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Sex & Corona

Foto: 123RF

Das Coronavirus hat auch das Geschäft mit der käuflichen Liebe nachhaltig verändert. Eine Südtiroler Prostituierte berichtet, wie sie sich selbst mit dem Virus angesteckt hat. Und: Wie sie und ihre Kolleginnen unter dem Lockdown gelitten haben.

von Artur Oberhofer

Es war im vergangenen Dezember kurz nach Weihnachten. Maria (Name geändert, Anm. d. R.) saß daheim in der Küche. Während ihre Mutter zu Mittag aß, testete sie ihr neues Parfum. „Maria“, sagte die Mutter irgendwann, „muss das sein … beim Essen!“

An jenem Dezember-Tag wird Maria erstmals so richtig bewusst, dass sie ihren Geruchssinn verloren hat. Auch ihren Geschmackssinn. Sie nahm den süßlichen Geruch des Parfums, der ihre Tochter beim Essen so sehr störte, gar nicht war. „Ob ich Fisch oder Fleisch, Käse oder Wurst aß, alles schmeckte gleich, nämlich nach nichts“, erzählt die 34-Jährige.

Maria ist eine  Prostituierte. Sie führt ein (fast) ganz normales Familienleben. Sie lebt im Großraum Bozen.  Die Sexarbeit erledigt sie in zwei angemieteten Wohnungen im Burggrafenamt und in Bozen. Ihre Familie weiß über das zweite Leben von Maria Bescheid. Und akzeptiert es.

Auch im Dezember vergangenen Jahres arbeitet Maria. Die Adventszeit ist für Prostituierte erfahrungsgemäß eine ziemlich eilige Zeit. In dieser heiligen Zeit denken viele Zeitgenossen auch mal an ihr eigenes Bäumchen.

Über den Verlust des Geruchs- und Geschmacksinns macht sich Maria zunächst überhaupt keine Gedanken. Das werde schon vergehen, denkt sie.

Und tatsächlich: Anfang Februar dieses Jahres kann sie ihr Parfum wieder riechen – und Wurst und Käse geschmacklich unterscheiden.
Als im Februar die ersten beunruhigenden Nachrichten über das neue, heimtückische Coronavirus publik werden, denkt sich Maria immer noch nichts. Sie arbeitet auf Hochtouren.

Bis Anfang März, als es plötzlich heißt: „Achtung, Corona, Sie dürfen Ihre Heimatgemeinde nicht mehr verlassen.“

Lockdown!

Wie in allen anderen Wirtschafts- und Lebensbereichen kommt es auch in der prekären Welt der Sexarbeit zum totalen Stillstand. Nichts geht mehr!

Es ist Mitte März, als Maria erstmals im Radio hört, dass der Verlust des Geruchs- und Geschmackssinnes eines der Hauptsymptome von Corona sei.
„Da ist mir dann plötzlich ein Lichtlein aufgegangen“, erinnert sich die Frau.

TAGESZEITUNG Online: Sie hatten Mitte März dann plötzlich den Verdacht, dass Sie selbst infiziert worden sind?

Maria: Richtig! Mir war klar, dass ich mich wohl bereits im Dezember angesteckt hatte. Ich weiß auch, wer mich angesteckt hat …

Nämlich?

Ein Mann aus einem der späteren Corona-Hotspots. Der war Mitte Dezember bei mir, er hatte Schnupfen, war erkältet, aber ich habe mir nichts dabei gedacht. Es kommt öfters vor, dass ein Freier mit Schnupfen oder ein paar Grad Fieber kommt. Später habe ich von ihm selbst erfahren, dass er sich hat testen lassen und dass bei ihm Antikörper gefunden worden sind. Er hatte also Corona.

Außer dem dem Verlust des Geruchs- und Geschmackssinns, welche anderen Symptome hatten Sie?

Eigentlich keine, nur ein leichtes Halskratzen. Ich habe mich dann Ende März testen lassen. Effektiv kam heraus, dass ich infiziert war, weil ich ganz viele Antikörper gegen das Coronavirus habe. Jetzt spende ich sogar mein Plasma …

Sie hatten bereits im Dezember Corona, also zu einem Zeitpunkt, als in Südtirol noch niemand von Corona gesprochen hat?

Ja.

Also kann man auch davon ausgehen, dass Sie selbst zahlreiche Freier angesteckt haben?

Ja, sicher habe ich Leute angesteckt, aber als ein infizierter Kunde bei mir war, habe ich mir nichts gedacht. Er war ein bisschen kränklich, aber an Corona hat in jener Zeit niemand gedacht.

Der Corona-Lockdown war für Südtirols Sexarbeiterinnen eine extrem harte Zeit. „Mir ging es im Verhältnis eh noch gut“, erzählt Maria, „weil ich ein Eigenheim habe, aber die Miete für die beiden Wohnungen musste ich dennoch bezahlen, obwohl ich zwei Monate lang kein Einkommen hatte.“

Noch schlimmer sei es vielen ausländischen Kolleginnen ergangen, berichtet Maria. „Diese Kolleginnen waren über Nacht ohne Arbeit, ohne Einkommen und konnten die Miete nicht mehr bezahlen“, berichtet die Prostituierte.

Maria kennt zahlreiche dramatische Fälle. „Ich weiß von Kolleginnen, die von einem Tag auf den anderen auf der Straße standen und sich Essensgutscheine bei der Caritas oder anderen karitativen Einrichtungen besorgen mussten, weil sie sich schlicht und ergreifend keine warme Mahlzeit leisten konnten.“

Inzwischen habe sich die Situation auf dem Markt der käuflichen Liebe wieder normalisiert. „Es ist wieder ganz normal“, sagt Maria. Und korrigiert sich dann schnell: „Fast normal.“

TAGESZEITUNG Online: Mit fast normal meinen Sie, dass Corona auch die Welt der Prostitution nachhaltig verändern wird?

Maria: Ganz sicher! Man merkt bei vielen Freiern, dass Sie Angst haben. Einige sprechen diese Ängste auch an. Sie sagen: Sie fürchten sich, dass sie sich infizieren und dann ihre Familie anstecken könnten …

Was sagen Sie zu diesen Freiern?

Ich zeige ihnen meinen Test!

Dann sind Sie beruhigt?

Ja, auch wenn einige trotzdem die Maske tragen wollen. Aber prinzipiell kann man schon sagen, dass die Freier vorsichtiger geworden sind …

Auch was die verlangten Praktiken anbelangt?

Ja, geküsst wird nicht mehr! Viele haben küssen wollen, das will jetzt keiner mehr. Auch fällt auf, dass die älteren Freier – also die 70- bis 80-Jährigen – nicht oder kaum mehr kommen. Anders ist es bei den Jüngeren …

… die das Ende des Lockdowns als Befreiung empfinden?

Ja, viele Jüngere sind froh, dass sie nach zwei Monaten endlich wieder von der Hütte kommen. Es gibt die, die zu mir sagen, sie seien jetzt zwei Monate allein mit der Frau daheim gewesen und ganz norret geworden, weil der Frau nix recht war, was sie getan haben (lacht). Freilich: Im Hinterkopf schwingt die Angst vor der zweiten Welle mit …

Wenn die kommt …

Wenn die zweite Welle kommt, dann ist alles aus. Das wäre schlimm.

Wie schützen Sie sich?

Ich brauche mich nicht zu schützen, denn ich hatte bereits Corona. Ich denke, dass ich eine Zeitlang immun bin. Und dann, so hoffe ich, wird es irgendwann wohl einen Impfstoff oder ein Medikament geben. Ich achte jedenfalls darauf, mein Immunsystem zu stärken.

Merken Sie, dass weniger Geld im Umlauf ist?

Freilich! Ich habe Kunden, die sagen, sie könnten nur mehr ein Mal im Monat zu mir kommen, weil sie im Lohnhausgleich sind und weniger Gehalt bekommen …

Wie viel verlangen Sie?

100 Euro für eine halbe Stunde.

Das können sich viele Männer nicht mehr leisten wegen Corona?

Ja, weil ihnen ein Teil ihres Lohnes fehlt. Ich kenne Fabrikarbeiter, denen fehlt ein Drittel ihres Lohnes, sie fahren nicht mehr in den Urlaub, weil sie es sich nicht mehr leisten können. Natürlich fehlt ihnen dann auch das Geld für Prostituiertenbesuche.

 

 

 

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