„Kann nicht den Gallo spielen“
Trotz Kritik von vielen Seiten hält Arno Kompatscher unbeeindruckt an seiner Strategie im Kampf gegen das Coronavirus fest. Wie der LH Südtirol bis April in die Normalität zurückführen will. Und: Warum seine Alleingänge sich als Glücksfall erweisen könnten.
von Artur Oberhofer
Er selbst sagt nur: „Ich mache keine großen Ankündigungen, dann muss ich mich nachher nicht rechtfertigen.“
Bereits vor einigen Wochen hat der Landeshauptmann für sich beschlossen, dass er sich in der Coronakrise von den mächtigen Verbänden, die tagtäglich und rund um die Uhr an seinem Rockzipfel ziehen, und den Landesräten, die sich teilweise bereits im Wahlkampfmodus befinden, nicht vor sich hertreiben lassen will.
Offiziell mag Arno Kompatscher nichts sagen („Ich mache nicht den Fehler, den einige Kollegen machen“), aber selbstverständlich hat er eine Philosophie, nach der er vorgeht. Diese lautet: Südtirol müsse noch bis März, April durchhalten, wobei es einzig und allein darum gehe, einen zweiten kompletten Lockdown zu vermeiden.
Dabei hält es der LH mit dem deutschen Virologen Christian Drosten und dessen ausdrucksstarkem Bild vom Tanz mit dem Tiger: Es gehe also im Kampf gegen das verdammte Virus darum Stück für Stück herauszufinden, wo man dem Tiger die Leine lösen kann, ohne dass er gleich über einen herfällt.
Was dem LH von politischen Gegnern, aber auch von vielen Medien als Zickzack-Kurs ausgelegt wurde, sei – so heißt es aus Arno Kompatschers Umfeld – nichts anderes als der Versuch, die Leine, wenn notwendig, anzuziehen bzw. dann wieder etwas lockerzulassen. Die Alternative, so das Credo des LH, wäre: „Wir sperren drei Wochen alles zu, dann bekommen wir die Zahlen runter, haben zwei Monate Ruhe und müssen dann erneut wieder alles zusperren.“
Der LH hat seine Strategie auch in den Regierungssitzungen dargelegt: Man müsse schauen, sich bis April „durchzuwackeln“ (O-Ton Kompatscher), mit dem Massentest habe man die Kontrolle über das Virus wieder zurückerlangt, das Contact Tracing könne wieder gemacht werden, aber die Zahlen seien noch immer so schlecht, dass man sich im Dezember keine weiteren Öffnungen erlauben könne. „Wir sind eh schon borderlinemäßig unterwegs“, sagte Kompatscher in einer Regierungssitzung und meinte damit den Umstand, dass Südtirol – obwohl noch orange Zone – die für die gelbe Zone vorgesehenen Öffnungen erlaubt habe.
Arno Kompatscher ist mit seinem Marschplan auf einer Wellenlänge mit der deutschen Kanzlerin Angela Merkel, die am Mittwoch mit leidenschaftlichen und dramatischen Worten („Wir wollen nicht, dass es das letzte Weihnachtsfest mit unseren Großeltern wird“) vor dem weihnachtlichen Übermut warnte. Der LH warnte seine Kollegen in der Regierung: „Wenn wir im Dezember auftun, haben wir im Jänner die dritte Welle, die uns dazu zwingt, wieder alles komplett zuzusperren.“
Man habe zwar die Kontrolle über das Virus zurückerlangt, aber die Pandemie sei „noch lange nicht besiegt“.
Obwohl er den Massentest nach wie vor als (politischen) Erfolg verbucht, ist sich Arno Kompatscher bewusst, dass der Test auch ein Bild der trügerischen Sicherheit vermittelt hat. So ganz nach dem Motto: „Bei einer Infektionsrate von nicht einmal einem Prozent so einen Puff machen …“
In Wahrheit, das wiederholt auch der LH gebetsmühlenartig, seien die Zahlen in Südtirol schlecht. Schlechter als die in Deutschland. Der wichtigste Indikator für den Landeshauptmann ist die Hospitalisierungsrate, diese spiegle das Infektionsgeschehen am besten wieder.
Gern korrigiert der LH das Zerrbild, wonach Trient viel besser dastehe als Südtirol.
Trient sei zwar gelbe Zone, aber die Zahlen seien ähnlich schlecht wie jene in Südtirol, wenn nicht schlechter. Der Grund: Trient unterscheide zwischen Intensivpatienten und Subintensivpatienten, habe aber auch mit dieser Rechnung 48 Intensivpatienten (Südtirol hat 31) und 50 Subintensivpatienten und gleich viele Tote wie Südtirol. Daraus folgert Arno Kompatscher: Die Logik der farbigen Zone mache Sinn, aber mit der Einstufung funktioniere es nicht, weil nicht alle Regionen einheitliche testen und bewerten.
In Südtirol kommt in Sachen Coronakrise noch der erschwerende Umstand hinzu, dass der Landeshauptmann nach der Pfeife der größten Zeitung im Lande tanzen sollte, die – ganz nebenbei auch noch im Wintersport (Gletscherskigebiet Schnals) und in der Hotellerie (Thermenhotel) mitmischt.
Es ist aber nicht so, dass alle Aufstiegsanlagenbetreiber darauf drängen, die Skigebiete schnell und zumindest für Einheimische zu öffnen. Mitnichten. Nach Informationen der TAGESZEITUNG haben mehrere Anlagenbetreiber dem LH informell von einer solchen Entscheidung abgeraten, weil insbesondere die kleineren Skigebiete eine zu niedrige Auslastung hätten und die Betriebskosten nur schwerlich decken könnten– und ganz nebenbei auch noch aus den staatlichen Förderungen herausfallen würden.
Apropos Förderung: Derzeit arbeitet der LH fieberhaft daran, dass Südtirol ein Landesunterstützungs-Paket für die von der Coronakrise gebeutelten Betriebe und Sparten auflegen kann.
Das legislative Dilemma: Südtirol könnte zwar eine Landesunterstützung finanziell problemlos stemmen, aber das Land darf per Gesetz nur Schulden im Ausmaß der bisherigen Schulden machen (mit anderen Worten: das Land darf beim Neuschulden-Machen nicht über das Ausmaß der jährlichen Schulden hinausgehen).
Da Südtirol im Gegensatz zu anderen Regionen wenig Schulden hat, entsteht die absurde Situation, dass Regionen, die hohe Schulden (und schlechter gewirtschaftet) haben, jetzt in Corona-Zeiten bei Bedarf höhere Schulden machen können als die Länder, die einen geringen Schuldenberg haben.
Derzeit verhandelt LH Arno Kompatscher mit der Regierung in Rom über einen Ausweg aus dieser verzwickten Situation.
Der LH hat bislang auch nicht auf die Giftpfeile der lokalen Opposition reagiert, die populistisch ein Los von Rom zu Weihnachten – sprich: einen Südtiroler Sonderweg über die Feiertage – gefordert hat. Arno Kompatscher hat im vertrauten Kreis erklärt: Er habe nicht die Fallzahlen, um „in Rom den Gallo zu spielen“.
Zweitens: Ein Sonderweg wäre allein schon aus dem Grund nicht möglich, weil Premier Giuseppe Conte diesmal nicht ein Dekret unterzeichnet, sondern ein Gesetz gemacht hat.
Der einzig gangbare Weg für Arno Kompatscher ist jener der permanenten und regionenübergreifenden Lobbyarbeit auf höchster politischer Ebene. Bereits in der Staat-Regionen-Konferenz hatte der Südtiroler Regierungschef die weihnachtlichen Reisebeschränkungen als nicht opportun (abseits von den Mikrofonen nennt Kompatscher sie „bescheuert“) bezeichnet und – zusammen mit anderen mächtigen Regionenchefs wie Luca Zaia – eine Nachbesserung gefordert. Die Römer, so die Kritik, hätten nur die Städte im Blick gehabt und nicht die Besonderheiten in den ländlichen Gegenden.
Wie es aus dem Palais Widmann heißt, habe Arno Kompatscher bereits Signale aus Rom bekommen, dass es in letzter Minute noch eine Aufweichung der Bestimmungen könnte.
So scheint die Regierung beispielsweise bereit zu sein, für Kleingemeinden Lockerungen zuzugestehen, auch Besuche in den Nachbargemeinden zu erlauben.
Es dürfte als noch – wie der LH sie nennt – „vernünftige Nachbesserungen“ geben, wobei aber auch Arno Kompatscher der Ansicht ist, dass von den Weihnachtsfeiertagen eine nicht zu unterschätzende Gefahr ausgehen könnte. Der LH sagte dazu in einer Regierungssitzung: „Wenn wir meinen, ein ganz normales Weihnachtsfest mit den üblichen familiären Zusammenkünften feiern zu dürfen, dann haben wir spätestens Ende Jänner den kompletten Lockdown.“
Kommentare (26)
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