Schöne Scherben // Die Kunst der Reparatur
Eine Ausstellung im Lanserhaus Eppan widmet sich dem Thema „Schöne Scherben – Die Kunst der Reparatur“.
Dinge zu reparieren ist eine Kunst, die als umso gelungener gilt, je weniger sie sichtbar ist. Anders im Japanischen. Dort bezeichnet „Kintsugi“ eine spezielle Reparaturtechnik, die zudem als ästhetische und kulturelle Form zu beschreiben wäre. Hierbei geht es darum, beschädigte Töpferwaren – nicht nur durch die Machart, sondern im täglichen Gebrauch wertvoll gewordene Dinge wie Teeschalen – zwar kunstvoll zu reparieren. Doch nach dem Prinzip des Kintsugi Wiederhergestelltes will – anders als wir das etwa vom guten Schuhmacher- oder Schneiderhandwerk kennen – nicht so tun, als wäre gar nichts passiert, indem die Reparatur möglichst unsichtbar ausgeführt wurde. Vielmehr wird der Eingriff deutlich gezeigt, der Schaden somit regelrecht ausgestellt. Beim Kintsugi kommen nicht nur ausgefeiltes Handwerk, sondern auch die wertvollen Materialien Silber und Gold zum Einsatz, um Risse effektvoll auszukitten oder sogar ganze Scherben zu ersetzen. Es weist vielmehr auf ein komplexes Beziehungsgeflecht hin: eine Dialektik, die zwischen dem Schaden an einem Ding und seinem Wert besteht und als künstlerisches Konzept unter eine Ästhetik des Defekts fällt.
Auch die europäische Tradition kennt spezifische Kunstformen, die sich unter eine Ästhetik des Defekts fassen lassen: etwa Fragmente, Ruinen oder Torsi. Hierbei wird der Schaden gleichsam mitgedacht, ins Werk integriert. Der Defekt ist Teil der Konzeption und Herstellung des Kunstwerks, dessen künstlerisches Gelingen als Exzess des Unfertigen oder Übriggebliebenen bestimmbar wird, um sich zugleich dem Regiment der Zeit zu entziehen.
Das widerspricht der gängigen Ansicht, dass Schaden den Wert eines Dings mindert. Sein Wert wird vielmehr erst in der Beschädigung sichtbar, die unsere Beziehung zu einem Ding – egal ob Sache oder System – auf eine harte Probe stellt. Ein Schaden macht uns bewusst, dass ein Teller nicht nur praktisch, sondern auch schön war, eine Hose nicht nur aus gutem Stoff gemacht war, sondern auch perfekt gepasst hat.
Derartige Qualitäten wären im Schadensfall nicht ohne weiteres zu ersetzen. Das zeigt auch, dass der Wert eines Dings nicht objektiv darin verankert, intrinsisch ist, sondern eine relative Kategorie: Ergebnis von Zuschreibungen. ‚Wert’ integriert ein Spektrum verschiedener Wertformen oder Valeurs, die ihrerseits vielfach aufeinander bezogen sind.
In früheren Zeiten war es nicht ohne weiteres möglich Ersatz zu finden: Entsprechend wurde in vielen ländlichen Regionen im Winter ausgebessert, geflickt, repariert – etwa Rechenzähne aus Holz geschnitzt –, um auszugleichen, was übers Jahr verschlissen ist und Schaden genommen hat. So überdauerten auch einfache Dinge oft Generationen.
Durch Industrialisierung und globalen Warentransfer ausgelöst, zudem durch die Digitalisierung verschärft, stellt sich heute im Grunde gar nicht mehr die Frage, ob man ein Ding reparieren lassen sollte oder es besser durch ein neues, gleichwertiges ersetzt. Kunst spielt hier eine Sonderrolle, denkt man an den Aufwand, der zum Erhalt selbst ihrer ephemeren Formen als Installation oder Performance betrieben wird. Dagegen erscheint es viel zu aufwändig, eine in Scherben gegangene Tasse zu kitten, einen Anzug wenden zu lassen, wenn der Stoff an Knien und Ellenbogen zu glänzen beginnt. Und was wäre mit einem Smartphone anzufangen, dessen Hardware, das Gerät, noch hervorragend funktioniert, aber mit der letzten Aktualisierung des Betriebssystems einfach nicht mehr kompatibel ist? Auch die kunstvollste – sprich: die unsichtbare – Reparatur vermag nicht, das Rad der Zeit zurückzudrehen, den Schaden ungeschehen zu machen.
Formen der Wiederverwertung setzen an dieser Stelle an: Rohstoffe möglichst umfassend und ebenso ideenreich wie kunstvoll ‚auszuwerten’. Dennoch, auch diese ökologisch und ethisch sinnvollen – und nicht zuletzt ökonomischen – Konzepte folgen vorrangig der Idee des Nutzens, der allerdings auf einer vielleicht zu einfachen, ‚wertkonservativen’ Auslegung von Wert basiert. Das teilen sie mit der Reparatur, wenn sie so tut, als hätte es den Schaden und damit die Geschichte nie gegeben.
Die Kunst, die ihre Wurzeln im Handwerk hat und sich davon im Lauf der Zeit als eigene Wissensform emanzipiert hat, stellt traditionell Rahmenbedingungen her, innerhalb derer wir Dinge anders ansehen, in spezifischer Weise gebrauchen können, ohne unmittelbar an Nutzen oder Rentabilität und dennoch an Wert zu denken. Dinge – Sachen, Sachverhalte und Systeme – als Kunst anzusehen, trägt zu ihrer Aktualisierung bei, es hebt sie gewissermaßen aus der Zeit. (Hans-Jürgen Hafner)
Die von Hans-Jürgen Hafner kuratierte Ausstellung Schöne Scherben – Die Kunst der Reparatur im historischen Lanserhaus möchte in Bezug zu den vorhandenen regional- und kulturgeschichtlichen Sammlungen Bezüge zwischen unterschiedlichen Dingen herstellen: künstlerischen Arbeiten und Artefakten der Alltags- und Handwerkskultur, aus der die Kunst historisch hervorgegangen ist. Es geht um den Umgang mit Dingen, die Wertschätzung, die sich in ihrem verschleißenden oder erhaltenden Gebrauch ausdrückt und der auf das Spannungsfeld verweist, in dem Schaden und Wert aufeinander bezogen sind.
Eine Ausstellung mit Barbara Bloom, Revital Cohen & Tuur van Balen, Anna Franceschini, Paul Kindersley, Milan Knížák, Hubert Kostner, Claudia Kugler, MDMM, Kozan Makuzu, Walter Niedermayr, Siegfried Riegler, Alessandra Spranzi, By Walid und Jens Wolf.
Termin: Bis 15. November im Lanserhaus Eppan.
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