Zurück zum Tape
Mit ihrem neuen Release „… What Else?“ wenden sich die Bozner Punker Forgotten Dicks einem neuen Medium zu: der MC bzw. Musikkassette. Warum das völlig irrational ist und dennoch seinen Charme hat.
Im internationalen Untergrund zirkuliert sie ja schon eine ganze Weile und das Angebot ist mittlerweile auch schon so groß, dass einschlägige Mailorder neben CD, Vinyl und Merchandise nun auch wieder den Reiter „Tapes“ haben. Abgesehen davon, dass die MC in anderen Teilen der Welt nach wie vor noch ein für die jeweilige Gesellschaft relevanter Tonträger ist, ist sie in Europa parallel zum Aufkommen der CD fast völlig verschwunden und die Musikkassette ist eigentlich seit den Neunzigern mehr oder weniger tot.
Warum kommt sie jetzt wieder zurück? Autos haben keinen CD-Player und schon lange kein Tape-Deck mehr. Wer eine Kassette abspielen will muss in den Keller, um den alten Ghettoblaster hervorzuholen oder in der Verwandtschaft nach einem Kassettenrekorder suchen.
Wenn eine Band heute also ihre Musik als MC herausgibt, dann will sie es ihren Fans schwer machen, angehört zu werden. Nicht nur, dass die Abspielgeräte eher selten zu finden sind, auch der Handhabung der Musik her ist sie dem digitalen Song (als Stream oder als mp3), diametral entgegengesetzt: Während die digitalen Songs via Smartphone immer und überall verfügbar sind, muss man zu Tante Hanny, um sich einen Kassettenrecorder auszuleihen. Gefällt ein Song nicht, genügt auf der einen Seite ein Klick um zum nächsten Stück zu kommen. Eine Kassette muss gespult werden oder man muss durch den Song nolens volens bis zum Ende hören (und dabei vielleicht entdecken, dass der Song dann doch nicht sooo schlecht ist).
Andererseits setzen sich die Band gerade dadurch gegenüber der Unmenge an verfügbarem Musikmaterial ab. Wer beispielsweise die vorliegende Forgotten Dicks-Kassette hören möchte, muss die erwähnten Hürden in Kauf nehmen, und wer das tut, nimmt sich auch die Zeit, sich mit dem Material zu beschäftigen, etwas was in Zeiten des digitalen Überflusses zunehmend wertvoller und seltener wird.
Wer heutzutage eine MC produziert, will dem digitalen Mainstream den Mittelfinger zeigen und auf die eigene Besonderheit verweisen. Es ist wie die Zurückeroberung von etwas, das durch den flächendeckenden, alles enthaltenden, ständig verfügbaren Streamings verlorengegangen ist: Die musikalische Welt, die ein klassischer physischer Tonträger abbildet und mit der sich der Hörer/die Hörerin in einer gewissen Privatsphäre auseinandersetzt. Es ist ein Stück „Band”, das nur dieser einen Person gehört. (rhd)
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