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„Endlich fühle ich mich frei“

Foto: PHOTOGRAPHY DER SINNE

Tobias Stampfer kam als Lisa zur Welt. Das Gefühl falsch zu sein, hatte er früh. Heute lebt der 30-Jährige als Mann. Der Tageszeitung erzählt er, was es heißt, im falschen Körper gefangen zu sein.

von Eva Maria Gapp

Tobias Stampfer strahlt übers ganze Gesicht. Er lacht viel und scherzt. Doch das war nicht immer so. Bis vor ein paar Jahren wurde Tobias noch mit „junge Frau“ angesprochen. Damals hieß er noch Lisa und war eine Frau. „Ich war lange Zeit sehr unglücklich, konnte mich kaum im Spiegel ansehen.“

Der TAGESZEITUNG erzählt der gebürtige Gadertaler, der mittlerweile in Bruneck lebt, seine bewegende Geschichte.

 

Tageszeitung: Herr Stampfer, wann haben Sie das erste Mal gemerkt, dass Sie sich in Ihrem Körper nicht wohl fühlen?

Tobias Stampfer: Ich hatte immer schon den Eindruck, dass irgendetwas nicht passt, als wäre ein Schatten über mir. Es hat immer etwas gefehlt. Ich war auch als Kind und dann später als Teenager nie 100 Prozent glücklich. Als Kind habe ich auch lieber Fußball und mit Autos gespielt, als mit Puppen. Ich wollte auch nie ein Kleid anziehen, sondern lieber kurze Hosen, weite T-Shirts, so „Mandersachen“ halt (lacht). Und schon sehr früh habe ich angefangen, mir die Haare kurz zu schneiden. In der Pubertät habe ich mir dann gedacht, dass ich lesbisch bin – weil ich auf Mädchen stand. Aber das war es dann auch nicht. Es hat sich einfach falsch angefühlt.

Haben Sie mit jemanden darüber gesprochen?

Nein, ich habe mit niemanden darüber gesprochen, auch nicht mit meinen Eltern. Ich konnte das damals einfach nicht. Ich dachte, wenn ich nicht darüber rede, existiert dieses Problem nicht. Erst als ich 18 war habe ich meiner Mutter erzählt, dass ich lesbisch bin. Das ist mir unglaublich schwer gefallen. Ich habe mich in dem Moment so nackt gefühlt.

Wie hat sie darauf reagiert?

Sie hat nur gesagt, dass sie es sich schon gedacht haben, weil ich nie Männer nach Hause gebracht habe. Im Zimmer hatte ich auch nur Frauen-Poster auf der Wand. Nach dem „Outing“ ging es mir dann aber nicht gut. Ich wusste, dass dies nicht die ganze Wahrheit ist. Eigentlich war ich ja nicht lesbisch…

Sie wollten ein Junge sein…

Ja. Lange Zeit wusste ich aber selbst nicht, was das Problem war. Ich habe mir ständig gedacht: Was stimmt nicht mit dir? Bis ich dann eines Tages auf Youtube ein Video gesehen habe, wo eine Frau erzählt hat, dass sie im falschen Körper geboren wurde. Sie fühlte sich als Mann, äußerlich war sie aber eine Frau. Sie hat sich dann zur Geschlechtsumwandlung entschlossen. Da wusste ich: Das ist es. Endlich habe ich mich verstanden gefühlt. Endlich wusste ich, warum ich so viele Jahre gelitten habe. Es tut einfach unglaublich weh, wenn man sich im falschen Körper gefangen fühlt. Ich war so unglücklich. Gleichzeitig habe ich mir gedacht, dass ich das nie machen werde. Mir war klar, dass dies eine ganz große Enttäuschung für meine Eltern wäre. Irgendwann habe ich den Schmerz aber einfach nicht mehr ausgehalten. Ich konnte nicht mehr schlafen. Ich bin in der Früh mit dem Wunsch aufgewacht und am Abend schlafen gegangen. Ich wollte endlich ich selbst, also ein Mann sein.

Sie haben dann beschlossen, es Ihren Eltern zu sagen…

Genau. Ich habe da bereits eine Therapie angefangen und der Psychologe hat gesagt, dass ich besser mit meinen Eltern darüber reden sollte. Ich habe dann vier, fünf Monate darüber nachgedacht, und dann beschlossen, meiner Familie einen Brief zu schreiben. Noch nie ist mir etwas so schwer gefallen.

Wie sind Sie vorgegangen?

Ich habe den Brief dreimal ausgedruckt. Den Brief an meine Mama habe ich auf den Küchentisch gelegt, Papas Brief ins Auto und den Brief an meinen Bruder auf sein Nachtkästchen. Dann habe ich gesagt, dass ich mit Freunden etwas trinken gehe. In Wahrheit war ich das ganze Wochenende in einem Wellnesshotel. Ich bin abgehauen. Ich habe dann auch mein Handy ausgeschaltet. Ich wusste, sie werden jetzt ausflippen wenn sie den Brief lesen. Am nächsten Tag habe ich es dann aber nicht mehr ausgehalten und habe das Handy eingeschaltet. Mein Vater hat mir geschrieben, dass ich nach Hause kommen soll. Ich bin dann aber doch länger geblieben und nicht sofort nach Hause gefahren.

Wie ist es dann weitergegangen?

Als ich nach Hause gekommen bin, hatte ich furchtbare Angst. Ich wusste nicht, was jetzt passieren wird. Es war nur meine Mama zu Hause und sie hat nur gesagt: „Jetzt lassen wir ein paar Wochen vergehen und dann reden wir darüber.“ Das war 2015. Bis heute warte ich, dass wir als Familie darüber reden.

Sie haben bis heute nie mit Ihren Eltern darüber geredet…

Mit meiner Mutter geht es mittlerweile ein wenig, darüber zu reden. Ich kann mich noch erinnern, als ich an einem Wochenende zu Besuch war und sie zum ersten Mal gesehen hat, dass ich ein wenig Bartwuchs habe, hat sie sofort angefangen zu weinen. Das hat dazu geführt, dass ich auch anfing zu weinen. Denn man muss sich das so vorstellen: Du stehst zwischen den Stühlen. Auf der einen Seite sind deine Eltern, die du liebst und die dir das Leben geschenkt haben. Auf der anderen Seite bist du. Ich musste also entscheiden: Mache ich das, was sie wollen oder tu ich das, was ich will. Denn sie wollten nicht, dass ich diese Geschlechtsumwandlung mache. Um meine Mutter nicht weiter zu belasten habe ich mich dann fürs Erste dazu entschieden, den Bart abzurasieren. Das ist mir unglaublich schwer gefallen. Andere können das vielleicht nicht nachvollziehen, aber ich habe mein ganzes Leben lang darauf gewartet. Es war schon immer mein größter Wunsch einen Bart zu haben.

Und Ihr Vater? Wie ist er damit umgegangen?

Wir haben bislang noch nie darüber geredet. In den letzten vier Jahren hat mein Papa vielleicht zweimal zu mir Tobias gesagt. So lange lebe ich bereits als Mann. Und auch daheim bin ich immer noch die Lisa. Wenn wir zum Beispiel in ein Restaurant essen gehen, spricht mich mein Vater mit Lisa an. Er sagt dann etwa: Was trinkst du Lisa? Ich sehe aber mittlerweile echt wie ein Mann aus. Meine Mutter hat sich hingegen dazu entschieden, mich gar nicht mehr beim Namen zu nennen. Sie nennt mich weder Tobias noch Lisa. Diesen Kompromiss gehe ich aber gerne ein.

Tut das weh, dass Ihre Eltern so mit Ihnen umgehen?

Am Anfang war das schon verletzend, aber mittlerweile weiß ich, dass es auch für meine Eltern sehr schwierig war und sie sehr darunter gelitten haben. Sie haben jetzt keine Tochter mehr, sondern einen Sohn. Aber ich weiß, dass sie nur etwas mehr Zeit brauchen, die ich ihnen gerne gebe. Ich liebe meine Eltern über alles. Aber es war natürlich damals schwer, mich gegen ihren Willen einer Geschlechtsumwandlung zu unterziehen, und damit nicht ihren Erwartungen zu entsprechen.

Und wie haben Ihre Freunde auf Ihre Entscheidung reagiert?

Ganz cool. Sie haben mich von Anfang an unterstützt. Sie wussten auch, wie sehr ich darunter gelitten habe, dass ich biologisch ein Mädchen war. In meinem Heimatort in Gadertal war es hingegen etwas anders. Da haben einige Leute hinter meinem Rücken über mich geredet, und wenn ich dann durchs Dorf gegangen bin, haben mich viele angestarrt. Das war ein komisches Gefühl. Es wurden auch falsche Sachen über mich in die Welt gesetzt. Mittlerweile hat sich das aber ein wenig gelegt. Ich bin auch immer sehr offen auf die Menschen zugegangen und habe nie ein Geheimnis um meine Person gemacht.

Wann haben Sie dann eigentlich mit der Geschlechtsumwandlung begonnen und was haben Sie dafür auf sich nehmen müssen?

Am 1. Oktober 2016. Ich weiß das so genau, weil ich am nächsten Tag meinen 26. gefeiert habe. Insgesamt war das ein langer Prozess, der mit vielen Höhen und Tiefen verbunden war. Ich musste lange Zeit eine Therapie machen. Dann habe ich begonnen Testosteron einzunehmen. Zunächst in Form von Gel. Anschließend habe ich Spritzen erhalten. Ich werde sie lebenslänglich bekommen. Die ersten Ergebnisse waren schon nach kurzer Zeit ersichtlich. Die Regelblutung setzte aus, ich habe eine tiefere Stimme und mehr Haarwuchs bekommen, und mein Gesicht ist eckiger geworden. Außerdem habe ich 20 Kilo abgenommen. Und vor zwei Jahren wurden mir die Brüste und die Eierstöcke entfernt. Meine Geschlechtsteile habe ich aber nach wie vor.

Wie haben Sie sich nach diesen Operationen gefühlt?

Unendlich glücklich. Endlich hatte ich das Gefühl, frei zu sein. Ich wusste: Nun muss ich keine Rolle mehr spielen. Ich kann endlich so sein, wie ich wirklich bin. Früher habe ich oft gedacht, dass die Gesellschaft verlangt, dass ich mich wie ein Mädchen verhalte und auf Buben stehe. Ich habe also Dinge gemacht, die ich eigentlich gar nicht wollte, die mir auch sehr wehgetan haben. Das ist mir auch erst mit der Zeit bewusst geworden.

Und wenn Sie sich heute im Spiegel ansehen…

Dann fühle ich mich einfach nur wunderschön. Das war bisher nie so. Als Frau habe ich mich hässlich gefühlt. Ich kann immer noch nicht ganz glauben, dass ich nun wirklich ein Mann bin (lacht). Dennoch muss ich aber auch sagen, dass ich doch einige Sachen auch vermisse.

Und die wären?

Ich kann nicht mehr so weinen, wie früher. Als Frau habe ich auch mal eine Stunde weinen können, aber das geht jetzt nicht mehr. Und ich bin viel vergesslicher geworden (lacht). Denn das Testosteron hat auch einen Einfluss auf die Merkfähigkeit. Und als Mann macht man sich viel weniger Gedanken über Gott und die Welt. Als Frau tendiert man eher dazu, sich über alles Mögliche den Kopf zu zerbrechen. Und was mir auch erst bewusst geworden ist, dass das Leben für Männer viel leichter ist. Die Welt ist eindeutig männlich geprägt. Als Frau wird man ständig angeschaut, nie hat man seine Ruhe.

Sie gehen ja sehr offen mit dem Thema um und haben auch keine Probleme damit, öffentlich zu sagen, dass Sie früher eine Frau waren. Warum?

Weil es einfach wichtig ist, dass man darüber redet und dieses Thema nicht im Verborgenen bleibt. Die Menschen sollten wissen, was es heißt, im falschen Körper geboren zu werden. Damit sie auch weniger Angst davor haben. Dadurch können Menschen wie ich ein besseres Leben führen. Aber am wichtigsten ist mir, dass ich anderen Menschen helfen kann, die sich in einer ähnlichen Situation befinden, wie ich damals. Wenn ich nur einer Person damit helfen kann, hätte sich diese ganze Öffentlichkeit gelohnt. Denn ich weiß, wie sehr ich das damals gebraucht hätte. Und vielleicht kann ich damit auch dem Mädchen helfen, das ich damals war. Heute weiß ich, dass ich ihr sehr wehgetan habe auf dem Weg zu mir selbst.

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