Empathisanten
Mit den zwei aufeinander korrespondierenden Ausstellungen „ohne Euch geht gar nichts“ und der Präsentation „Empathisanten“ reagiert die Stadtgalerie Brixen auf Fragestellungen, die die Covid-19 Pandemie in unserer Gesellschaft drängend evident machen.
Worin formuliert sich das kritische Konfliktpotential für jeden Einzelnen auf gegenwärtige Missstände globaler Dimensionen zu reagieren? Verändert sich unser gesellschaftliches Konzept oder fordert und fördert uns die Pandemie die Prinzipien der Gemeinschaft neu zu definieren. War im ersten Teil der Ausstellungsreihe noch manifest die Notwendigkeit die Gemeinschaft als Status Quo unserer konfliktbeladenen Zeit zu hinterfragen, verhandeln die künstlerischen Positionen unter dem Titel „Empathisanten“, die Schnittmenge zwischen Empathie als narratives Gesellschaftskonzept und dem Sympathisanten, als allgegenwärtiges Handlungsprinzip.
AliPaloma reagiert mit ihren Arbeiten auf die Fragilität des Menschen im social media Zeitalter. Sie zeigt zwei Arbeiten: Freedom & Force (Plastik, Stahl, 150cm x 80 cm) und Smooth (Metall, PVC, 200 x 500 cm). Erste greift mittels der Megaphon-Skulptur die Stimmen des Protests auf, wie zuletzt bei der Black Lives Matters oder der Fridays for Future Demonstrationen. Die zweite Arbeit zeigt anhand eines Netzes, wie sich Kommunikationsstrukturen im medialen Netz verflachen und widerstandslos werden. Nicoló Degiorgis entwirft mit dem Grundriss der Insel Lampedusa auf blauem Seidenstoff eine alternative Europaflagge. Im Zentrum seiner künstlerischen Auseinandersetzung steht die Recherche politischer Prozesse in der Gesellschaft. Die eindringlichen Experimentalfilme von Berty Skuber werden u.a. Porträt einer langjährigen Künstlerlaufbahn. So widmete sie nicht nur 1994 dem Fluxus Künstler Ben Patterson den Film „Only Friends have friends, a portrait of Ben Patterson“, sondern sie recherchierte auch politische Konflikte wie im Film „Stepping Stones (Lebanon Border)“ (1997-99), der mit dem Anhalten der Auseinandersetzung im Nahen Osten immer noch bestechende Tagesaktualität erfährt. Die Konditionierung des Gesellschaftskörper Mensch thematisiert Ingrid Hora in ihren Skulpturen und Performances, wie es nicht eindringlicher die Skulptur „Freizeyt, Sprossenwand/ Der Grillentöter“ aus dem Jahr 2015 zeigt. Ironie und Zeitkritik spielen bei der in Brixen lebenden Komponistin Manuela Kerer eine große Rolle. Ihr Ensembelstück „kaput II“ greift diese Energie auf, in dem sie die einzelnen Instrumente in Plastik verpackt von den Musikern spielen lässt und damit ein beklemmendes Bild unserer Kultur im Spiegel des Klimawandels erzeugt.
Als inhaltliche Eckpunkte Ausstellungskonzepts kommentieren einzelne internationale Leihgaben die Präsentation. So kann man die Arbeit von Cindy Sherman als Selbstbildmaschine einer Generation Instagram, Snapchat oder TikTok verstehen. Das Foto mit dem Titel „Is suicide genetic?“ aus dem Jahr 1996 von Sarah Lucas schneidet eine ganzeindringliche Problemstellung der Gesellschaft während und nach der Pandemie an. Auch den Künstler als politischen Aktivisten zitiert Ai Wei Wei mit dem Werk „Dust to Dust“ aus dem Jahr 2008. In einem Bonbonglas füllt der chinesische Künstler von ihm gemahlenen Tonwaren ab, als Kommentar zur Gefährdung chinesischer Kulturgüter und -denkmäler zugunsten eines neoliberalen Überwachungsstaats. Die österreichische Malerin Katrin Plavcak hat unmittelbar nach dem Todesfall von Marcus Omofuma 1996 sein Porträt gemalt, das sich als Kommentar auf die Black Lives Matters Bewegung in der Ausstellung befindet. Während seiner Abschiebung 1999 wurde Omofuma von Polizeibeamten mit Klebeband fixiert, was zu seinem Tod führte und eine Protestbewegung in Österreich auslöste. Der südafrikanische Künstler Athi-Patra Ruga thematisiert mit seinen Arbeiten ein fiktionales Afrika, das mit seinen Vertretern und gesellschaftlichen Gruppen als Nation ohne koloniale Einmischung gewachsen ist.
Im Rahmen des 2. Aktes der Ausstellung werden die Künstler der vorangegangenen Ausstellung „Ohne Euch geht gar nichts“ – Leonora Prugger, Leander Schwazer, Barbara Tavella und Tobias Tavella – Werke hinterlassen, die auf die gegenwärtige Ausstellungssituation reagieren. Damit wird ein fließendes Zeitkonzept in der Ausstellung sichtbar, da die unmittelbaren Bedingungen der globalen Covid-19 Pandemie jeglichen Zeitbegriff im Kulturbetrieb aussetzte. Diese Auseinandersetzung kommentiert auch ab Oktober der mobile Ausstellungs-Satellit der Brixner Architekten Michaela Wolf und Gerd Bergmeister von bergmeisterwolf. So entwickelten sie für drei ausgewählten Standorte in Brixen eine mobile Kunsthalle, deren Grundidee es ist – im Sinne der Covid-19-Maßnahmen, die uns seit dem Lockdown in jeweils modifizierter Form begleiten – einen mobilen Ausstellungsbetrieb im öffentlichen Raum zu gewährleisten.
Zur Unterstützung der Südtiroler Künstlerschaft und der Einzelhandelsbetriebe in Brixen haben der Südtiroler Künstlerbund und die Stadtgemeinde Brixen ebenfalls ab Oktober eine Kooperation ins Leben gerufen, die die in der Ausstellung vertretenen Südtiroler Künstler*innen einlädt Papiertaschen für den Einzelhandel zu gestalten. Ausgewählte Geschäfte in Brixen werden bis Jahresende ihre Kunden mit diesen besonderen Papiertaschen beschenken, um das Innenstadtleben mit Kunst zu bereichern.
Termin: Eröffnung Donnerstag, den 17.9, 17-21 Uhr 18.9. – 6.11. 2020
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