Schule ohne Lehrer

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Die Pläne des Landes zum Schulstart im Herbst lassen Familien, Lehrer und Gemeindeverwalter verzweifeln. Weil kein Geld für die Personalaufstockung vorgesehen ist, sollen Unterrichtsstunden, Mensadienst und Nachmittagsunterricht gekürzt werden. Dagegen formiert sich Protest.
von Silke Hinterwaldner
Wenn die Kinder am 7. September wieder die Schultasche packen und sich auf den Weg machen, dann werden insgesamt sechs Monate vergangen sein, seitdem sie zum letzten Mal ihre Schule betreten haben. Dabei ist jetzt schon klar, dass vieles anders sein wird: Die Kinder und Jugendlichen sind älter geworden, manche werden das Homeschooling gut hingekriegt haben, andere werden im Lockdown sehr gelitten haben. Die Schüler werden im Herbst auf sehr unterschiedlichem Niveau sein. Aber auch die Lehrer werden die Corona-Zeit im Frühjahr sehr unterschiedlich durchlebt haben. Manchen freuen sich endlich wieder an die Schule zurück zu dürfen, weil ihnen der Kontakt zu den Schülern gefehlt hat. Andere haben Angst.
Abgesehen von diesen menschlichen Veränderungen gilt es auch die Schule als Struktur neu zu organisieren. Und das ist mehr als schwierig. Mittlerweile haben die Bildungsdirektion und die Landesregierung ihre Pläne für den Schulstart im Herbst erläutert. Aber die Marschrichtung scheint alles andere als gut anzukommen. Es brandet bereits Protest an unterschiedlichen Fronten auf. In erster Linie wehren sich die Eltern gegen verkürzte Unterrichtszeiten, aber auch Lehrer und Gemeindeverwalter legen ihr Veto ein.
Zunächst zur Erklärung: Für den Schulstart im Herbst hat man nach dem Ampelsystem drei Szenarien durchgespielt. Grün steht für die coronafreie Schule, da könnte man dort weitermachen, wo man im März aufgehört hat. Rot steht für Lockdown, man geht davon aus, dass die zweite Welle kommt. Und gelb steht für eine Schule, in der man unter Einhaltung gewisser Sicherheitsmaßnahmen an den Grund- und Mittelschulen zum Präsenzunterricht zurückkehren kann. Dieses Szenario gilt als das wahrscheinlichste.

Christa Ladurner
Das Grundproblem ist dabei: Um eine Ausbreitung des Virus eindämmen zu können, soll die Anzahl der Schüler pro Klasse verringert werden, außerdem gilt es in den Klassenräumen Sicherheitsabstände einzuhalten. Dies hat zur Folge, dass in Südtirol 250 zusätzliche Schulklassen unterrichtet werden müssen. Aber dafür dürfen nicht mehr Lehrer oder anderes schulisches Personal eingestellt werden.
Deshalb wird an allen Ecken und Enden gekürzt: Der Nachmittagsunterricht soll gestrichen werden, die Zahl der Unterrichtsstunden in vielen Fächern wird kurzerhand gekürzt und der Mensadienst wird den Gemeinden überlassen, die sich überfordert fühlen. Das geht zu Lasten der Kinder, vor allem aus bildungsfernen Familien, aber auch zu Lasten berufstätiger Mütter und nicht zuletzt leidet die Qualität des Unterrichts darunter.
Wie sehr die Pläne zum Schulstart im Herbst auch unter Lehrern umstritten sind, zeigt das Schreiben von Lehrerinnen des Schulsprengels Brixen/Milland, in dem die Kritikpunkte anschaulich zusammengefasst werden. Darin schreiben Barbara Grießmair, Elisabeth Grießmair, Johanna Markart und Angelika Perkmann:
„Damit Bildung und Lernen gelingen, braucht es bestimmte Bedingungen, die wir mit dem angekündigten Modell in Gefahr sehen. Die Lern- und Entwicklungszeit wird in dem vorgeschlagenen Schulmodell deutlich reduziert. Egal, wie man es dreht und wendet: Das Recht der Kinder auf Bildung wird mit diesem Modell beschnitten und die Generation der „Corona – Schüler*innen“, die in der Zeit der Schulschließung ohnehin schon auf so vielen Ebenen benachteiligt war, wird weitere Nachteile in Bezug auf ihrer Schulbildung haben. Dass es nicht möglich sein wird, in z.T. der Hälfte der Zeit dasselbe zu lernen oder zu vermitteln wie bisher, liegt unserer Meinung nach auf der Hand.“
Genauer: Die Pläne der Landesschuldirektion sehen eine Reduzierung des Unterrichts für die Grund- und Mittschule auf den Vormittag vor. Vorgesehen sind Unterrichtszeiten von 7.30 Uhr bis 13.00 Uhr, wobei es insgesamt gleitende Eintritts- und Austrittszeiten von eineinhalb Stunden gibt. Somit wird die Zeit des Kernunterrichts auf 17,5 Wochenstunden reduziert. Zum Vergleich: Bis jetzt hatten die Kinder in der Grundschule eine Kernunterrichtszeit von 26,5 Stunden.
Diese Reduzierung der Unterrichtszeit, die Streichung des Nachmittagsunterrichts und der Mensaaufsicht ärgern auch Christa Ladurner. Die Sprecherin der Allianz für Familie sagt rundheraus: „Es ist genug.“ Sie fordert, dass endlich auch Maßnahmen zugunsten der Kinder und Familien getroffen werden. Die Lösung liege auf der Hand: „Es braucht die Potenzierung des Bildungspersonals.“
Denn welchen Sinn ergibt es, wenn die Kinder nur noch vormittags unterrichtet werden und berufstätige Eltern für die Nachmittage andere Betreuungsangebote suchen müssen? „Ziel müsste es doch vielmehr sein“, sagt Christa Ladurner, „auch aus epidemiologischer Sicht, alles in stabilen, kleinen Gruppen zu organisieren. Das ist gleichzeitig freilich auch im Interesse der Familien.“ Wird hingegen Unterrichtszeit gestrichen, weil nicht genügend Personal vorhanden ist, so fällt man bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf wieder um Jahrzehnte zurück. Die Rückkehr von Frauen an den Arbeitsplatz wird mit dieser Art der Schule weiter erschwert.

Maria Gasser Fink
Gleichzeitig möchte man die Gemeinden stark in die Pflicht nehmen. Sie müssen nicht nur für ausreichend Räumlichkeiten sorgen, sondern auch dafür, dass Mensadienst und Nachmittagsbetreuung angeboten werden. Maria Gasser Fink kann nur den Kopf schütteln, wenn sie daran denkt, was das bedeuten könnte. „Unsere Forderung ist“, sagt die Bürgermeisterin von Klausen, „dass der Unterricht an zwei Nachmittagen bleibt und auch die Mensaaufsicht von der Schule übernommen wird.“ Für die Familien seien der Unterricht am Nachmittag und die Mensa mittlerweile zu Einrichtungen geworden, die nicht mehr wegzudenken sind. Das müsse gut von den Schulen organisiert werden und könne nicht einfach an die Gemeinden, Sportvereine, Jugenddienste oder Musikschulen abgeschoben werden. Auch für die Bürgermeisterin ist klar: „Um das umsetzen zu können, muss man mehr Geld in die Hand nehmen. Aber das sollten uns die Kinder doch wohl auch Wert sein.“
In dieselbe Kerbe schlagen die Lehrerinnen aus Milland. Sie sagen:
„In den letzten Wochen wurden milliardenschwere Förderpakte für die Wirtschaft geschnürt, die sicher sinnvoll und nötig sind. Mindestens ebenso so sinnvoll und wichtig sind Investitionen in die Bildung der Kinder. Sie stellen unsere Zukunft dar und haben das Recht auf die bestmögliche Bildung und in der bestmöglichen Schule.“
Kommentare (12)
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