Innovation dank Corona
Covid-19 als Innovationsbooster: Warum Corona-Hilfszahlungen Unternehmen auch bremsen können.
Das Gastgewerbe zählt zu jenen Wirtschaftssektoren, die besonders von der Corona-Pandemie erschüttert werden. Aus Sicht der Innovationsforschung kann die Krise jedoch auch zur positiven Entwicklung von Unternehmen beitragen.
Das zeigen gleich mehrere Studien, an denen ein neu berufener Professor der unibz beteiligt ist:
Sascha Kraus, seit Herbst 2020 Dozent für Unternehmensführung an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften der Freien Universität Bozen. „Viele Betriebe überdenken und überarbeiten angesichts der Krise ihr Geschäftsmodell in einer Geschwindigkeit, die alle bisherigen Annahmen über Geschäftsmodellinnovation revolutioniert“, so Prof. Sascha Kraus.
Innovation bedeutet nicht nur, neue Produkte oder Dienstleistungen zu entwickeln. Angesichts immer rasanterer wirtschaftlicher und technologischer Veränderungen gilt es für Unternehmen zunehmend, ihr Geschäftsmodell selbst zu überdenken. Wie rasch dies möglich ist, zeigt sich im Pandemiejahr 2020 auf beeindruckende Weise. „Das Tempo, in dem viele Unternehmer auf einen Lockdown oder neue Bedürfnisse des Marktes reagiert haben, widerspricht dem bisherigen Stand der Wissenschaft, wonach Innovationprozesse des zugrundeliegenden Geschäftsmodells mit großem Zeitaufwand und hohen Kosten verbunden sind“, sagt der Professor für Unternehmensführung Sascha Kraus. Gemeinsam mit Kolleg*innen und Doktorand*innen arbeitet er derzeit an der dritten Studie, die neue Erkenntnisse aus der aktuellen Krise in seinen Forschungsbereich einbringt.
Bereits während des ersten Lockdowns hatte ein internationaler Forschungsteam rund um die Professoren Sascha Kraus und Thomas Clauß von der Universität Witten/Herdecke die weltweit erste wirtschaftswissenschaftliche Studie zu den Auswirkungen und damit einhergehenden Transformationsprozessen von Familienunternehmen in der Corona-Krise durchgeführt.
Die Studie, die im „International Journal of Entrepreneurial Behavior & Research“ veröffentlicht wurde, beruht auf 27 Interviews mit Geschäftsführern eines breiten Querschnitts von Familienunternehmen in fünf europäischen Ländern (Deutschland, Schweiz, Österreich, Italien, Liechtenstein). Darin formulierten die Wissenschaftler*innen einerseits kurzfristige Handlungsempfehlungen für Familienunternehmen. Anderseits zeigen sie langfristige Konsequenzen der Krise auf, aus denen Unternehmen sogar wachsen und für die Zukunft lernen könnten – darunter die Förderung einer Kultur der Solidarität und des Zusammenhalts, die weitere Forcierung des Digitalisierungsschubs oder die kritische Hinterfragung von Unternehmensprozessen.
Auf Basis dieser Studie vertieften Kraus und sein Doktorand Matthias Breier die Analyse anhand einer besonders von Covid-19 betroffenen Branche: dem Gastgewerbe. Ihre neuesten Ergebnisse erschienen soeben in einer der führenden wissenschaftlichen Fachzeitschriften in diesem Feld, dem „International Journal of Hospitality Management“. Anhand von sechs zusätzlichen Fallstudien österreichischer Bars, Restaurants und eines Hotels untersuchten die Forscher nunmehr, welche Rolle die Innovation des Geschäftsmodells in den Betrieben infolge des Lockdowns spielte und welche Faktoren sie begünstigten bzw. bremsten.
Das Bild, dass sich daraus ergab? Zumindest aus Perspektive der Innovationsforschung bringt die aktuelle Krise auch viele Chancen. „Die Fallstudien haben klar gezeigt, dass Unternehmer dank des Lockdowns endlich die zeitlichen Ressourcen hatten, um sich strategischen Fragen zu widmen, die vor allem in KMU oft dem operativen Tagesgeschäft zum Opfer fallen“, erklärt Matthias Breier.
Darüber hinaus wurde deutlich, dass Unternehmen, die infolge der Krise stärker unter Druck kamen, viel innovativer wurden. „Wer beispielsweise Miete zahlen musste und viele Angestellte hat, war viel einfallsreicher als jemand, der geringe Fixkosten oder hohe Liquiditätsreserven hatte oder auch hohe öffentliche Transferzahlungen erhielt.“ Während solche Betriebe einfach abwarteten, machten andere aus der Not eine Tugend. In Form neuer Produktideen, wie dem Verkauf fertig vorbereiteter Grillkörbe durch ein Restaurant, das auf diese Art seine überschüssigen Fleisch- und Lebensmittelvorräte abbaute, oder der räumlichen und zeitlichen Verlagerung der eigenen Betriebstätigkeit – wie eine Bar, die im Sommer statt abends im eigenen Geschäftslokal weiterzuarbeiten tagsüber eine mobile Bar in einem umgebauten Airstream- Wohnwagen in einem Strandbad betrieb. „Manche dieser Innovationen mögen temporär sein, doch selbst in diesen Fällen stärken sie die künftige Innovationsbereitschaft der Unternehmer“, so Kraus.
Denn wer sich selbst in der Krise als handlungsfähig und kreativ erlebt, nimmt dies in die weitere Geschäftstätigkeit mit. Eine wichtige Erkenntnis der untersuchten Unternehmen war laut den Studienautoren auch die Rolle der Stammkundschaft: „Sie wurden quasi als Freunde beschrieben, die auch während der Schließung immer wieder Kontakt aufnahmen und Unterstützung anboten und laut einigen Unternehmern eine starke Motivation waren, überhaupt weiterzukämpfen“, so die Autoren. „Wo es Veränderungen gibt, entstehen auch neue Geschäftsgelegenheiten“, sagt der Wirtschaftsprofessor, der nun in einer weiteren Studie die Faktoren untersucht, die im Zusammenspiel von Innovation und Krise ausschlaggebend sind.
Zur Person:
Sascha Kraus ist seit September 2020 ordentlicher Universitätsprofessor für Unternehmensführung an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften der unibz. Der aus Deutschland stammende Wirtschaftswissenschaftler war zuvor als Professor an der Durham University (GB), der École Supérieure du Commerce Extérieur in Paris, der Universität Liechtenstein, und der niederländischen Universität Utrecht tätig.
„Mit der Verpflichtung von Professor Krauss ist es der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften, wie in vielen anderen Fällen auch, gelungen, einen Kollegen mit hoher fachlicher Expertise und internationaler Reputation zu verpflichten. Wie die Forschung von Professor Kraus zeigt, schließen sich Internationalität und Beschäftigung mit regional relevanten Problemstellungen nicht aus“, sagt der Dekan der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften, Prof. Oswin Maurer.
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