Konsum & Klimawandel
Am Goldenen Sonntag haben sich 14 Mitglieder der Aktionsgruppen Schenke Zukunft|Regala Futuro und Extinction Rebellion SouthTyrol.in Winterkälte nackt auf den Siegesplatz gestellt, um ein Zeichen gegen exzessiven Konsum zu setzen, der ein wesentlicher Treiber der Klimakrise ist. Ein Gespräch mit den Aktivisten David Hofmann und Nausicaa Mocellin.
Tageszeitung: Herr Hofmann, am Goldenen Sonntag haben Sie sich zur besten Kaufrauschzeit mit 13 weiteren Aktivist*innen in einem Flashmob auf dem Siegesplatz bis auf die nackte Haut ausgezogen, um ein Zeichen gegen exzessiven Konsum zu setzen. Wollten Sie den Leuten Weihnachten verderben?
David Hofmann: Nein. Ganz im Gegenteil. Ich glaube eher, dass uns der Zwang des Geschenkekaufs das Weihnachtsfest verdirbt, wenn wir uns hektisch und gestresst durch die Einkaufsstraßen drängen. Wäre es da nicht schöner sich die Zeit zu nehmen, in Ruhe ein besinnliches Weihnachtsfest vorzubereiten? Das kann ja mit Geschenken einhergehen. Vielleicht lieber einfach Geschenke selbst basteln? Sich kreativ und künstlerisch zu betätigen bringt doch mehr Freude und tiefere Befriedigung bei Schenkenden und Beschenkten. Und Weihnachten könnte wieder ein Fest der Liebe werden, nicht des Konsums.
Organisiert wurde der Flaschmob von den Aktionsgruppen Schenke Zukunft|Regala Futuro und Extinction Rebellion SouthTyrol. Wer sind diese Gruppen, wie groß sind sie, wofür stehen sie, wofür engagieren sie sich?
David Hofmann: Schenke Zukunft|Regala Futuro ist eine Initiativgruppe, die sich mit den zentralen Problemen unserer Gesellschaft beschäftigt und zur Zeit aus etwa 15 Südtiroler Bürger*innen besteht. Über unsere Freunde der lokalen Extinction Rebellion Gruppe, mit denen wir die Aktion zusammen planten und durchführten, kann Nausicaa mehr erzählen. Wir sehen eine klare Notwendigkeit für mehr Bürgerbeteiligung am politischen Geschehen, nicht zuletzt, um die derzeit stark gebeutelte Demokratie zu stärken. Unser Ziel ist es, durch kreative Aktionen mitzuhelfen, den gesellschaftlichen Diskurs auf wichtige und zentrale Probleme zu lenken und aufzuzeigen, was man tun kann, um diese anzugehen. Keine leichte Aufgabe! Aber wir sind ja auch nicht alleine, es gibt ja bereits viele Gruppen und Organisationen, die sich verschiedenen Problemen stellen und daran arbeiten und wir hoffen, dass wir in Zukunft mit vielen dieser Gruppen gemeinsame Projekte erarbeiten werden und dadurch diesen Gruppen auch helfen können zu wachsen.
Nausicaa Mocellin, Sie sind Aktivist bei der Klimaprotestbewegung Extinction Rebellion (XR), die auf den drohenden Klimakollaps und das massive Artensterben aufmerksam macht. Können Sie uns die Gruppe und ihre Aktivitäten vorstellen?
Nausicaa Mocellin: Extinction Rebellion ist eine globale Bewegung besorgter Bürger*innen jeden Alters und jeder Bevölkerungsschicht, welche nicht tatenlos zusehen wollen, wie wir auf die Klimakatastrophe zurasen. XR stellt drei klare Forderungen: die Wahrheit sagen; jetzt handeln; die Politik neu leben. Die politische Strategie, die XR anwendet ist der gewaltfreie zivile Ungehorsam. Diese Form des Aktivismus hat sich in der Menschheitsgeschichte oft bewährt und unsere Gesellschaften zum Besseren verändert, sie ist eine strategische Wahl, die vor allem daher rührt, dass uns einfach die Zeit davon läuft! Die Wissenschaft redet klare Worte: wir sind inmitten des sechsten Massensterbens und der Mensch ist davon auch betroffen.XR ist eine inklusive Bewegung, jede und jeder ist in Extinction Rebellion willkommen. Unsere Gruppe gibt es seit mehr als einem Jahr, doch richtig aktiv wurden wir erst seit der Oktoberrebellion, welche vom 5. bis zum 11. Oktober 2020 in Rom stattfand. Dort haben einige unserer Aktivist*innen 52 Stunden (mehr als 2 Tage) vor dem Eingangstor des Hauptsitzes von Eni verbracht, um die mediale Aufmerksamkeit auf die Tätigkeiten der klimakillenden Ölindustrie zu lenken. Insgesamt waren dort mehr als 60 Aktivist*innen aus ganz Italien. Neben Protestaktionen organisieren wir auch Informationsabende zur Klimakrise und leisten Aufklärungsarbeit auf verschiedene Weise.
Erklären Sie uns, was Konsum mit dem Klimawandel zu tun hat.
Nausicaa Mocellin: Ganz einfach: um die Waren herzustellen, die wir in den Geschäften oder bei Amazon kaufen, sind Ressourcen nötig, die oft unter großem Energieaufwand beschaffen werden. Dann verbraucht die industrielle Anfertigung und der Transport ebenso fossilen Brennstoff. All das hat zur Folge, dass das CO2 in unserer Atmosphäre ansteigt und die Erderwärmung und damit die Klimakrise weiter ankurbelt.
Verzicht ist der wahre Luxus, schreiben Sie in Ihrer Aussendung. Verzicht hat in unserer Gesellschaft leider keinen besonders attraktiven Ruf. Wie überzeugen Sie Ihren Nachbarn auf ein großes Auto oder eine Flugreise zu verzichten?
David Hofmann: Das stimmt natürlich, und deshalb müssen wir Verzicht wieder hip machen! Es scheint ja nicht so, aber eigentlich steckt es doch in unseren kulturellen Wurzeln: das Christentum hob den Verzicht auf ein hohes Podest und Menschen wie Franziskus von Assisi haben diesen radikal gelebt – und natürlich auch Jesus selbst. Im Allgemeinen versuche ich mit guten Argumenten zu überzeugen. Das ist die nachhaltigste Form der Überzeugungsarbeit, aber sie braucht oft viel Geduld. Deshalb darf man sich aber nicht dem Zynismus ausliefern, der sagt: auf Argumente hört ja niemand. Von der Tragweite der Situation und der Dringlichkeit hat Nausicaa bereits gesprochen, diese sollte einem klar sein, bevor man sich einen SUV kauft oder eine Flugreise macht. Es gibt ja so wunderschöne Orte die man mit Fernverkehrszügen erreichen kann. Man muss halt wirklich abwägen, was man wirklich braucht und sich aber auch wirklich anschauen, was die eigenen Entscheidungen mit sich bringen.
Nausicaa Mocellin: Ich, denke es ist auch noch wichtig anzumerken, dass auf Materielles zu verzichten kein wirklicher Verlust, sondern eine tatsächliche Erhöhung der Lebensqualität bedeuten kann. Man macht Platz für das wirklich Wichtige, ohne Ablenkungen. Wie auch Saint-Exupéry in „Der Kleine Prinz“ sagt: Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar. Man denke nur an Zeit, Freundschaft, Gesellschaft, Hilfsbereitschaft, Mitgefühl, Zuneigung, Liebe, Freiheit, Treue, Geborgenheit, Respekt, Frieden… was gibt es denn wertvolleres?
Laut der Südtiroler KlimaHaus Agentur wird mehr als ein Drittel des persönlichen CO2 Ausstoßes durch nicht-essentielle Konsumgüter verursacht. Wie kommt man auf diese Zahl?
David Hofmann: Die Agentur unterteilt unsere Emissionen in Heizung und Energie, Ernährung, Mobilität, öffentliche Emissionen, und „sonstiger Konsum“. Letzteres macht ca. 3 von den 7.4 Tonnen pro Jahr aus, die ein Südtiroler im Schnitt verursacht. In die Berechnung lässt die Agentur einfließen, wie viel Geld man im Monat für Konsumgüter ausgibt, welche Kaufkriterien man hat, ob man auf Langlebigkeit achtet oder darauf, dass das Produkt günstig ist und so weiter. Dieser Teil ist es, worauf wir in dieser Aktion explizit hinweisen. Natürlich gibt es in den anderen Bereichen auch wichtiges Einsparungspotential: mehr Öffis anstelle des Autos verwenden, den Konsum tierischer Produkte reduzieren oder ganz auf vegane Ernährung umsteigen usw.
Viele junge Menschen haben Angst, dass der Klimawandel ihre Zukunft und Existenz bedroht. Sie auch?
Nausicaa Mocellin: Ja, das habe ich. Ich kann mir nicht erklären, wie man von den Prognosen unberührt bleiben kann.
Was fürchten Sie am meisten?
Nausicaa Mocellin: Was ich am meisten fürchte ist das Leid. Die Konsequenzen des Klimakollaps sind vielfältig und werden vor allem den hilfloseren Teil der Bevölkerung treffen, auch bei uns. Hungersnöte aufgrund der trockenen Böden und noch mehr und stärkere Naturkatastrophen wird es auf der ganzen Erde geben, um nur etwas zu nennen, was uns blüht, wenn wir den Kurs nicht ändern.
Die Klimakrise in ihren gigantischen Dimensionen lähmt und überfordert den Einzelnen. Die meisten sagen, ich kann da nichts machen, das muss die Politik lösen. Ist das eine Ausrede oder wie kann der Einzelne ein Gefühl von Wirksamkeit bekommen?
David Hofmann: Die Überforderung ist natürlich sehr nachvollziehbar, schließlich ging es vielen von uns auch so. Unsere Aktionsgruppen haben sich genau aus diesem Gefühl der Überforderung heraus entwickelt. Das absolut beste Mittel gegen diese Ohnmacht ist es, in einer der vielen Organisationen aktiv zu werden und mitzuhelfen.
Südtirol hat die Pariser Klimaziele verfehlt. Wären Sie Landeshauptmann, was würden Sie tun, um sie einzuhalten und Südtirol zum Pionierland des Klimaschutzes zu machen?
David Hofmann: Nun, es ist eigentlich recht klar und umfangreich im 2018 veröffentlicht Klimareport der EURAC beschrieben, was zu tun ist. Klar ist für mich, dass auch ein Landeshauptmann, trotz großer politischer Macht, schlussendlich nur eine einzelne Person ist. Den Bürgerinnen und Bürgern sollte daher mehr Entscheidungsgewalt gegeben werden. Ein guter Ansatz wäre ein Bürgerrat. Eine Methode, die schon in diversen Ländern verwendet wurde, um politische Entscheidungen zu fällen. Bürger*innen werden zufällig ausgewählt daran teilzunehmen und zwar so, dass die Gesellschaft wiedergespiegelt wird. Also Frauen und Männer, italienisch-, deutsch- und ladinischsprachige, die verschiedenen Einkommensschichten und andere Bevölkerungsgruppen, alle so, dass prozentuell die Gesellschaft repräsentiert ist. Das unterbindet überdurchschnittlichen Einfluss durch Reiche und Lobbyisten. Diesem Rat stehen Expert*innen zur Seite und der deliberative Prozess läuft über ein bis zwei Jahre, bis die Ausarbeitung der Maßnahmen abgeschlossen ist. Zum Beispiel hat Eupen, eine deutschsprachige Gemeinschaft in Belgien, solch einen Rat nun sogar zur permanenten politischen Körperschaft erhoben. Dieser Rat arbeitet mit dem Parlament eng zusammen. Das ist eine Weltpremiere und könnte ein interessantes Modell für Südtirol sein aufgrund der vielen Parallelen.
Nausicaa Mocellin: Ja, dem stimme ich absolut zu, die Politik müsste einen Bürgerrat einberufen und ihm Entscheidungsgewalt geben. Das ist auch eine der Forderungen von Extinction Rebellion.
Auf der Homepage des Deutschen Umweltbundesamtes kann man binnen weniger Minuten seinen ganz persönlichen Klima-Fußabdruck ermitteln. Kennen Sie Ihren Klima-Fußabdruck?
David Hofmann: Ich hab den CO2-Rechner der KlimaHaus Agentur verwendet. Das war durchaus interessant! Mein Fußabdruck liegt bei 3.4 Tonnen CO2-äquivalent pro Jahr ohne Flugreisen, die ich früher noch arbeitsbedingt absolvieren musste, da ich in den USA arbeitete. Das entspricht einem halben durchschnittlichen Südtiroler CO2-Fußabdruck. Das ist noch nicht gut genug! Um wirklich nachhaltig zu sein, müssen wir auf etwa 2 Tonnen gelangen. Persönlich sehe ich allerdings kaum mehr Handlungsraum. Gerade überlege ich mir noch auf vegane Ernährung umzusteigen, meinen Fleischkonsum hatte ich schon lange stark reduziert. Aber auch das würde nicht reichen, um auf 2 Tonnen zu kommen. Daher ist klar: wir können zwar alle individuell einen relevanten Beitrag leisten, aber die Politik muss eben auch ihren Teil tun.
Nausicaa Mocellin: Ja, ich habe meinen Fußabdruck auch gemessen. Ich habe es sehr nützlich gefunden, einen Einblick zu bekommen, was wie belastend ist. Hier wurde mir erstmals richtig bewusst, wie viel ein Flug wirklich ausmacht. Ich habe mich entschieden nie zu fliegen, ohne Ausnahme. Mein Fußabdruck ist zwar schon unterdurchschnittlich, ich bin aber noch stark am arbeiten, um ihn wirklich so klein wie möglich zu machen. Ich finde einfach, manche Sachen muss man vorleben, um einen Wandel in der Gesellschaft zu bewirken. Oft ist ein gutes Beispiel viel mehr wert als tausend Worte. Oder wie Gandhi sagte: sei die Veränderung, die du in der Welt sehen willst.
Interview: Heinrich Schwazer
Zur Person
Nausicaa Mocellin (das), 2001in Bozen geboren, besuchte die technische Fachoberschule für Landwirtschaft in Auer, ist zweisprachig, liebt die Kunst, engagiert sich aktiv in den Bewegungen: FridaysForFuture, Amnesty International, Arcigay, Sardine(n), Spazio Autogestito 77; derzeit ist er Vollzeit bei Extinction Rebellion tätig.
David Hofmann, 1981 in Sterzing geboren, studierte Physik an der Technischen Universität in München, von 2009-2014 Doktor in theoretischen und computergestützten Neurowissenschaften vom Max Planck für Dynamik und Selbstorganisation, Göttingen; 2014-2015 Postdoc am Max Planck für Dynamik und Selbstorganisation, Göttingen; 2015-2020 Postdoc am Institut für Theoretische Physik, Emory University, Atlanta. Er ist Mitbegründer von Schenke Zukunft|Regala Futuro, sowie Mitbegründer und Aktivist der Organisation „Science for the People“, einer politischen US-amerikanischen Wissenschaftsorganisation die sich gegen die Militarisierung von Wissenschaft und für soziale Gerechtigkeit einsetzt.
https://scienceforthepeople.org/
Sie publiziert auch ein Magazin das einmal pro Quartal erscheint:
https://magazine.scienceforthepeople.org/
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Kommentare (14)
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treter
Watschi und Kirke@
Ihr habt natürlich die richtige Meinung gepachtet…..