„Hohes Maß an Unsicherheit“
Eurac Research: Die Beobachtungsstelle für nachhaltigen Tourismus in Südtirol zieht in ihrem ersten Jahresbericht Bilanz.
Nach einer Folge an Rekordsaisonen mit stets neuen Höchstzahlen, steht die Tourismuswirtschaft in Südtirol angesichts der Covid-19-Pandemie vor ihrer wohl größten Herausforderung. Unsicherheit und strenge Vorschriften haben das Verhalten von Gästen und der lokalen Bevölkerung maßgeblich verändert. Diese kritische Situation kann eine Chance sein, die jüngste Entwicklung genau zu analysieren und darüber nachzudenken, wie der Sektor auf Krisenmomente reagieren und dem Klimawandel entgegenwirken kann, so Eurac Research.
Aktuelle und qualitativ hochwertige Daten sind hierfür ausschlaggebend.
2018 hat Eurac Research mit Unterstützung von IDM Südtirol Alto Adige und der Südtiroler Landesregierung daher eine Beobachtungsstelle für nachhaltigen Tourismus eingerichtet.
Es ist ein langfristig angelegtes Projekt, um Daten zu sammeln, Kosten und Nutzen des Tourismus zu analysieren und Entscheidungsträger bei der Verwaltung der Gästeströme zu unterstützen.
Der erste Jahresbericht der Beobachtungsstelle ist nun auf der Website https://sustainabletourism.eurac.edu verfügbar.
Die Südtiroler Beobachtungsstelle ist Teil des internationalen Netzwerks der Beobachtungsstellen für nachhaltigen Tourismus (INSTO) der Welttourismusorganisation.
Seit 1970 hat sich die Zahl der jährlichen Nächtigungen in den Beherbergungsbetrieben Südtirols verdreifacht, nämlich von etwa 10 Millionen auf rund 33 Millionen Nächtigungen. Über 11 Prozent des Bruttoinlandsproduktes in Südtirol werden im Gastgewerbe erwirtschaftet (ISTAT 2016 – letzte verfügbare Daten). Diese Zahlen sind zwar hervorragend für die Wirtschaft, aber sie werfen Fragen in Bezug auf die Nachhaltigkeit des Systems auf. Was bedeutet die Ankunft von 7,5 Millionen Touristen pro Jahr für das Leben der lokalen Bevölkerung?
Was geschieht, wenn der Tourismus aus Gründen höherer Gewalt zum Erliegen kommt?
„Tourismus ist dann nachhaltig, wenn er wirtschaftlichen und kulturellen Mehrwert für Touristen, lokale Bevölkerung und Unternehmen schafft und gleichzeitig in der Lage ist, die negativen Auswirkungen auf Umwelt und Gesellschaft zu minimieren“, erklärt Anna Scuttari, Tourismus- und Umweltökonomin von Eurac Research.
Um zu messen, wie nachhaltig der Tourismus in Südtirol ist, wurden eine Reihe von Indikatoren bestimmt. Deren langfristige Beobachtung soll Veränderungen sichtbar machen und eine fundierte Entscheidungsgrundlage für Politik und Tourismuswirtschaft schaffen. Ausgehend von Sekundärdaten, die unter anderen vom Landesstatistikinstitut ASTAT und der Handelskammer zur Verfügung gestellt wurden, analysierten die Forscherinnen und Forscher die Besucherzahlen und die Verteilung der Touristen im Jahresverlauf sowie den Wasserverbrauch, das Abfallaufkommen oder die genutzten Transportmittel innerhalb der Destination.
Im Zuge der Analyse wurde berücksichtigt, wie sich der Tourismus auf Gesellschaft, Umwelt und Wirtschaft auswirkt. Es zeigt sich, dass der Tourismus im Großteil der Südtiroler Gemeinden eine wesentliche Rolle spielt. Dadurch lassen sich Gästeströme besser verteilen und einzelne Gebiete werden weniger belastet. Südtirol ist außerdem kaum vom Flugverkehr abhängig. Dies steht mit dem hohen Anteil an italienischen und deutschen Gästen in Verbindung und bedeutet global betrachtet deutlich geringere umweltschädliche Emissionen durch den Verkehr. Um nach Südtirol zu gelangen und sich innerhalb Südtirols zu bewegen, sind Touristen allerdings noch immer stark auf den Individualverkehr angewiesen. Diesbezüglich gibt es aber ermutigende Signale: Während 2012 noch 256.000 Mobilitätskarten aktiviert wurden, stieg die Zahl 2018 auf 1,7 Millionen – ein Zeichen dafür, dass die Bemühungen zur Förderung des öffentlichen Verkehrs in der Region Wirkung gezeigt haben.
Was die Beherbergungsbetriebe anbelangt, so ist die Verwendung nachhaltiger und regionaler Produkte ein zunehmender Schwerpunkt.
Der Wunsch, die Auswirkungen auf Umwelt und Gesellschaft zu minimieren, zeigt sich auch in der wachsenden Zahl freiwilliger Zertifizierungen wie „KlimaHotel“ oder „Ecolabel“. Die Qualität des Angebots nimmt weiter zu und mit ihr die Zahl der Dienstleistungen – Luxusangebote eingeschlossen. Dieser Trend erhöht allerdings auch den Pro-Kopf- und Gesamtenergiebedarf in den Strukturen. „Die erhobenen Daten zeigen, dass jedes Phänomen im Tourismus Folgen nach sich zieht: Die Zunahme der Tourismusintensität erhöht etwa die Anzahl der Beschäftigten, gleichzeitig aber auch die Preise von Waren und Dienstleistungen für die Einheimischen. Der Schlüssel für die zukünftige Entwicklung liegt darin, ein Gleichgewicht zwischen der Unterstützung kleiner und großer Tourismusbetriebe, den Arbeitsbedingungen und der Ausbildung der Arbeitnehmenden, zwischen Gästen und lokaler Gemeinschaft sowie bezüglich des Umweltschutzes zu finden“, erklärt Harald Pechlaner, der Leiter des Center for Advanced Studies von Eurac Research.
Welche Konsequenzen aber wird die Covid-19-Krise nach sich ziehen?
„Gemäß einer aktuellen Studie von Eurac Research in Zusammenarbeit mit dem WIFO der Handelskammer Bozen erwarten die Unternehmen im Gastgewerbe für das Jahr 2020 einen Umsatzrückgang von fast 50 Prozent“, erklärt Andreas Dibiasi, Volkswirt am Center for Advanced Studies. „Die aktuelle Situation erzeugt ein hohes Maß an Unsicherheit. Dennoch geben uns die gesammelten Daten die Möglichkeit, vergangene Krisen – so unterschiedlich sie auch sein mögen – zu betrachten und festzustellen, dass der Tourismussektor sich seit jeher durch seine Resilienz hervorgetan hat“, betont Scuttari. Dass die Touristen zu einem großen Prozentsatz Stammgäste sind und sie die Gastbetriebe mit dem Privatauto erreichen können, sei in der derzeitigen Situation von besonderem Vorteil.
Um die Situation des Tourismus während und nach der Pandemie zu verbessern, haben die Forscher bereits weitere Untersuchungen durchgeführt. Diese und weitere Daten der letzten beiden Saisonen werden in der kommenden Ausgabe des Jahresberichtes, im Oktober 2020 veröffentlicht.
Das INSTO-Netzwerk
Die Beobachtungsstelle für nachhaltigen Tourismus in Südtirol (STOST) gehört zum Internationalen Netzwerk der Beobachtungsstellen für nachhaltigen Tourismus (INSTO) der Welttourismusorganisation (UNWTO). Sie beobachtet die wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Auswirkungen des Tourismus auf regionaler Ebene. Die Initiative basiert auf dem langjährigen Engagement der UNWTO für nachhaltiges und resilientes Wachstum der Branche durch Messung und Monitoring mit dem Ziel, faktengestütztes Tourismusmanagement zu unterstützen.
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