„Brauchen zweiten ICE-Club“
Stefan Mair ist einer der besten Südtiroler Eishockey-Trainer. Ein Gespräch über seine Arbeit in der Schweiz und der Zukunft des Südtiroler Eishockeys.
Tageszeitung: Herr Mair, Sie sind mit Ihrer Mannschaft, dem HC Thurgau, gut in die Saison gestartet und liegen in der NLB auf dem ersten Tabellenplatz. Es läuft recht gut für Sie?
Stefan Mair: Ja, man darf das aber nicht überbewerten, denn wir haben mehr Spiele als einige Favoriten wie dem EHC Kloten absolviert. Nichtsdestotrotz wäre es ein Riesenerfolg, wenn wir unter die ersten Vier kommen. Unser Ziel ist es, die Saison unter die ersten Sechs zu beenden, um die Pre-Play-offs zu vermeiden. Ein guter Start ist dazu sehr wichtig. Ich bin dementsprechend froh darüber, vor allem weil wir einige Verletzte haben. Es ist derzeit eine schwierige Phase und es tut gut zu wissen, dass man die Punkte hat.
Sie sind seit vier Saisonen beim Verein und haben den Vertrag erst kürzlich verlängert. Wie ist das Verhältnis zwischen dem Verein und Ihnen?
Das Verhältnis ist sehr gut. Wir haben beide eine positive Entwicklung hinter uns. Als ich zum HC Thurgau kam, war der Verein kurz vor dem Bankrott, wir hatten nur einen kleinen Kader und haben es dennoch in die Play-offs geschafft. Wir konnten uns daraufhin kontinuierlich steigern. Im letzten Jahr hatten wir den besten Platz in der Regular Season erzielt, vor zwei Jahren waren wir im Halbfinale. Wenn man die Leistungskurve betrachtet, ist diese konstant gestiegen. Ich konnte in Ruhe arbeiten, der Verein hat seine Philosophie etwas gewandelt. Es wurde gezielt in die Infrastruktur (Kraftraum) und in den Coaching Staff investiert, als in teure Spieler. Es ist in unser DNA, junge Spieler auszubilden, die dann später von einem A-Klub übernommen werden, oder wir übernehmen die Ausbildung von Spieler aus der NLA, die wir leihweise bekommen. Wir haben dementsprechend eine junge Mannschaft mit einem Durchschnittsalter von 22, 23 Jahren. Es ist eine Riesengenugtuung dass unser Top Scorer erst 20 ist. Das ist jedes Jahr eine Herausforderung, vor allem weil immer wieder neue Spieler dazukommen, die besten Spieler immer wieder wechseln. Heuer kamen beispielsweise zwölf neue dazu. Anders ginge es aber auch nicht, wir haben ein Budget, das bei 1,7 Millionen Franken liegt, während ein Spitzenklub wie Kloten rund elf Millionen auf dem Konto hat. Das sind Welten, die dazwischenliegen.
Der HC Thurgau ist ein Mittelklasseklub in der NLB: Ist der Aufstieg in absehbarer Zeit ein Thema?
Für uns kommt es derzeit nicht in Frage, denn die Anforderungen, beispielsweise die Stadionkapazität, die erhöht werden muss, liegen über unseren Möglichketen. Diese Kriterien müssen erfüllt sein, um überhaupt ein Ansuchen für die NLA stellen zu können. Davon sind wir noch weit entfernt. Es geht ohnehin immer mehr in die Richtung, dass sich die NLA abspaltet und eine geschlossene Liga wird, wo es keinen direkten Aufstieg mehr geben wird, die NLA Clubs wollen Planungssicherheit und das über Jahre hinaus. Für uns ist das aber irrelevant, weil wir die Kriterien nie erfüllen würden.
Es besteht also überhaupt kein Interesse, in die NLA zu kommen?
Wir versuchen natürlich, so weit wie möglich zu kommen, so viele Spiel wie möglich zu gewinnen, der Aufstieg ist aber kein Thema.
Die NLA hat einen der höchsten Zuschauerdurchschnitte in Europa. Merkt man das auch in der zweiten Liga?
Das Interesse ist tatsächlich sehr groß. Coronabedingt gibt es mehr Live-Spiele – auch in der NLB. Diese erzielen auch gute Einschaltquoten. Der Stellenwert von Eishockey ist prinzipiell höher als beispielsweise in Italien, die Medien berichten häufiger darüber, die Präsenz im Fernsehen ist konstant gegeben. Also Eishockey hat in der Schweiz einen sehr hohen Stellenwert.
Sie sind durch ihre Vertragsverlängerung weitere zwei Jahre am Verein gebunden. Hätten Sie sich erwartet, dass Sie so lange in der Schweiz bleiben?
Nein, das hätte ich mir nie erwartet, denn man muss damit rechnen, dass jeder Trainer ein Ablaufdatum hat, das ist nun mal so. Dass ich mich so lange beim Klub halten kann, ist positiv. Mein Vorteil ist, dass ich in Ruhe arbeiten kann und einen sehr gut funktionierenden Trainerstab habe, wo alles perfekt läuft. Wir treffen uns jeden Tag um 8.00 Uhr zur Sitzung, legen die Schwerpunkte fest, dabei sind alle Trainer dabei. Diese Infrastruktur und dieser Support helfen uns extrem dabei, jeden Spieler besser auszubilden. Wenn man 22 Spieler hat, kann man nicht jedem Spieler dieselbe Aufmerksamkeit zu Teil kommen lassen, durch einen größeren Trainerstab mit verschiedenen Aufgabenbereichen kann man aber mehr Spieler erreichen. Der Austausch untereinander ist immer sehr positiv, alle ziehen in die gleiche Richtung und vertreten die gleiche Philosophie.
Vor Ihrer Zeit in der Schweiz waren Sie Nationaltrainer in Italien. Dort hat es eine überraschende Trennung gegeben. Was lief falsch?
Zu Beginn war die gemeinsame Bestrebung einen neuen Weg einzuschlagen. Wir wollten gezielt auf eigene Spieler bauen, wollten weg von den Italos und waren auch auf einem guten Weg. Bei der WM in Köln war nur zwei Italos dabei. Wenn man einen neuen Weg einschlägt braucht es vor allem Geduld und Durchhaltevermögen und das hat mit der Zeit immer mehr gefehlt. Damals standen die Olympischen Spiele 2026 in Italien noch nicht fest. Im Grunde sind sie ein Segen aber auch ein Fluch. Dementsprechend darf die italienische Nationalmannschaft an den Spielen teilnehmen. Dadurch entsteht auch Druck von Seiten des CONI, denn die Mannschaft soll sich möglichst gut verkaufen. Automatisch kommt der Ruf nach Italos. Das mag zwar für den Moment funktionieren, längerfristig gesehen ist das für das italienische Eishockey absolut negativ. Wenn man Italos holt, dann sollen es Italos sein, die den Unterschied ausmachen. Wenn es nur drum geht, in der dritten oder vierten Linie zu spielen, dann reichen auch die Einheimischen. Wir haben gute einheimische Spieler im Ausland, in der Schweiz, in Deutschland, (in der ICE) aber auch in den italienischen Vereinen. Das mannschaftliche Gefüge wird dadurch auch gestärkt. Das war auch ausschlaggebend dafür, dass wir bei der B-WM in Polen wieder aufgestiegen sind. Wenn man jetzt aber auf 2026 hin vermehrt mit Italos plant, bei einer B-WM irgendwo im Ostblock aber nur die Einheimischen einberuft, weil die Italos keinen Bock darauf haben, wird es schwer, ein starkes Mannschaftsgefüge aufzubauen. Ich bin nicht a priori gegen Italos, bin aber dagegen, dass man allen Tür und Angeln öffnet, um eine Mannschaft schnell zusammen zu setzen. Am Ende des Tages wird ein Italo immer dort hingehen, wo er am meisten Geld bekommt. Das bedeutet auch, dass er das Land verlässt, sobald er irgendwo mehr bekommt. Bleiben tut nichts. Er wird weder Trainer werden noch die Vereine in einer anderen Weise unterstützen. Aber es gibt auch positive Beispiele, wie Dan Tudin auf dem Ritten, der mittlerweile in der Jugend arbeitet und eine Spur hinterlässt. Aber 80 Prozent der Italos kommen, kassieren und gehen. Ihnen ist die Nationalmannschaft völlig egal. Für uns ist das immer eine halbe Sache. Man muss versuchen, mit dem was man hat, bessere Jugendarbeit zu leisten, wir haben schließlich auch gute Spieler, vor allem in Südtirol. Der Weg mit den Italos ist daher meiner Meinung nach, der falsche Weg.
Wie bewerten Sie das Niveau des italienischen Eishockeys beziehungsweise des Südtiroler Eishockeys derzeit?
Es ist schwierig. Die AlpsHockey League ist leider auch in der Außendarstellung so etwas, wie die zweite Liga von Österreich, obwohl das Niveau nicht so schlecht ist. Auf der anderen Seite ist man aber gezwungen, Kooperationen mit anderen Verbänden einzugehen. Durch Corona ist die Lage nochmals schwerer. Es ist wünschenswert, dass auf absehbarer Zeit ein zweiter Südtiroler Club in der ICE Hockey League mitspielt, um das Niveau der Nationalmannschaft zu steigern, damit sie danach nicht überfordert sind wenn sie gegen A Nationen zu bestehen haben.
Sie haben bereits Olympia 2026 angesprochen. Wird sich Italien dabei blamieren?
Man brauch sich nichts vormachen, letztendlich wird es nur darum gehen, sich so teuer wie möglich zu verkaufen. Südkorea hat aufgezeigt, dass dies nur bedingt gelingen kann, trotz enormer Investitionen und zahlreichen eingebürgerten Kanadiern, was ist geblieben? Nicht viel….. Bei Olympia geht es vor allem darum dagegen zu halten und zu kämpfen. Man brauch sich aber keine Wunderdinge erwarten, auch von einer Italo-Truppe nicht, wenn die Besten der Besten mitspielen. Um einigermaßen vorbereitet zu sein, braucht es aber eine längerfristige Planung. Die Mannschaft muss zusammenwachsen.
An einem Thema kommen wir nicht vorbei: Corona. Wie wirken sich die Maßnahmen auf das Schweizer Eishockey aus?
Es ist eine extreme Herausforderung für alle Beteiligten. Obwohl wir die Meisterschaft spielen, wurden bereits unzählige Spiele verschoben oder neu angesetzt. Man erfährt innerhalb von zwei Tagen, gegen wen man übermorgen spielt, man spielt ganz spontan gegen Mannschaften, die momentan nicht in Quarantäne sind, sprich, man kann sich kaum vernünftig vorbereiten. Wir haben immer wieder einige Spieler, die in Quarantäne sind, weil es Fälle in der Familie gibt, die Spieler kommen dann nach zehn Tagen ohne Training zurück, müssen voll einsteigen und verletzen sich dann. Wir hatten bisher noch nie so viele Verletzungen. Das ist nicht nur bei uns so, sondern überall. Es ist enorm ermüdend, weil man immer jonglieren und improvisieren muss.
Sie leben auch in der Schweiz. Dort gibt es zum Thema Corona kaum positive Nachrichten. Wie ist die Stimmung außerhalb der Eishockeyhalle?
Die Schweizer gehen wie gewohnt diese Themen diplomatisch an. Die Bestimmungen sind den einzelnen Kantonen überlassen. Dementsprechend unterscheiden sich Einschränkungen von Kanton zu Kanton. Es ist auf jeden Fall lockerer als in Italien, den es sind alle Geschäfte offen, es gibt im Gegensatz zum Frühjahr auch eine Maskenpflicht, es gibt für und wider in der Bevölkerung, Die Schweiz ist sehr freiheitsliebend, geht gerne seinen eigenen Weg und damit sind die meisten aber einverstanden.
Wie sieht Ihre persönliche Zukunft aus. Können Sie sich vorstellen, einen Klub in der NLA oder einen anderen Top-Klub in Europa zu übernehmen?
Ich bin jetzt noch bis 2021/22 am HC Thurgau gebunden, damit bin ich auch zufrieden. Natürlich kann man nicht sagen, ob es letztlich auch so kommt, aber ich fühle mich sehr wohl hier, es macht viel Spaß und ich empfinde eine große Genugtuung, wenn ich die Entwicklung der jungen Spieler sehe. Natürlich möchte jeder Trainer weiterkommen. Ich hatte das Glück, dass ich bereits in der DEL tätig war und dazu einen Vergleich zu Schweiz und Deutschland habe. Wenn ich zwischen einen schwächeren Klub in der DEL und einem Klub in der NLB wählen könnte, würde ich in der Schweiz bleiben. Ich hatte bereits Kontakt zum EHC Kloten, eine solche Aufgabe hätte mich auch gereizt, ich bin aber bei Thurgau geblieben, weil ich schon mein Wort gegeben hatte. Das Ziel bleibt aber, einen Spitzenklub zu trainieren und eine Meisterschaft zu gewinnen. Letztendlich ist der Trainerjob aber sehr schnelllebig. Man muss immer mit allem rechnen, daher mache ich mir aber nicht viele Gedanken über die Zukunft. Viel hängt einfach vom Timing ab, es bringt nicht viel, weit in die Zukunft zu schauen.
Interview: Markus Rufin
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