben muss, plagt mich das schlechte Gewissen. Was ist besser, gutes Kino im Stream oder gar keins?
von Renate Mumelter
Gar kein Kino ist nicht nur traurig sondern auch fatal. Streamen kann gefährlich sein, klar. Menschen könnten sich daran gewöhnen und das Kino künftig meiden. Wer weiß das schon. Aber Präsenz zu zeigen ist nie verkehrt, auch wenn das derzeit beim Kino nur auf Umwegen möglich ist.
Kinodürre
Wenn wir es zulassen, dass diese Pandemie das Kino aushungert, dann müssen wir uns selber an der Nase fassen. Es gibt nämlich Alternativen zur Überbrückung der Kinodürre. Da ist einmal die Sichtbarkeit, das sich in Erinnerung rufen, immer und immer wieder. Das tun alle Lobbys.
Zu den möglichen Alternativen derzeit zählt sicher der Stream. Gutes Streaming trägt dazu bei, präsent zu halten, dass es außer Disney und Netflix auch noch ein Kino gibt, das für die Leinwand arbeitet. Das Streamen sollte aber eine Notlösung bleiben.
VOD-Club
In Österreich haben sich 40 Programmkinos im VOD-Club zusammengetan. Dort werden on demand Kinofilme gezeigt, die den Umweg über das Netz nehmen müssen. Mit je einem Drittel der Eintrittskarte kann das Publikum sein eigenes Lieblingskino und die Filmschaffenden fördern. Jedes Kino hat sein eigenes Programm. Aus persönlichen Gründen würde ich das Wiener Schikaneder, das Innsbrucker Leo, das Freistädter oder das Radstätter Kino wählen. Blöd nur, dass dieses verdammte Geoblocking immer wieder dazwischenfunkt. VOD geht nur in Österreich, auch für mich als Südtirolerin.
#iorestoinsala
In Italien überwindet die Initiative #iorestoinsala die Kinodürre. Ähnlich wie beim VOD-Club beteiligen sich Programmkinos aus ganz Italien daran. Das Astra-Kino von Trient ist dabei, das Lumière in Bologna und viele andere. Jedes Kino hat sein eigenes Programm. #iorestoinsala läuft über die Plattform MyMovies. Auch hier genügt es, einen Account zu erstellen, das eigene Kino auszusuchen und die Eintrittskarte für den gewünschten Film zu bezahlen.
Südtirol
Ich könnte mir das Programmkino on demand auch für Südtirol vorstellen. Hier allerdings mit der üblichen lästigen Hürde des Geoblockings. Aber was soll’s, wenn ein Film ausnahmsweise nicht auf Deutsch läuft.
Bonusmaterial
Wenn zum Film mehr als eine Inhaltsangabe geboten wird, ist das für die Kinokultur optimal. Ein kurzes online-Interview mit Fachkundigen oder MacherInnen oder jemandem aus dem Publikum reicht. Gut für Anregungen, und gegen schlichtes Konsumieren und auch in Südtirol möglich.
Blinde Plakatwände
Nichts ist schlimmer für das Kino als verriegelte Säle, blinde Plakatwände und das Schweigen, das längerfristig unsichtbar und damit verzichtbar macht. Das gilt allgemein für die Kultur. Deshalb gehen die Wiener Philharmoniker oder das Haydn-Orchester in den Stream, obwohl ein Live-Konzert wesentlich mehr wäre. Idem bei virtuellen Rundgängen durch Museen.
Virtuell aber bleibt die Kultur als wichtiger Teil des Lebens präsent und kann nicht samt den Arbeitsplätzen weggewischt werden.
Kinotipp: Die Siegerfilme des ArteKino Festivals „Motherland“ und „Son of Sofia“. www.artekino.com
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Kommentare (1)
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guyfawkes
„Gutes Streaming trägt dazu bei, präsent zu halten, dass es außer Disney und Netflix auch noch ein Kino gibt, das für die Leinwand arbeitet.“
Sehr schön dass jemand das Thema mal anspricht.
Als zusätzliche Alternative würde ich auch den Kauf von Blu-ray’s anführen. Bringt den Kinobetreibern zwar erstmal nichts, aber es ist erstens immer noch deutlich besser als Netflix (=schlimmste Plattform welche durch die Flatrate sämtliche Inhalte verramscht/entwertet) und hilft zweitens den Studios neue Filme zu finanzieren die dann (hoffentlich) ins Kino gebracht werden können.