„Nicht sauber“
Der Fall einer 71-jährigen Schlaganfall-Patientin aus Innichen wirft die bange Frage auf: Werden in Südtirol Patienten in Lebensgefahr nur mehr dann mit dem Hubschrauber ins Spital geflogen, wenn sie vorher negativ auf Corona getestet wurden?
von Artur Oberhofer
Mittwoch, 14. Oktober 2020: Am späten Vormittag geht beim Weißen Kreuz in Innichen ein Notruf ein.
Die Zentrale schickt einen Krankenwagen los. Die diensttuende Notärztin diagnostiziert bei der 71-jährigen Patientin einen Schlaganfall mit halbseitiger Lähmung, links. Für die Notärztin ist das ein klarer Fall für die Stroke Unit in Bozen. Folglich fordert sie den Rettungshubschrauber an.
Die Schlaganfall-Patientin wird im Krankenwagen zum Hubschrauber-Landeplatz gebracht.
Um 12.34 Uhr landet der Rettungshubschrauber Pelikan 1 in Innichen.
Bis dahin läuft der Rettungseinsatz mit dem Code „R202002295AA“ wie am Schnürchen. Was aber in den folgenden zwei Stunden passiert, ist nicht nur unglaublich. Der Vorfall, über den zuerst das Nachrichtenportal salto.bz berichtet hat, wirft die Frage auf, ob in Corona-Zeiten Schlaganfall-Patienten oder andere Notfälle nicht mehr mit dem Rettungshubschrauber ins Krankenhaus transportiert werden, wenn auch nur ein leiser Verdacht auf eine Corona-Infektion besteht.
Was ist in Innichen geschehen?
Der Notarzt des Pelikan 1, Patrick Franzoni, der auch stellvertretender Covid-Einsatzleiter in Südtirol ist, entscheidet um 12.39 Uhr vor Ort, bei der Schlaganfall-Patientin einen Covid-Schnelltest durchzuführen.
Um 12.45 Uhr erklärt Notarzt Franzoni, dass das Ergebnis des Tests „nicht sauber“ sei und deswegen als positiv gewertet werden müsse. Also könne die Patientin nicht im Rettungshubschrauber nach Bozen geflogen werden, der Transport müsse mittels Krankenwagen erfolgen.
Es kommt zum Disput zwischen Patrick Franzoni und der Innichner Notärztin. Die Ärztin weist ihren Kollegen darauf hin, dass der Test weder klar positiv noch klar negativ sei, es gebe nur „einen Schatten auf der T-Linie“.
Zum besseren Verständnis: Ein Schnelltest ist als positiv zu werten, wenn sowohl die Kontrolllinie (C) als auch die Testlinie (T) zu sehen sind.
Die Ärztin führt den Schatten auf der Testlinie darauf zurück, dass ihr Kollege nur sechs und nicht 15 Minuten lang auf das Testergebnis gewartet habe.
Wie dem auch sei.
Um 12.49 Uhr hebt der Rettungshubschrauber Pelikan 1 in Innichen ab – mit Notarzt Franzoni, aber ohne die Schlaganfall-Patientin.
Während die Sanitäter den Transport der Patientin im Krankenwagen nach Bozen organisieren, protokolliert die Innichner Notärztin den Schnelltest als „eindeutig negativ“. Nach 15 Minuten waren auf dem Test-Kit weder die C-Linie noch die T-Linie zu sehen.
Um ganz sicherzugehen, führt die Notärztin bei der Patientin noch einen zweiten Antigen-Schnelltest durch. Das geschieht kurz nach 13.00 Uhr.
Um 13.25 Uhr liegt das Ergebnis des zweiten Antigen-Schnelltests vor: Es ist eindeutig negativ!
Die Notärztin informiert die Landesnotrufzentrale, diese schickt diesmal den Rettungshubschrauber Pelikan 2 ins Hochpustertal. Der Hubschrauber landet um 13.45 Uhr in Innichen. Um 13.59 hebt der Hubschrauber mit der Innichner Schlaganfall-Patientin endlich ab Richtung Bozen.
Zwei wertvolle Stunden waren verlorengegangen – im Fall von Schlaganfall-Patienten manchmal eine tödliche Ewigkeit.
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Kommentare (28)
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