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„Jugend zahlt hohen Preis“

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Besonders die Jugendlichen werden von der Coronakrise hart getroffen. Peter Koler rechnet bei einem erneuten Lockdown mit massiven Folgeschäden.

Tageszeitung: Herr Koler, von vielen Seiten wird betont, dass die Einschränkungen zur Eindämmung des Coronavirus die Jugendlichen sehr hart treffen. Ist die Situation für Jugendliche wirklich so schlimm?

Peter Koler: Junge Menschen sind genau gleich wie alle anderen vor allem deshalb auf der Welt, um in Beziehung zu anderen zu stehen. Das macht den Menschen aus. Die Möglichkeiten in Beziehung zu stehen, werden nun aber gerade für Jugendliche auf vielen Ebenen eingeschränkt. Das wirkt sich auf die Befindlichkeit und das Gemüt der Personen aus. Die Jugendlichen zahlen also einen hohen Preis für etwas, für das sie eigentlich nicht verantwortlich sind. Junge Menschen sind von der Krankheit kaum betroffen. Das führt dann zu Unmut und Unverständnis.

Der erste Lockdown liegt einige Monate zurück. Konnten sich die Jugendlichen davon bereits erholen?

Das Forum Prävention hat für den ersten Lockdown in Zusammenarbeit mit ASTAT eine quantitative Erhebung vorgenommen, wobei klar herausgekommen ist, dass die jungen Menschen und Familien die großen Verlierer waren. Natürlich sind auch die Menschen in den Altenheimen Verlierer, sie wurden in der Studie aber nicht befragt. Die Evidenz ist, dass der Moment, indem die Beziehungen gekappt werden, das Leiden anfängt. Für Jugendliche blieb im ersten Lockdown nur noch das Elternhaus übrig. Das ist aber genau der Ort, von dem sie sich lösen sollten, um erwachsen zu werden. De facto ist das Gegenteil passiert. Sie haben sich vielleicht etwas erholt, waren aber im ersten Lockdown die Sündenböcke und werden auch jetzt teilweise für die Situation verantwortlich gemacht. Selbst wenn sie sich also erholen konnten, viel Zeit blieb ihnen nicht.

Wie wichtig ist das Nachtleben für Jugendliche. Können Sie darauf auch für mehrere Monate verzichten?

Das Ausgehen, sich treffen, unterwegs sein, ist ein zentraler Bestandteil des jugendlichen Lebens. Die Probleme entstehen immer dann, wenn kein Verständnis dafür vorhanden ist. Man merkt jetzt schon, dass Teile der Bevölkerung auf Protest sind, bei Jugendlichen ist das nicht anders. Wenn es nachvollziehbar und auf Zeit beschränkt ist, wird es kein Problem sein, allerdings muss man wissen, dass es ein Teil ihres Alltags und ihres Lebens ist. Konzerte, Musik, Tanzen, Ausgehen, Freunde treffen sind Bedürfnisse, die bei Jugendlichen größer sind als bei älteren Erwachsenen.

Vielfach wird befürchtet, dass durch die Schließung der Lokale um 18.00 Uhr nun in privaten Räumlichkeiten gefeiert wird. Glauben Sie, dass es dazu kommen wird?

Das wird sicher so passieren. Das sind dann leider Orte, an denen sich das Virus ausbreiten kann. Das hat man bereits im ersten Lockdown beobachten können. Zwar gilt das nicht nur für junge Menschen, bei ihnen ist das Verständnis aber um einiges geringer, da ihnen alles genommen wird. Einige können die politischen Maßnahmen nicht mehr teilen.

Jugendliche geraten in der Pubertät häufig in Konflikt mit ihren Eltern. Diese werden durch die Einschränkungen potenziert. Wie sollte man darauf in den eigenen vier Wänden reagieren?

Wir haben bereits beim ersten Lockdown eine Seite eingerichtet, die dubistnichtallein.it heißt. Dabei geben wir eine Reihe von Ratschlägen zum Selbstmanagement, wenn man zornig ist, wenn man Stress hat oder wenn es Streit gibt. In diesen Momenten sollte der Grundgedanke der sein, dass es eine Ausnahmesituation ist. Wenn es geht, sollte man grundlegende Konflikte bei Seite schieben und toleranter im Umgang mit denen sein, mit denen man auf engstem Raum leben muss. Wenn einige Sachen nicht perfekt klappen, sollte man das auch zulassen. Einige Male tief ein- und ausatmen hilft.

Viele Oberschüler müssen nun wieder in den Fernunterricht. Was macht das mit den Schülern?

Stellen Sie sich vor, Sie sitzen fünf Stunden alleine vor dem PC und nehmen auf einer Plattform am Unterricht teil. Dann versuchen sie es nicht nur einen Tag, sondern eine ganze Woche oder einen ganzen Monat. Das ist keine Alternative zu dem, was Bildung ansonsten mit den Menschen macht. Die Auseinandersetzung mit den Lehrpersonen, mit den anderen Schülern und die Teilhabe am Unterricht gehen verloren. Das hat enorme Auswirkungen.

Meinen Sie damit auch physische oder nur psychische Auswirkungen?

Wenn es nichts anderes als mein Zimmer, meinen PC und meine Eltern gibt, dann bringt das vor allem Belastung für das psychische System mit sich. Jugendliche hätten eigentlich die Aufgabe, an ihrer eigenen Persönlichkeit zu arbeiten und diese zu entwickeln. Das gelingt aber nicht mehr so gut und dass sich daraus psychische Störungen entwickeln, ist evident. Die Folgeschäden können verschieden aussehen: Depressionen, Angstzustände, Verstimmung, Essstörungen, Substanzen-Missbrauch. Eines sind zwei Monate, die bereits hinter uns liegen, aber wenn das die nächsten fünf sechs Monate so weitergeht, sehe ich schwarz für die Jugend.

Was müsste man tun, um dieses Problem zu lösen?

Die Alternative wäre durch ein durchdachtes Risikomanagement zu schauen, was man noch zulassen kann. Wir wissen im Gegensatz zum ersten Lockdown beispielsweise, dass es Möglichkeiten gibt, sich allein sportlich zu betätigen, ohne ein großes Risiko einzugehen. Man müsste also eher Risikomanagements anwenden, als alles zu schließen. Das scheint aber bei den Entscheidungsträgern nicht zu greifen, weil dort der medizinisch-antivirale Aspekt vorherrschend ist und überall Angst und Panik verbreitet wird. Damit fällt die Reflektion darüber, was möglich ist, Universalaktionen zum Opfer, die dann das Problem haben, dass sie schwer nachvollziehbar sind. Das gilt beispielsweise auch für Restaurants, die sich versucht haben, an die Vorgaben zu halten.

Sollten also auch Diskotheken wieder aufsperren dürfen, um den jungen Menschen ein normales Leben zu ermöglichen?

Wenn Diskotheken große Spreader sind, dann wird es auch Verständnis für die Schließungen geben. Wenn es aber gelingt, das Nachtleben so zu gestalten, dass sich das Virus nicht ausbreitet, sollte man dieses zulassen. Das gilt aber nicht nur für Bereiche die Jugendliche betreffen. Derzeit wird aber wieder geschrieben, dass eine große Katastrophe auf uns zukommt, wenn nicht alles geschlossen wird.  Dadurch ist es nicht möglich die gesundheitlichen Folgen des Virus mit den Kollateralschäden abzuwägen. Ich sehe also auch die Medien in der Verantwortung.

Ab wann werden die Belastungen für Jugendlichen zu irreparablen Schäden führen?

Je länger die Belastungen dauern, desto höher sind die Auswirkungen. Fakt ist, dass die Jungen nun eine Klimakrise, die Covid-Krise und eine Riesenlast an Schulden erben. Zusätzlich werden sie durch die Isolation schon in jungen Jahren beeinträchtigt. Diese Generation muss sich also mit Dingen auseinandersetzen, die noch keine Genration zuvor durchmachen musste.

Interview: Markus Rufin

Foto(s): © 123RF.com und/oder/mit © Archiv Die Neue Südtiroler Tageszeitung GmbH (sofern kein Hinweis vorhanden)

Kommentare (10)

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  • andreas

    „Diese Generation muss sich also mit Dingen auseinandersetzen, die noch keine Generation zuvor durchmachen musste.“

    Geschätzten 80-90% der Jugendlichen auf der ganzen Welt geht es schlechter als denen der westlichen Welt und wenn er 2 bzw. 3 Generationen zurück blickt, war eine im Krieg und die andere musste den Laden wieder zum Laufen bringen.

    Es gibt kein Recht darauf, dass der Status quo für ewig erhalten bleibt und ich glaube jeder Jugendliche aus Syrien, würde sofort tauschen wollen.
    Diese Panikmache ist kontraproduktiv und Peter Koler scheint nicht mehr wirklich die geeignete Person für diesen Posten zu sein, da er statt Zuversicht, anscheinend lieber Panik und Angst verbreitet.

  • ostern

    Zum Glück haben wir keinen Krieg Hr. Koler!!
    Was würden Sie dann sagen! Keine Diskos, keine
    Drogen und sonstiges. Tatsache ist, dass wir heute
    größtenteils eine Jugend haben, die nicht gewillt
    ist wie z.b. in dieser CORONA-ZEIT einmal einen Gang
    zurückzuschalten.

  • klum

    Herr Kofler müsste eigentlich erklären wer noch weniger betroffen ist als Jugendliche. Jugendliche dürfen nicht mehr ausgehen und sich nicht mehr treffen, während andere am finanziellen Abgrund stehen und sich grad überlegen hinunter zu springen (Forum Prävention !!!). Oder während wir die „Alten“ wieder wegsperren müssen und Betriebe (Inhaber ihre Familien) um ihre Existenz bangen. Und während das Sanitätspersonal über seine Grenzen geht usw. Herr Koler könnte vielmehr die Jugendlichen zur Solidarität aufrufen. Sie leben schließlich in einer bisher noch nie dagewesenen „Luxuszeit“ (in Frieden und Freiheit / in einem gut ausgestatteten Nest).
    Wobei mir vorkommt, dass viele Jugendliche eh recht vernünftig mit der Situation umgehen.

  • klum

    Herr KOLER sollte es natürlich heißen

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