Die Verlegenen
Warum sich die Landtagsopposition mit Kritik am Südtiroler Sonderweg auffällig zurückhält.
Von Matthias Kofler
Die Landesregierung beschreitet im Kampf gegen die Corona-Pandemie erneut einen Sonderweg: Während die übrigen italienischen Regionen noch auf das Dekret von Gesundheitsminister Roberto Speranza warten, das die Einstufung in gelbe, orange und rote Zonen vorsieht, macht Südtirol Schulen, Geschäfte und Bars wieder auf. Und das trotz steigender Infektionszahlen.
Auffällig ist, dass sich die Opposition mit Kritik am (riskanten) Sonderweg zurückhält. Kein Wunder: Schließlich hatten Team K, Freiheitliche und STF schon im April – weit vor der SVP – auf ein eigenständiges Krisen-Management gedrängt.
Andreas Leiter betont: „Wir Freiheitlichen sind immer für den Südtiroler Sonderweg, weil es ein wesentliches Merkmal der Selbstverwaltung ist, so viel wie möglich vor Ort und in Eigenverantwortung zu entscheiden.“ Nun hänge alles davon ab, ob es der Landesregierung endlich gelinge, die Risikopatienten zu schützen, gleichzeitig aber auch die Wirtschaft am Leben zu lassen und durch ein eigenes Konjunkturpaket zu begleiten. Beim Blick auf die immer noch unbekannte Strategie zur Erreichung einer Herdenimmunität kommen Leiter Reber aber größte Zweifel, ob Arno Kompatscher und Co. ihrer Aufgabe gerecht werden und alle wissenschaftlichen Erkenntnisse berücksichtigen (siehe Artikel unten). „Den Südtiroler Weg muss man wirklich drauf haben, das heißt: Man muss zielorientiert sein und sich dabei besser und geschickter bewegen als die Anderen“, betont der Freiheitliche.
In eine ähnliche Kerbe schlägt Paul Köllensperger: Der neue Sonderweg werfe mehr Fragen auf als Antworten, meint der Team-K-Chef und nennt Beispiele: „Hat die Landesregierung die Expertenkommission zu dieser Entscheidung befragt? Gibt es einen klaren Plan, wie es weitergehen soll? Denn eines ist sicher: Jetzt ein bisschen schneller aufsperren, um in zwei Wochen wieder alles zuzusperren, ist das denkbar Schlechteste – für die Menschen und vor allem für die Betriebe, gerade im Tourismus.“ Köllensperger fordert von der Landesregierung zwar „Klarheit und kohärente Entscheidungen“, aber keine Abkehr vom Sonderweg. „Man sollte die Wahrheit sagen, auch wenn sie ungemütlich ist, nachvollziehbare Regeln festlegen und konkrete und schnelle Hilfen vorsehen. Sonst spielen die Leute nicht mehr mit, und die Betriebe gehen pleite“, sagt Köllensperger.
Auch die Grünen waren nie strikt gegen einen Sonderweg. Bei der Abstimmung zum Landesgesetz im Mai enthielten sie sich der Stimme. Brigitte Foppa betont, dass ihr Verständnis für die abweichenden Entscheidungen der Landesregierung stätig abnehme. „Wir haben schlechte Zahlen. Daher fragen wir uns, auf was sich dieser Sonderweg begründet.“ Man müsse aufpassen, wie man die Autonomie einsetze. „Doch: Einmal Sonderweg, immer Sonderweg. Von diesem Trip kommt man scheinbar nicht mehr runter“, so die Grüne. Wenn es um die allgemeine Gesundheit gehe, sollten Zentralstaat und Regionen Hand in Hand entscheiden. Es brauche Vorgaben, die für alle gleich seien, wenngleich mit lokalen Anpassungen. Die alte Südtiroler Formel, nach der alles Schlechte aus Rom komme, sei „infantil und nicht erwachsen“. Dennoch wollen die Grünen nicht den Stab über die Landesregierung brechen: „Permanentes Besserwissen“ werde nicht geschätzt, weiß Foppa. Statt mit plumper Kritik will man mit eigenen Vorschlägen punkten. Bei der Einbindung der Opposition sieht die Grüne noch Aufholbedarf: „Wir brauchen parlamentarische Gremien, in denen verbindliche Entscheidungen getroffen werden – und keine informelle Treffen als reine Beschäftigungstherapie.“
Kommentare (40)
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