Paul Celan (1920-1970)
Vor hundert Jahren ist der Dichter Paul Celan in der Bukowina geboren worden, vor 50 Jahren ist er in Paris gestorben. Seine Eltern wurden von den Nazis ermordet. „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“, schrieb er in seinem Gedicht „Die Todesfuge“, das zum Inbegriff der Dichtung nach Auschwitz wurde. Ein Beitrag von Elmar Locher zum 100. Geburtstag eines der größten deutschsprachigen Dichter des 20. Jahrhunderts.
»Nur wahre Hände schreiben wahre Gedichte. Ich sehe keinen prinzipiellen Unterschied zwischen Händedruck und Gedicht.« Und etwas früher stehen die Sätze: »Handwerk – das ist Sache der Hände. Und diese Hände wiederum gehören nur einem Menschen, d. h. einem einmaligen und sterblichen Seelenwesen, das mit seiner Stimme und seiner Stummheit einen Weg sucht«, schreibt Paul Celan an Hans Bender (GW, Bd. 3, 177). Die Hand schreibt sich das Gedicht als ein Handwerk, als solches aber differenziert es sich von der Kunst als dem Artefakt. Die Hand verknüpft sich so aber auch dem Geben: die Hand gibt, die Hand gibt sich. Das Gedicht: die Gabe. Doch was oder wer gibt sich in und mit der Gabe, wenn man auch sagen kann: sich den Tod geben? Aber: Der Gebende muss vergessen, dass er gibt. Und er muss auch noch vergessen, dass er vergisst. Keine Spur darf bleiben. Nichts darf er verzeichnen, und auf sein Habenkonto darf sich kein Ehrgeiz schreiben, keine Eitelkeit darf sich dem Geber an der gelingenden Gabe entzünden, denn selbst dies wäre noch als eine Form des Tauschverhältnisses zu werten. Der Briefwechsel Paul Celans mit Ingeborg Bachmann (Ingeborg Bachmann. Paul Celan. Herzzeit. Briefwechsel, hrsg. v. Hans Höller u. a. [Frankfurt am Main 2008]) verdeutlicht auf tödliche Weise das Problem. Am 11.10.1959 erscheint Günter Blöckers Rezension Gedicht als graphisches Gebilde von Sprachgitter im Tagesspiegel Berlin. Am 23.10. schickt Paul Celan eine Stellungnahme an die Redaktion des Tagesspiegels, er führt die Zitate aus der Rezension an, die er als antisemitische wertet. Er verwehrt sich mehrmals gegen Blöckers Hinweis auf seine Herkunft, die ihm eine größere Freiheit gegenüber dem Kommunikationscharakter der deutschen Sprache einräume, da er gewissermaßen auf Grund seiner Herkunft im Leeren operiere. Er verwehrt sich gegen die Bestimmung seiner Dichtung als Kombinatorik, als graphisches Gebilde. Am gleichen Tag schickt er eine, wie er später im Brief an Ingeborg Bachmann schreiben wird, Notzeile zusammen mit der Rezension als Beilage an Max Frisch: »Lieber Max Frisch, Hitlerei, Hitlerei, Hitlerei. Die Schirmmützen. Sehen Sie, bitte, was Herr Blöcker, erster deutscher Nachwuchs-Kritiker von Herrn Rychners Gnaden, Autor, ach, von Kafka- und Bachmann-Aufsätzen, schreibt. Alles Gute! Ihr Paul Celan« (Herzzeit,165) Viermal setzt Max Frisch zur Beantwortung der Notzeile an. Der fünfte Versuch (6. 11. 59) wird abgeschickt. In diesem stehen die Zeilen, die Celan in einem späteren Brief an Ingeborg Bachmann (12.11.1959) inkriminieren wird: »Max Frisch verdächtigt mich der Eitelkeit und des Ehrgeizes; […] Nein ich muss hier, obgleich ich annehme, daß Max Frisch einen Durchschlag seines Briefes aufbewahrt – auch ich schreibe jetzt mit Durchschlag … – , noch einen Satz zitieren: ›Denn sollte auch nur ein Funke davon / gemeint sind die ›Regungen der Eitelkeit und des gekränkten Ehrgeizes / in Ihrem Zorn sein, so wäre die Anrufung der Todeslager, scheint mir, unerlaubt und ungeheuer.‹ – das schreibt Max Frisch.« (Herzzeit, 127) Vor diesen Zeilen aber steht der Hinweis, dass sie, Ingeborg Bachmann, einmal wusste, was die Todesfuge für ihn ist: »eine Grabschrift und ein Grab«: »Wer über die Todesfuge das schreibt, was dieser Blöcker darüber geschrieben hat, der schändet die Gräber. Auch meine Mutter hat nur dieses Grab.« (Herzzeit, 127)
Schwarze Milch der Frühe wir trinken sie abends / wir trinken sie mittags und morgens wir trinken sie nachts / wir trinken und trinken / wir schaufeln ein Grab in den Lüften da liegt man nicht eng /Ein Mann wohnt im Haus der spielt mit den Schlangen der schreibt / der schreibt wenn es dunkelt nach Deutschland dein goldenes Haar Margarete … // dein goldenes Haar Margarete / dein aschenes Haar Sulamith.
Empört weist Celan auch Bachmanns Hinweis auf seinen Ruhm zurück. Wer Dichtung als Grabschrift und Grab gibt, dem verbietet sich auch schon der bloße Verweis auf Ruhm als Ausdruck der Anerkennung dichterischen Vermögens. In diesem Brief steht dann auch die Bitte, ihm jetzt nicht zu schreiben, ihm keine Bücher zu schicken. Der Brief endet, mit einem Imperativ an sich selbst und einem Abschiedswort an Bachmann: »Ich muss an meine Mutter denken. Ich muss an Gisèle und das Kind denken. Ich wünsche Dir von Herzen alles Gute, Ingeborg! Leb wohl! Paul« (128).
Bereits im Brief an Hans Bender aber steht der Hinweis, dass im Handwerk der Hände auch ein ›Machen‹ steckt und der Brief faltet dieses ›Machen‹ aus zur ›Mache‹ und zur ›Machenschaft‹. Es sind dann aber nicht mehr Hände, die dieses ›Machwerk‹ tun, die Hände verkehren sich zu ›Klauen‹ und ›Krallen‹. ›Klaue‹ und ›Kralle‹ werden während der Goll-Affäre, an der Paul Celan zu zerbrechen droht – Celan wird von der Witwe Yvan Golls des Plagiats bezichtigt – zweifach konstitutiv: einmal im Gedicht, dann in der Reflexion, die Celan auf sein Werk richtet, das er selbst bei Freunden nicht mehr in guten Händen weiß. Diese Hitlerei, Hitlerei war allerdings schon 1952, anlässlich des Niendorf-Treffens der Gruppe 47, zu dem Paul Celan auf Wunsch Ingeborg Bachmanns dann von Hans Werner Richter doch noch geladen wurde, vernehmbar geworden. Es fielen, nach der Lesung Celans die Sätze, »der liest ja wie Goebbels« und »er habe einen Singsang vorgetragen wie in einer Synagoge«. Wer immer diese Sätze sprach, und es spricht einiges dafür, dass es Hans Werner Richter selbst war: diese Sätze fielen. Bezeichnend auch, dass Hans Werner Richter in seinem 1986 erschienen Band Im Etablissement der Schmetterlinge. Einundzwanzig Portraits aus der Gruppe 47 Paul Celan und seine Lesung 1952 mit keinem Wort erwähnt, auch nicht im Portrait Ingeborg Bachmanns.
Doch wenn Paul Celan an anderer Stelle aphoristisch festhält: »Jedes Gedicht ist auch Rückgabe, Rückerstattung an – «, so verweist diese Feststellung der Restitution in der Vorsilbe Rück allererst darauf, dass da etwas aus den Fugen ist, ausgerenkt, und dann, dass da etwas abgegolten werden muss in einem zeitlichen Aufschub. Diese Rückerstattungschreibt sich in Paul Celans Dichtung »im Gedächtnis der Toten«. Doch damit diese Rückerstattung möglich wird, muss die Sprache durch das Schweigen gehen: Argumentum e silentio: Jedem das Wort. / Jedem das Wort, das ihm sang, / als die Meute ihn hinterrücks anfiel – / Jedem das Wort, das ihm sang und erstarrte. // Ihr, der Nacht, / das sternüberflogene, das meerübergoßne, / ihr das erschwiegene, / dem das Blut nicht gerann, als der Giftzahn / die Silben durchstieß.
Aber es besteht trotz allem die Hoffnung auf eines Denkenden / kommendes Wort im Herzen (Todtnauberg). Am 25. 7. 1967 die Fahrt von Freiburg zu Heideggers Hütte in Todtnauberg. Celan und Heidegger, Opfer und Täter, auf dem Rücksitz eines alten VW Käfers, und der Fahrer: Gerhard Neumann (der uns fährt, der Mensch, der’s mit anhört). Ich habe Gerhard Neumann, anlässlich einer Tagung in Verona 2003, zu dieser Fahrt befragt. Nach langem, langem Schweigen dann die Kurzfassung des langen Kapitels des posthum erschienenen Selbstversuchs (2018) zur Wunde Celan, die nie vernarbte. Neumann spricht von einer Geständniserpressung durchs Ritual, bedingt durch die absolute Metapher, als einer Konstante des Werks Celans. »›Der Mensch, der uns fährt‹, vernimmt, was gesprochen wird. Er verwandelt sich, kraft der magischen Gewalt dieses singulären Rituals, in den Garanten für das, was der Andere (der Schuldige, der Täter) niemals würde leugnen können, ohne wortbrüchig zu werden.« (Selbstversuch, 290) Paul Celan hat mit Gerhard Neumann gebrochen, nach Erscheinen eines Aufsatzes (1970), der von der absoluten Metapher, Mallarmé und Celan handelte. Doch: Das erhoffte kommende Wortkam nicht, aber es kam der Tod, den er sich selbst gab.
PS.: Die Bücherwürmer Lana haben anlässlich des Doppelgedenkjahres Paul Celans Herbert Grassl einen Kompositionsauftrag erteilt. Die Komposition setzt die Beziehung Paul Celan – Ingeborg Bachmann in ein Spannungsverhältnis. Sie hat Gedichte beider und ihren Briefwechsel zur materiellen Vorlage. Die Komposition hätte 2020 in Südtirol uraufgeführt werden sollen. Covid-19 hat dies verhindert. Sie wird, so die Pandemie bis dahin es erlaubt, März 2021 nachgeholt. Der Briefwechsel zwischen Ingeborg Bachmann (1926-1973) und Paul Celan gehört zu den wichtigsten Zeugnissen der deutschen Nachkriegsliteratur. Er vereinigt die dramatischen Stimmen zweier Liebender, die sich verfehlen, die von je unterschiedlichen »dunkeln« Vergangenheiten sich zuschreiben, die die Differenz durch Spracharbeit in einen nicht enden wollenden Dialog setzen, in dem sich Verstummen, Missverständnis, gegenseitiges Sich-Verletzen und zugleich die utopische Hoffnung des Gelingens-Wunsches und das Phantom des je anderen schreiben. Es gibt Momente des Schweigens, erregtes Wiederaufnehmen der Beziehung über die Verletzungen hinweg. Es gibt das konstante Festhalten am Werk des anderen, für das Bachmann früher, Celan später einsteht. Es gibt den nicht abgesandten Brief von Ingeborg Bachmann (27. 9. 1961): »Wer bin ich für Dich, wer nach soviel Jahren? Ein Phantom, oder eine Wirklichkeit, die einem Phantom nicht mehr entspricht.« Und: »Du willst das Opfer sein, aber es liegt an Dir, es nicht zu sein […] Aber das ist dann Deine Geschichte und es wird nicht meine Geschichte sein, wenn Du Dich überwältigen lässt davon.«.
Die Komposition ist das Mit- und Gegeneinander affektgetönter Stimmen, die sich treffen und verfehlen. Es ist der Ostinato-Ton der unterschiedlichen schmerzhaft-zerreißenden Herkunft, der sich in die Stimmen mischt. Es ist der dräuende Rumor des Literaturbetriebs, der vornehmlich in der Goll-Affäre den Rhythmus der angstbesetzten Existenz grundiert. Und dann das Schweigen, das ohne Sprache lauter spricht als diese es je und jäh vermöchte. Sprache zurückgenommen in die Auslassung. Gesangspassagen wechseln sich ab mit der Erzählstimme, der rezitierenden. Instrumentalpassagen geben dem Sprachlosen Sprache.
Zur Person
Elmar Locher, 1951 in Bozen geboren, studierte Germanistik, Vergleichende Literaturwissenschaft und Linguistik in Wien, München und Innsbruck. 1983-`86 Lehrauftrag an der Universität Innsbruck, 1986-`92 wissenschaftlicher Assistent an der Universität Trient für Dt. Sprache und Literatur. Von 1992 bis 2016 war er Professor für Germanistik an der Universität Verona. Er ist Präsident der Bücherwürmer Lana.
Ähnliche Artikel
Kommentar abgeben
Du musst dich EINLOGGEN um einen Kommentar abzugeben.