Ferngesteuerte Geheimbotschaften
Eigentlich sollte die libanesische Künstlerin Jessika Khazrik in der ar/ge Kunst eine klassische Ausstellung bestreiten. Corona hat das verunmöglicht. Stattdessen zeigt sie eine Installation am Schaufenster der Galerie, die von ihrem Berliner Atelier aus ferngesteuert wird.
Das Format Ausstellung ist im 20. Jahrhundert und danach selbst vielfach zum Gegenstand künstlerischer Bearbeitung geworden. Alle Bedingtheiten, Konventionen und Sehgewohnheiten die es ausmachen, vom Gebäude, den Wänden über die Vernissage-Rede bis hin zum Katalog wurden durchreflektiert. Angefangen mit der kanonischen Inszenierung des leeren Galerieraumes durch Yves Klein über Daniel Spoerris gekipptem Ausstellungsraum, Jean Tinguely´s Luftballons bis hin zu Martin Creeds preisgekrönter Intervention „The Lights Going On And Off“ hat sich das Interesse mehr und mehr vom isolierten Objekt zur Inszenierung selbst, der Szenographie, ihren Regelwerken und Institutionen verlagert.
Dass eine Ausstellung nicht nur ein möglicher Kontext für das Werk neben anderen, sondern konstituierendes Element für die Kunst ist, macht die Pandemie gegenwärtig gnadenlos wie unter einer Lupe sichtbar. Die ar/ge Kunst hatte die libanesische Künstlerin Jessika Khazrik eigentlich für eine klassische Ausstellung gewonnen – ihre erste in Italien – Corona hat es verhindert. Doch die derzeit in Berlin lebende, zwischen Kunst, Literatur und Wissenschaft changierende Künstlerin hat, da die Galerie während der gesamten Ausstellungsdauer geschlossen bleibt, ihre Ausstellung kurzerhand auf das Schaufenster verlegt. Die Fensterfront dient als Durchblick und Display für Skulpturen und steganographisch verschlüsselte Botschaften.
Was sind steganographisch verschlüsselte Botschaften? Mittels des bereits in der Antike angewandten Instruments der Steganographie lassen sich geheime Botschaften so verbergen, dass ein Dritter bei der Betrachtung des Trägermediums sie nicht erkennt. Das Verfahren hat Ähnlichkeit mit der Kryptografie, mit einem Unterschied: Bei der Kryptografie weiß ein Dritter von der Existenz der Information, kann diese jedoch nicht entschlüsseln. Die Steganografie hingegen zielt drauf ab, eine geheime Botschaft in einem harmlosen Objekt zu verstecken, sodass nicht einmal auffällt, dass sich darin etwas Geheimes verbirgt. In der Antike wurde beispielsweise Sklaven der Kopf geschoren und eine Nachricht auf die Kopfhaut tätowiert. Sobald die Haare wieder nachgewachsen waren, wurde er zum Empfänger geschickt. In der digitalen Ära nutzen vor allem Cyberkriminelle die Technik der Steganographie.
Jessika Khazrik verschlüsselt ihre Botschaften in Schichten von steganografischen Bildern, die ihren Ausgangspunkt in einer Recherche über illegalen Giftmüll, der aus Italien kommend in einem Steinbruch unweit des Elternhauses abgelagert wurde. Die Ausstellung Abeyance & Concurrence (Schwebe & Gleichzeitigkeit) in der ar/ge Kunst bildet die Fortsetzung ihrer Untersuchungen und spürt den komplexen Verknüpfungen nach, die zwischen Umweltzerstörung als einer Form von Waffe und dem Bankwesen bestehen. Gleichzeitig reagiert die Arbeit auf die jüngsten Ereignisse, die sich auf das Zuhause und das Leben der Künstlerin auswirkten – die Revolutionen vom Oktober 2019, ihre Enteignung und unrechtmäßige Verhaftung während der andauernden libanesischen Bankenkrise, die Explosion vom August 2020 in Beirut und die von COVID-19 bewirkte Syndemie. Letzterer Begriff geht auf den Anthropologen Merrill Singer zurück, der die Häufung von zwei oder mehr Epidemien beschrieben hat. Syndemien entwickeln sich verursacht durch Armut, Stress und strukturelle Gewalt.
Auf den ersten Blick wirkt die Khazriks Schaufensterinstallation wie aus dem Lehrbuch esoterischer Bildwelten der New-Age-Bewegung entnommen: Bunt wie fraktale Puzzles, kosmisch, mediumistisch, eine mit Symbolik hoch aufgeladene Bildsprache. Doch die schillernde Oberfläche birgt explosive Botschaften. Collagiert aus Fotos ihrer Recherche in den Giftmülllagern führt die Installation Sätze auf Arabisch, Deutsch, Italienisch und Englisch, die eine Entmilitarisierung der Informatik, industrielle Abrüstung und die kollektive Einführung einer universellen Anti-Währung fordern, in Agitprop-Manier zusammen.
Der Innenraum der Galerie ist nur teilweise einsehbar. Erkennbar ist eine Marmorskulptur mit applizierten Fotografien von Giftmüllbehältern, eine Stahlskulptur und ein Nebelwerfer, der von Zeit zu Zeit die Galerie in Nebel hüllt.
Auf der Fensterscheibe ist ein 8-Kanal-Soundsystem aus Schallerregern und wetterfesten Lautsprechern, wie sie auf Schiffen zum Einsatz kommen, installiert. Das vibrierende, selbst konstruierte Audiosystem mit Schallwandlern überträgt akkumulierte Soundstücke und Gespräche zu Themen wie transregionalen Bündnissen, Heilung und Nanopunk. Das Diorama kann von der Künstlerin während der Dauer der Ausstellung von Berlin aus per Fernsteuerung verändert werden. Jessika Khazrik, 1991 in Beirut geboren befasst sich als Künstlerin, Technologin, Produzentin elektronischer Musik und Forscherin, mit Ökotoxikologie, maschinellem Lernen, Kryptographie und Performance bis zu bildender Kunst sowie Wissenschafts- und Musikgeschichte. Sie studierte Linguistik und Theaterwissenschaften an der Lebanese University und erwarb einen Master of Science in Kunst, Kultur und Technologie des MIT, wo sie mit dem Ada Lovelace Prize ausgezeichnet wurde. In den Jahren 2012/13 war sie Stipendiatin des Home Workspace Program der Ashkal Alwan und 2018/19 Stipendiatin des Digital-Earth-Programms. Sie ist als Forscherin in verschiedenen kollektiven und institutionellen Umgebungen tätig. Ihre Arbeit zeigte sie u. a. in The Normandy Landfill, im Stanford Research Institute, auf dem CTM Festival, der Manifesta, in der Arab Image Foundation, der Kunsthalle Wien, in Les Urbaines.
Khazriks hochkomplexe Verschmelzung unterschiedlichster Ebenen zwischen Recherche, Kapitalismuskritik, politischer Agitation, Technologie und Dystopie ist ein ästhetisch schillerndes Amalgam. Doch wer in ihrer Kunst, wie derzeit viele, einen universellen Trostspender sieht, irrt. Von Affirmation welcher Art immer ist sie weit weg.
Eine starke Ausstellung.
(Heinrich Schwazer)
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