Das Potential steckt im Altbestand
Die EU-Kommissionspräsidentin Ursula van der Leyen schlägt in Anlehnung an den Bauhaus-Stil der 1920er Jahre einen Green Deal für ökologisches Bauen vor, um Europa zum ersten klimaneutralen Kontinent zu machen. Was und wie kann Architektur zum Klimaschutz beitragen? Ein Gespräch mit dem Bozner Architekten Roland Baldi.
Tageszeitung: Herr Baldi, die Kommissionspräsidentin der EU Ursula van der Leyen hat jüngst einen Green Deal für ökologisches Bauen vorgeschlagen und sich dabei auf das Bauhaus berufen. Was stellen Sie sich darunter vor?
Roland Baldi: Die EU plant, Milliarden Euro zu investieren, um aus der Coronakrise rauszukommen und unsere Wirtschaft anzukurbeln. Van der Leyen möchte mit dem europäischen Grünen Deal verhindern, dass wir wieder in alte, umweltschädliche Gewohnheiten verfallen. Stattdessen sollte die europäische Wirtschaft wettbewerbsfähiger sowie nachhaltiger und unsere Lebensqualität verbessert werden. So soll Europa bis 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent werden. Der Green Deal zielt auf eine effizientere Ressourcennutzung durch den Übergang zu einer sauberen und kreislauforientierten Wirtschaft, den Artenschutz und den Kampf gegen die Umweltverschmutzung ab. Für den Bausektor bedeutet dies vor allem eine Erhöhung der Energieeffizienz von Gebäuden und die Verwendung von umweltfreundlichen Materialien und Technologien.
Für van der Leyen geht es im „neuen Europäischen Bauhaus“ nicht nur um ein Wirtschafts- und Umweltprojekt, sondern um ein „neues kulturelles Projekt für Europa“. Das sind viel Aufgaben auf den Schultern der Architektur.
Van der Leyen wünscht, dass durch interdisziplinäre Aktivitäten, in Anlehnung an den Bauhaus-Stil der 1920er Jahre, die Entwicklung eines neuen europäischen Bauhaus entsteht. Architekten, Wissenschaftler, Künstler und Bürger sollten durch einen gemeinsamen Gestaltungsprozess bis 2022 fünf prototypische Gründungsbauhäuser in verschiedenen EU-Staaten konzipieren. Durch diese Leuchtturmprojekte sollten Energieeffizienz und modernes Design zusammengeführt werden. Bezüglich des kulturellen Aspekts dieser Vorstellung habe ich aber meine Zweifel. Das historische Bauhaus entstand aus dem damaligen Zeitgeist durch eine avantgardistische Gruppe um Walter Gropius. Solche Strömungen bzw. Aktivitäten entwickeln sich von unten herauf in bestimmten geschichtlichen und gesellschaftlichen Situationen. Sie können meiner Meinung nach nicht politisch von oben herab angeordnet werden. Das interdisziplinäre Zusammenarbeiten an Bauprojekten war damals die große Neuheit. Mittlerweilen ist dies aber schon fast Standard. Wir arbeiten mittlerweile bei fast allen Projekten mit Fachleuten aus den verschiedensten Sektoren und mit Künstlern spartenübergreifend zusammen.
Die Bauwirtschaft steht in der Klimadebatte als Umweltsünder da. Allein die Zementproduktion verursacht 8 Prozent der weltweiten Klimagase, wenn man das Bauen und den Betrieb von Gebäuden zusammenrechnet, kommt man auf 40 Prozent aller Emissionen. Das schreit nach einem grundlegenden Wandel des Bauens. Nur wie?
Sicherlich gibt es in der Baubranche noch ein gewaltiges Entwicklungspotential. Im Bereich der Energieeffizienz der Gebäude ist sicherlich noch einiges rauszuholen. Auch die Vorfertigung von Bauteilen steckt noch in den Kinderschuhen. Hier ist noch sehr viel Luft nach oben. Die Verwendung von ressourceneffizienten, nachhaltigen Materialien kann auch noch weiter forciert werden. Das größte Potenzial sehe ich allerdings im Altbestand. Während bei Neubauten heute von vornherein auf eine möglichst hohe Umweltverträglichkeit und einem niedrigen Energieverbrauch geachtet wird, hinken ältere Bestandsgebäude meist hinterher. Der Energieverbrauch bei Neubauten ist nur halb so hoch wie bei 20 Jahre alten Gebäuden. Wenn man bedenkt, dass 85 Prozent aller momentan existierenden Gebäude älter als 20 Jahre sind, kann man erkennen, was hier an Verbesserungsmöglichkeiten entstehen. Eine starke Optimierung der Gebäudeeffizienz in Europa kann daher nur durch eine umfangreiche Renovierung der Altbauten erreicht werden.
Für den Bund Deutscher Architekten ist ein Umdenken im Bauwesen der wichtigste Faktor im Kampf gegen den Klimawandel. Klingt richtig, aber wie überzeugen Sie als Architekt einen Hausbauer davon?
Das überzeugendste Kriterium ist immer die eigene Brieftasche. Ich denke, steigende Energiepreise überzeugen Bauherrn am ehesten zum energiesparenden und damit umweltschonenden Bauen. Die diversen derzeitigen Förderungen in diesem Bereich bilden sicherlich auch überzeugende Anreize und Hilfen. Es gibt aber mittlerweile auch bereits sehr viele aufgeschlossenen Bauherren, private und öffentliche, die schon sehr klare Vorstellungen zu diesem Thema haben. So verlangen immer mehr Kunden von uns, ihr Gebäude als ressourcenschonenden Holzbau auszuführen.
Einfacher, haltbarer, energiesparender, schöner, weniger teuer, weniger verschwenderisch, Schluss mit Stahl- und Glaspalästen – so lauten die Schlagwörter der grünen Revolution im Bauen. Was lässt sich davon unter den gegebenen Umständen und gesetzlichen Vorgaben von einem Architekten konkret umsetzen?
Ich denke, dieser Wandel ist bei den Architekten schon seit längerem im Gange. Wenn ich auf die Aktivitäten und die Projekte meines Büros der letzten 25 Jahre zurückblicke, so sehe ich einiges an Veränderung. Zum Beispiel haben wir bei einigen unserer Projekte, wie beim Gewerbepark Syncom in Brixen oder beim Kulturzentrum Rosenbach in Bozen, große Ganzglasfassaden eingebaut. Es handelt sich hier um zwei Gebäude, die für mich immer noch sehr wichtig sind, aber im Laufe der letzten Jahre wurde uns bewusst, dass der Energieaufwand für Kühlung im Sommer und Heizung im Winter nicht den Vorteil von großzügiger Transparenz und Offenheit von Glasfassaden aufwiegen kann. Mittlerweile suchen wir seit Jahren bei jedem Projekt einen energietechnisch ausgewogenen Kompromiss zwischen geschlossenen und transparenten Fassadenelementen.
Unter Klimaschutzaspekten ist Nichtbauen das beste Bauen. Stattdessen sollte der Bestand intelligenter genutzt werden. Wie reizvoll ist das für einen Architekten?
Das Bauen im Bestand hat für mich auch immer seinen besonderen Reiz. Umso wertvoller der Altbau, umso schwieriger, aber auch umso reizvoller die Aufgabe. Den Eingriff abwägen zu müssen – wie weit setze ich dem Bestand was bewusst entgegen und wie weit ordne ich mich dem Alten unter – macht diese Projekte immer sehr spannend. Vor einigen Jahren konnten wir diese Übung bei einer kleinen Erweiterung des ehemaligen Gil-Gebäude, dem Sitz der EURAC intensiv ausleben. Die Auseinandersetzung mit einem der wichtigsten Bauten rationaler Architektur in Bozen war für uns sehr spannend.
Südtirol ist mächtig stolz auf seine Klimahäuser. Sind in Styropor eingepackte Häuser, das später als Sondermüll entsorgt werden muss und die nur auf einen isolierten Aspekt wie die Energieeffizienz von Gebäuden achten, der richtige Weg?
Meine Position gegenüber den Klimahausrichtlinien und die „Klimahaus-Taliban“ (so nenne ich liebevoll meine Freunde, die als Klimahausexperten arbeiten) ist etwas gespalten. Meines Erachtens nach wird der gesamte Fokus sehr oft nur noch auf die fast kompromisslose Energieeinsparung gerichtet. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass Bauen auch etwas mit Baukultur zu tun hat. Außerdem sollten wir mit unseren Gebäuden in erster Linie behagliche Wohn- und Arbeitsräume schaffen, in denen sich die Menschen wohlfühlen. Im Kampf um die Verbesserung der Energiekennwerte um Nullkommawenig werden aus meiner Sicht oft große Kompromisse bei der Architekturqualität eingegangen.
Abgesehen davon, haben die Energiesparrichtlinien aber klarerweise ihre Daseinsberechtigung. Sicherlich wird man dem Konzept Klimahaus nicht gerecht, wenn man dabei von in Plastiktüten eingehüllte Häuser spricht. Es gibt schon Alternativen zum in Styropor eingepackten Betonbau. Wir haben zum Beispiel erst kürzlich den Kindergarten in Schluderns als reinen Holzbau ausgeführt und mit außenliegenden Holzfaserdämmplatten versehen. Die Baumaterialien sind umwelttechnisch unbedenklich und nachhaltig, und die Entsorgung ist auch kein Problem. Ein Klimahaus kann auch so sein!
Die Bauwirtschaft wird in diesem Krisenjahr italienweit mit dem Dekret „Rilancio“ angetrieben, das einen 110prozentigen Steuerabzug bei energetischen Sanierungen vorsieht. Spüren Sie das in Ihren Auftragsbüchern schon?
Der sogenannte Superbonus hat natürlich viele Hausbesitzer aufgeweckt. Es ist aber leider mal wieder ein Gesetz „all‘italiana“: Zuerst wird mit Pauken und Trompeten ein Gesetz präsentiert und dann werden bücherweise Einschränkungen, Erläuterungen und Interpretationen definiert. Mittlerweile haben sich Architekten, Energieplaner, Anwälte und Wirtschaftsberater zu Teams zusammengeschlossen, um den Bauherrn und sein Projekt sicher durch den mit dem Bonus verbundenen bürokratischen Dschungel zu navigieren. Mal sehen, ob es zu einem Rohrkrepierer oder einem Erfolgsmodell wird.
Ihr jüngst mit dem Iconic Award ausgezeichneter Kindergarten Schluderns ist zur Gänze in Holz gebaut, die Fassade ist jedoch verputzt. Haben Sie Angst vor der Ästhetik reiner Holzhäuser?
Hahaha. In Absprache mit der Gemeinde und den Kindergärtnerinnen haben wir den Kindergarten als reinen Holzbau ausgeführt. Es handelt sich effektiv um einen reinen Holzbau, da alle tragenden Teile wie Wände, Decken und Dach aus Vollholz realisiert wurden. Zur Fassadengestaltung haben wir bürointern sehr lange und intensiv diskutiert. Sicherlich wird ein reiner Holzbau im Regelfall auch mit einer Holzverschalung als Fassadenoberfläche versehen. Der Kindergarten in unmittelbarer Umgebung von Kirche, Grundschule und Altenheim ist hier Teil des natürlich gewachsenen Dorfzentrums von Schluderns. Alle privaten Wohnhäuser und öffentlichen Gebäude sind mit Putzfassaden versehen. So schien es uns dem Kontext gerechter und stimmiger, auch den Kindergarten mit einem Putz zu versehen. Durch die Ausbildung als grober, eingefärbter Strukturmörtel wurde versucht, diesen eine zeitgenössische Interpretation zu geben.
Sogar das vielgescholtene Satteldach kommt zum Einsatz. Das gehört sonst nicht zu Ihren Vorlieben.
Ich habe nichts gegen Satteldächer, im Gegenteil! Ich starte bei jedem Projekt mit einem weißen Skizzierpapier … und rauskommt dann das, was mein Team und ich für die Bauaufgabe, den Bauherren und vor allem im Dialog mit dem Kontext für richtig erachten. Das kann mal ein Flachdach, mal ein Pultdach, mal ein Satteldach oder mal kein Dach sein, wenn das Haus eingegraben wird.
Ein Kindergarten ist ein Haus für Kinder. Wie plant man für Kinder?
Man sollte ein Haus immer auch mit den Augen des Nutzers planen. Beim Kindergarten sollte man das Gebäude daher mit Kinderaugen planen. Kindgerecht zu planen, heißt vor allem, ihre geringere Körpergröße zu berücksichtigen. So wurde die Höhe der Treppenstufen reduziert, und diverse Bauteile wie Handläufe, Griffe und Schalter auf eine niedrigere Höhe montiert. Wie Sie richtig sagen, ist ein Kindergarten ein Haus für Kinder. Daher wollten wir nicht eine kleine Schule bauen, sondern ein Wohnhaus für Kinder. Durch die Verwendung von natürlichem Holz für Böden, Türen und Möbel und durch Stoffverkleidungen wollten wir eine wohnliche Atmosphäre realisieren, wie sie die Kinder von zuhause kennen. Bei der Ausformulierung der Fassade haben wir uns auch von Kinderzeichnungen inspirieren lassen. So entstanden ungleiche, zueinander verschobene Fenster mit überproportionalen Fensterrahmen und eben einem Satteldach. So wie ein Kind einen Kindergarten zeichnen würde.
Interview: Heinrich Schwazer
Zur Person
Roland Baldi, Jahrgang 1965 wurde in Bozen geboren und studierte an der Universität Innsbruck, wo er 1993 seinen Abschluss machte. Im folgenden Jahr eröffnete er in seiner Heimatstadt sein eigenes Büro, Roland Baldi Architects. Zu den wichtigsten Projekten gehören der Masterplan Zone Rosenbach (Ex-Mignone-Kaserne) in Bozen, der Gewerbepark Syncom in Brixen, das Universitätsgebäude in Bruneck, das Fernheizwerk Klausen, die Bergbahn Meran 2000 und der Sitz der TechnoAlpin in Bozen. Viele der realisierten Bauten wurden bei nationalen und internationalen Architekturpreisen ausgezeichnet und bei wichtigen Ausstellungen präsentiert,wie z.B. der Architekturbiennale von São Paulo 2012, La Biennale di Venezia 2006, 2014 und 2018, “Neueste Architekturen in Südtirol 2006-2012”, Einzelausstellung in der Galerie Prisma in Bozen 2012, Alpitecture meets Biennale 2014.
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