Die Toblacher Thesen
Die radikalen Maßnahmen gegen die Ausbreitung der Pandemie lehren uns wie wir den Klimawandel stoppen können – dies der einhellige Tenor der Referenten bei den Toblacher Gesprächen, die am Wochenende Perspektiven für eine nachhaltige Wirtschaftsweise erörtert haben.
Nachdem Ralf Pellegrini, Präsident des Vereins „Akademie der Toblacher Gespräche“, die Veranstaltung eröffnet hatte, meinte Professor Konrad Bergmeister, Präsident des Stiftung Sparkasse, in seinen Grußworten, die Covid-Krise berge eine große Chance einer substantiellen Veränderung. Es brauche mutige Menschen wie Greta Thunberg, der es im Gegensatz zu den Wissenschaftlern gelungen sei, weltweit mediale Aufmerksamkeit zu erhalten. Die Stiftung Sparkasse werde – laut Bergmeister – neue Wege beschreiten und eine Bildungswerkstätte etablieren mit dem Ziel, nachhaltige und innovative Umweltprojekte gezielt voranzutreiben. Tagungsleiter Karl-Ludwig Schibel sprach in seiner Einleitung von der unbändigen Macht des Covid19 Virus, der die Haltlosigkeit der Illusion, die Natur beherrschen zu können einer globalen Gemeinschaft vor Augen geführt hat.
Stefano Caserini: „In 30 Jahren 90% CO2 Reduktion“
Der Umweltaktivist und Professor an der Technischen Hochschule Politecnico in Mailand, brachte es auf den Punkt: um eine globale Klimakatastrophe zu verhindern, müssen die Industrienationen in den kommenden drei Jahrzehnten den Ausstoß an Kohlendioxyd um 90% verringern, die Abholzung der Wälder beenden und schließlich Kohlendioxyd aus der Atmosphäre entnehmen. Caserini zeigte sich trotz der großen Herausforderung optimistisch. Junge Forscherinnen und Forscher sind darauf und dran, innovative Technologien zu entwickeln, ohne fossile Brennstoffe zu verwenden.
Lorenzo Pagliano: „Klimafreundliche Großstadt Paris“
Auch Lorenzo Pagliano, Dozent an der Technischen Hochschule Politecnico in Mailand, zeigte sich überzeugt, dass eine moderne Gesellschaft ohne fossile Energieformen möglich sei. Die Pariser Stadtverwaltung beispielsweise setzt auf eine neue Verkehrspolitik und möchte den Individualverkehr in der Millionenstadt reduzieren, um mehr Platz für den öffentlichen Nahverkehr und Fahrrädern zu lassen. Dieses Beispiel zeige, dass auch eine Großstadt umweltfreundlich gestaltet werden könne.
Graeme Maxton: „Das Wirtschaftssystem muss demontiert werden.“
„Der Druck immer mehr Wachstum zu schaffen, ist die Ursache des Klimawandels“, betonte der bekannte schottische Ökonom Graeme Maxton, deshalb sei es an der Zeit dieses System radikal abzulösen. Maxton provozierte und meinte, man müsse das gegenwärtige Wirtschaftssystem demontieren, bevor ein neues nachhaltiges System eingerichtet werden kann. Es sei nicht zu reformieren. „Ein Huhn kann nur Hühnereier und keine Enteneier legen“, deshalb brauche es einen radikalen Wandel, der von allen mitgetragen wird, bei dem Klimaexperten zu Rate gezogen werden.
Matthias Horx: „Wir leben in einer Transformationszeit.“
Der deutsche Zukunftsforscher meinte, die Gesellschaft empfinde die Krise als Versagen, aber dieses Innehalten berge viele Chancen. „Wir leben in einer Transformationszeit vor einer noch unbestimmten Zukunft. Die Pandemie zwingt uns unser Handeln zu verändern.“
Am Beginn der französischen Aufklärung mit Voltaire stand die Naturkatastrophe der Stadt Lissabon 1755, die einem Erdbeben und deren Folgen zum Opfer geworden war. In ähnlicher Weise werde laut Horx auch die Pandemie 2020 zu einem Katalysator gesellschaftlicher Veränderungsprozesse. Die jüngeren Menschen werden in den kommenden Jahren massiven Druck in Richtung Klimawandel erzeugen. „Wir stehen vor einer technischen Revolution wir brauchen 100 Mal mehr an erneuerbaren Energien als bisher. Dieses Jahrzehnt ist das entscheidende. Wir werden 2030 ganz anders aussehen“, prophezeite Matthias Horx.
Während die Finanzkrise ein Teilereignis darstelle, ist die Pandemie eine Tiefenkrise, die alle Bereiche des Lebens erfasse. Dadurch werden Dinge sichtbar, die gut funktionieren und jene, die immer schon problematisch waren wie etwa die Fleischproduktion oder die Kreuzfahrten. In solchen Krisenzeiten haben reichere Menschen ein schlechteres Lebensgefühl, ärmere Menschen tendenziell ein positiveres.
Durch Corona werde eine multipolare Weltordnung erzeugt, in der die regionalen Wertschöpfungsketten an Bedeutung gewinnen. So werden Menschen die Städte verlassen und aufs Land ziehen, wo sich neue Wohn- und Lebensformen etablieren. „Dabei hat sich gezeigt, dass die künstliche Intelligenz uns auch in Zukunft nicht heilen wird, das ist eine Illusion“, unterstrich Horx.
Enrico Giovannini: „Wir brauchen nun eine kohärente Politik, die den Transformationsprozess begleitet.“
Der Sprecher der Italienischen Allianz für eine nachhaltige Entwicklung (ASviS) und ehemaliger Arbeitsminister, bestätigte die Aussagen von Matthias Horx. Das staatliche Statistikinstitut ISTAT habe erkannt, dass viele Unternehmen, die bereits vor der Krise in nachhaltige Prozesse investiert hatten, dies nun auch verstärkt fortsetzen.
Giovannini lobte die Europäische Kommission mit Präsidentin Ursula von der Leyen, die ambitionierte Ziele im Umweltschutz vorantreibe. „Wir sind inmitten einer Transformation und laden die italienische Regierung ein, eine kohärente Politik zu gestalten, die auch dank der Unterstützung der EU möglich sein wird.“
Zeno Oberkofler: „Die Pandemie hat uns gezeigt: wir können die Hürden nur gemeinsam meistern.“
Jetzt hätte die Gesellschaft die einmalige Chance, die Weichen zu stellen, um die Pariser Klimaziele umzusetzen, so Zeno Oberkofler, Aktivist für Fridays for Future und Student am Konservatorium in Cesena. Wenn Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Politik an einem Strang ziehen, geht das.
Susanne Elsen: Genossenschaften haben die DNA von dem, was wir in Zukunft brauchen werden.“
Die Professorin für angewandte Sozialwissenschaft an der Freien Universität Bozen, betonte in der abschließenden Podiumsdiskussion, dass es dringend einer gerechteren sozialen Verteilung bedürfe. Viele Menschen verlieren ihre Existenzgrundlage durch die Pandemie. Menschen, die in sozialer Not leben, denken primär an das eigene Überleben und nicht an die Klimakrise. Elsen glaubt, dass das Genossenschaftswesen als soziale Wirtschaftsform an Bedeutung gewinne wird. „Genossenschaften haben die DNA von dem, was wir in Zukunft brauchen werden.“
Bei der Podiumsdiskussion präsentierten die beiden Aktivistinnen für Fridays for Future Majda Breceij undLeaSchatz Abramihre Anliegen. Die Coronakrise habe zwar die Arbeit erschwert, aber die Bewegung habe wieder an Fahrt aufgenommen. Tagungsleiter Karl-Ludwig Schibel zog ein trotz coronabedingter Restriktionen positives Resümee. „Wir verlassen diese Gespräche gestärkt und in der Hoffnung, dass die Chancen besser geworden sind, die Klimakrise zu meistern.“
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